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Ausgabe:

1928

Spalte:

84-85

Autor/Hrsg.:

Burdach, Konrad

Titel/Untertitel:

Reformation, Renaissance, Humanismus. 2. Aufl 1928

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 4.

84

ein viel zu günstiger Gesamteindruck zurückbleibt. Ob
wohl Musonius' löbliche Strenge die Wirklichkeit oder
auch nur die Gewissen irgend erheblich bestimmt hat?
— In dem großen zweiten Hauptteil wird zunächst
die Wertung der Ehe in den Anfängen des Christentums
(Jesus, Urgemeinde, Paulus), dann im späteren
Urchristentum, endlich in der frühkatholischen Zeit bis
hin zu der Synodalgesetzgebung im Beginn des 4. Jahrhunderts
behandelt, wobei das Zunehmen der asketischen
Tendenzen das Bezeichnende ist. Der erste dieser j
Abschnitte ist der, in welchem der Verf. wohl am wenigsten
glücklich gewesen ist. „Je inniger und innerlicher
einen die Gewalt des Reiches Gottes anfaßt, desto
selbstverständlicher wird die Ehe verneint." „Unter j
dem Eindruck dieser höheren Gewalt ist es ein Unglück, )
verheiratet zu sein." „Die Auflösung der Ehe ist gewiß
. . ., sobald ein Mensch von dem kritischen Mo- I
ment der Weltwende . . erfaßt ist." „Angesichts der f
kommenden Welt zerfällt die Ehe." Kann man so Jesu j
Haltung zeichnen? Wenn Jesus trotzdem scharf gegen
die Ehescheidung als wider Gottes Ordnung verstoßend J
auftritt, so werden dafür die „ländlichen Verhältnisse"
verantwortlich gemacht, in denen Jesus lebte, wo man
nicht so leicht auseinander läuft, wie in der Großstadt.
Außerdem wird dem Affekt launenhafter Flatterhaftigkeit
der grundandere Affekt der Bindung gegenübergestellt,
der nun doch ebenfalls der neuen Haltung entsprechen
soll — obwohl diese jede irdische Ordnung verneint und i
auch die Ehe sprengt! Es muß doch befremden, daß
man in dieser Weise gewisse radikale Worte Jesu und
seine scheinbar widerspruchsvolle Haltung behandeln
kann, ohne sich alsbald des Wortes vom Aergernis zu
erinnern und dieses überhaupt zu erwähnen, welches den
Schlüssel darbietet, und ohne an I.K 9, 5 zu denken! In
der gleichen Richtung ist die Haltung des Paulus, wennschon
sie eine ganz andere ist als die Jesu, verzeichnet.
Man wird gewiß sagen müssen, daß die Zwiespältigkeit j
des späteren katholischen Ideals bei ihm beginnt (sofern
nicht leise Ansätze auch schon in der jüdischen Frömmigkeit
sich finden). Aber wenn als seine Meinung ;
angegeben wird, daß, „wo einer ganz in der Gewalt des
Herrn und als so Gebundener auch in die Bruderschaft
verankert sei, er eine andere Bindung wie die Ehe nicht j
eingehen könne", so ist das wieder eine Übertreibung,
der gegenüber dann die praktischen Weisungen des
Apostels nur als eine äußerliche, weltkluge Konzession !
erscheinen, während doch das Charakteristische ist, daß I
es ihm darauf ankommt, trotz seiner von verschiedenen '
Motiven belebten Sympathie für eine völlig enthaltsame
Lebensweise, den ehelich Lebenden ein gutes Ge- j
wissen zu geben. Das wäre ihm nicht möglich, wenn der
obige Satz seine Meinung zutreffend ausdrückte. Wenn
bei Jesus und Paulus bemängelt wird, daß sie die Ehe j
nicht auf höhere Basis gestellt hätten, so wären freilich
beide keine Sozialreformer. Aber mußten die alle
Verhältnisse von innen her umgestaltenden religiösen j
und sittlichen Prinzipien nicht auch die Ehe ergreifen
und haben sie sie nicht ergriffen ? Das Christentum j
hat auch die Sklaverei nicht abgeschafft — aber es hat
sie innerlich unmöglich gemacht! Auch sonst besteht j
gerade in diesen entscheidenden Abschnitten Anlaß zu I
mancherlei Fragezeichen. Wo hätte das früheste Chri- I
stentum die Einehe allgemein gefordert (im Gegensatz
zur Wiederheirat Verwitweter)? Kann man sagen,
daß in der Zeit der Pastoralbriefe die Ehe „als Weltwert
" anerkannte Bedeutung gewann? Besaß sie diese
nicht von Haus aus als Schöpfungsordnung? Kann
man sagen, daß die paulinische Askese durch den Gedanken
der „Selbstentsündigung durch Werkleistung"
mitbestimmt sei? — Anzuerkennen ist die Sorgfalt, mit
welcher der Verf. der Vielgestaltigkeit und Verschiedenheit
der Motive nachspürt, die gleich im Anfang und
weiterhin von Generation zu Generation das asketische
Element verstärken, wobei neben eschatologischen, moralistischen
und dualistischen Gesichtspunkten vor allem

