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Ausgabe:

1928 Nr. 5

Spalte:

116-117

Autor/Hrsg.:

Beth, Karl

Titel/Untertitel:

Frömmigkeit der Mystik und des Glaubens 1928

Rezensent:

Bruhn, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 5.

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angesehenen Verfassernamen aus der mittelalterlichen
und alten Kirche schmückt, um sie seinen (zum Gebet
sich anschickenden!) Lesern dadurch zu empfehlen.
Schon näher der Hauptstraße, die der Verf. uns führt,
liegt eine andere Erwägung. A.s Buch hat ernstliche
Bedeutung nicht nur für die Geschichte der evangelischen
Frömmigkeit und für die Liturgik, sondern auch
für die hymnologische Forschung. Mit Recht weist A.
(S. 4 ff.) darauf hin, daß die systematische Untersuchung
der Quellen unseres Kirchenliedes uns darauf
führen muß, die Gebetbücher als wichtige Quellengebiete
noch ganz anders ins Auge zu fassen und zum
Gegenstande unserer Entdeckerfreude zu machen. Beispiele
aus dem 16. und 17. Jahrhundert führt er an.
Auf eins aber möchte ich hier den Finger legen: wer
hat stärker als Job. Arnd die Liederdichter unseres
Gesangbuchs inspiriert? Er ist der Mann des erörterten
Verschmelzungsprozesses, der im Gegensatz zur Reinerhaltung
der lutherischen Kollekten steht. Was bedeutet
das für unser Gesangbuch? Was bedeutet das für den
Dienst am Wort im evangelischen Gottesdienst? M.
a. W. Althaus' Buch führt uns mitten hinein in zentrale
theologische Fragen. Althaus lehnt ihre Erörterung
so viel wie möglich ab. Er begrenzt seine
Voruntersuchung. Er hat ein Recht dazu. Aber er
kann nicht hindern, daß die theologischen Probleme sich
ernstlicher melden, als er vielleicht zugeben will. Die
Literaturgeschichte wird immer wieder Kirchengeschichte
. A. setzt sich lebhaft dafür ein, daß für das
Einströmen jener mystisch-asketischen Elemente des
Mittelalters und des Jesuitismus die reiche und verführerische
Gelegenheit, die Diebe gemacht habe, und
die Zähigkeit des Beharrens, die gerade diese bewahr-
same Literatur auszeichne, also Triebkräfte der Literaturgeschichte
, mehr verantwortlich gemacht werden
müßten als die Beweggründe, die der K i r c h e n geschichtler
geltend machen möchte. Zugegeben, daß wir
hier nicht übersehen dürfen, was die Literaturgesch.
uns sagt, muß A. dennoch nicht in der Polemik gegen
Bönhoff feststellen, wo der Meditationscharakter das
lutherische Gebet überwältige, da sei von Ermattung
evang. Geistes und ev. Kraft zu reden? Mit Gebetseinigung
im Sinne der una sancta habe das nichts zu
tun? So hat also letztlich doch die Widerstandslosig-
keit und die Abwesenheit echten Glaubens im Sinne
Luthers oder Calvins die Frömmigkeitsübungen des Mystizismus
, der jesuitischen Meditation und Askese herbeigerufen
, die endlich im 17. Jahrhundert das reformatorische
Gebet, wie A. zeigt, völlig überwucherten?
Wenn das aber der Fall war, wie war es möglich, daß
Musculus so klar evangelisch betete und doch zugleich
ein Beförderer des synkretistischen Gebets wurde? Daß
die Kollekten „rein" blieben bis ans Ende des Jahrhunderts
und doch um seine Wende ein Evangelischer
seiner Gemeinde ungeniert ein so gut wie katholisches
Privat-Gebetbuch zumuten durfte? Wir wollen uns gewiß
von der Glauben erhaltenden Macht der Liturgie —
man denke an anglikanische Thesen! — und von der
Gefahr leicht beschwingter Agendenreformen in glaubensarmen
Zeitläuften hier ein warnendes Wort sagen
lassen. Aber damit ist das Problem, das hier anklopft,
weder gehört noch erledigt. A. hätte wohl stärker betonen
können als er es tat, daß die spiritualistischen
Einwirkungen auf die lutherische Gebetspraxis in der
Frühzeit der Reformation, daß die starke Verschmelzung
des Schwenckfeldischen und Erasmischen mit dem Reformatorischen
im Gebet des Kämmerleins, (während
das Gebet der Liturgie hier nur Sprödigkeit und Abweisung
ausspricht,) ernste theologische Fragen stellten,
die der Fortschritt, der den von Althaus eigentlich erst
begründeten Forschungen auf dem Gebiet der ev. Gebetsliteratur
sehr zu wünschen ist, jedenfalls nicht unerledigt
lassen darf. Ich kann hier nur andeuten. Was
A. S. 66 über Erasmus sagt sollte die Gebetsforschung
weiter beschäftigen. Erkundige ich mich bei Karl Barth,

so muß ich von dem Beter Erasmus aussagen, ihn
bewege die Geschichte des historischen Jesus, nicht die
! Urgeschichte; sowohl bei Schwenckfeld, wie bei Eras-
| mus, wie in der mittelalterlichen Mystik, wie im Jesuitismus
sei die Religion im Sinne des § 16 der Prolegomena
j Barths Herrscherin. Hier liegt das entscheidende Pro-
I blem, von dessen Lösung der theologische Histo-
1 riker, der das umfassende Werk über unseren Gegenstand
schreiben wird, Scheinwerferlicht auf mancherlei
S Zusammenhänge werfen muß. Glaube und Frömmigkeit
: darum gehts auch hier. Von hier aus müssen
eine Unzahl von prüfenden Fragen an den konkreten
Tatbestand des Glaubensausdrucks, an die konkreten
I Tatbestände der verschiedenen konkreten Religionen un-
j seres Beobachtungsgebietes gestellt, mögliches Beiein-
[ ander und notwendige Geschiedenheiten erwogen werden
. Der theologische Ertrag wird dann gewiß nicht
geringer sein als der historische in der begrenzten
Zone, die sich A 11 h a u s d. Ä. erwählte. Noch einmal:
er hat auf seinem Felde nicht Gewöhnliches geleistet.
Jena. Waldemar M a c h o 1 z.

Beth, Karl: Frömmigkeit der Mystik und des Glaubens.

Leipzig: B.C. Teubner 1927. (IV, 106 S.) gr. 8".

RM 4 ; geb. 5.60.

Der Verfasser behandelt in organischem Anschluß
an seine Untersuchung über „Religion und Magie" (2.
Aufl. Leipzig und Berlin 1927) in diesem Buch die

j wechselseitigen Beziehungen von Glauben und Mystik
innerhalb des Christentums, um die wachsenden Ansprüche
, mit denen heute die letztere an das Geistleben

I der Gesamtheit herantritt, vom christlich-religiösen

j Standort her zu überprüfen.

Ein erster Teil arbeitet das Typische der mystischen
Frömmigkeit heraus, wie sie bei uns zunächst als
Gegenstoß gegen den monistischen Naturalismus auftrat
und nach dem Weltkrieg sich zu einer Art Ersatzreligion
gegenüber dem Christentum als Religion des Heilsglaubens
auswachsen zu wollen scheint, woraus sich für die
Kirche die Pflicht der Auseinandersetzung ergibt. Das
Wesentliche dieser Mystik bestimmt Beth unter Abgrenzung
von einer rationalistisch-begrifflichen sowie
einer sinnlich-ekstatischen Pseudomystik als das Erlebnis

j einer wesenhaft-unmittelbaren Zusammengehörigkeit von

j Mensch und Gott, welche in jedem Falle nicht erst her-

I gestellt zu werden braucht, sondern, wenigstens als
Keim, gegeben und daher nur festzustellen und durch
Kontemplation zu einem gesicherten Besitz des Bewußtseins
zu erheben ist, wobei aber die unmittelbare Gottesnähe
teils als Erhebung des diesseitigen Menschen zum
jenseitigen Gott, teils als apriorische Identität von Seelengrund
und Gott erfahren werden soll. In der Religionsgeschichte
steht Mystik als der Typus einer sym-
biotischen Unmittelbarkeit ohne Weltbezogenheit, ohne
trennendes Sündenbewußtsein und sittliche Entwicklung
dem Glauben als Typus distanzmäßiger Mittelbarkeit
gegenüber. Dies wird veranschaulicht an dem klassi-

I sehen Beispiel der deutschen Mystik des Mittelalters,

j deren drei Formen: die zärtliche Seelenbrautmystik, die
Passionsmystik und die spekulative Unendlichkeitsmystik,
religionspsychologisch untersucht und bestimmt werden.

I Hierbei wird deutlich, daß die erstere das transzendente
Moment bis zur Unmöglichkeit eines Ideiititätsbegriffs in
das immanente einbegreift, daß die zweite es durchaus
mit der Distanz zu tun hat, die sie durch Leiden in Gott-
Gegenwart aufzuheben sucht, und daß endlich die Unendlichkeitsspekulation
Eckeharts zwar deutlich um den
Pol der Identität schwingt, doch aber so, daß das Ewige
nur als ein „Fünklein" im Menschen gegeben und zur
Identität erst von ihm herzustellen ist, und ferner so, daß
dies Ziel in Wirklichkeit unerreichbar erscheint, insofern
Eckeharts Frömmigkeit trotz ihres Kreisens um den

j Identitätspol immer zugleich an den entgegengesetzten
der Distanz gebunden bleibt. So finden wir bei ihm
ebensowohl eine vollkommene Verwirklichung des Iden-

| titätsverhältnisses schon im Seelengrunde, welche zu