solche in Betracht kommen, die mit dem Prinzip der
Kultusfähigkeit zusammenhängen, einem Prinzip, das
aber nicht nur der hellenistischen, sondern ebenso der
jüdischen Welt geläufig und überhaupt außerordentlich
verbleitet ist. Das alles kann aber nur genauer verfolgt
werden in einer zusammenhängenden und umfassenden
Geschichte der ältesten christlichen Askese —
und nicht nur der Sexualaskese —, zu welcher diese
Monographie ebenso sehr einen nützlichen Beitrag liefert
wie zur Geschichte der Ehe, wenn auch ihre Ergebnisse
und Urteile keineswegs überall übernommen werden
können.

Zu der angeführten wissenschaftlichen Literatur wäre manches
nachzutragen, (z.B. Jordan, das Frauenideal des N.T.s U.S.W. 1909;
Schiwietz, Mönchtum 1904; (lottschicks ausgezeichneter Artikel In der
RE"). Die Anlehnung an frühere Arbeiten ist bisweilen recht eng.
(Vgl. S. 47 50; 83 f; 97 f.)

Ein Wort noch zum Stil: S. 4 finden sich „fortlebende Edelsteine."
S. 100 löst sich das Christentum als eigenartige Blüte vom jüdischen
Mutterboden und wird in den Mantel des Hellenismus gehüllt. S. 234
geht Lactantius im Strome der urchristlichen Ethik. Wir sind alle in
Gefahr, wenn wir Bilder gebrauchen, nnanschaulich zu werden
wie der Städter Paulus.

Der Verf. schreibt ständig „Aszese" ; mjxc'i artgoaxoitOV <svvtitii<iiv
l%uv. (Act. 24, 16).

Erlangen. H. Strathniaun.

Burdach, Konrad: Reformation, Renaissance, Humanismus.

Zwei Abhandlgn. über d. Grundlage moderner Bildung und Sprachkunst
. 2. Aufl. Berlin: Gebr. Paetel 1926. (XIII, 207 S.) 8°.

RM 4 ; geb. 6-.

Burdachs Buch oder besser: die beiden in ihm vereinigten
Vorträge: Sinn und Ursprung der Worte Renaissance
und Reformation, und: Über den Ursprung des Humanismus
ist auch in Theologenkreisen allgemein bekannt,
es kann an ihm nicht vorübergehen, wer über das Problem
„Renaissance" schreibt oder zu dozieren hat. Da
es sich zudem um eine unveränderte zweite Auflage handelt
, erübrigt sich hier eine Inhaltsangabe. Die eindringliche
Forschung von Burdach hat ihren großen Wert in dem
Aufweis der Begriffsgeschichte der Renaissance und der
Reformation. Sie hat aber auch hier ihre Schranke. Die
Durchforschung einer ganzen Reihe mittelalterlicher Geister
auf die Begriffe reformare, innovare, renasci etc.
bleibt wertvoll, die hier erledigten Einzelthemata, etwa:
Renaissance und Reformation bei Dante, Joachim von
Fiore, das Durchdringen von Renaissance in Jurisprudenz
, Philosophie, Medizin und Naturwissenschaft geben
bleibende Erkenntnisse, aber die von B. vollzogene Verknüpfung
scheint mir nicht genügend. Was ist die „eigentliche
Renaissance" (S. 83)? Sie scheint in Rienzo
verwurzelt, aber, wenn wir das gelten lassen, wie stehen
denn die anderen „Renaissancen und Reformationen"
dazu? Das Bild ist offenbar das verschiedener Wellen-
kämme eines wogenden Meeres; kein Wellenkamm ist
identisch mit dem anderen, die Unterschiede sind zum
Teil sehr erheblich (Franz v. Assisi!), aber sie sind
doch alle Teile des großen Meeres. Das Problem müßte
jetzt sein, einerseits die Differenzierung, anderseits die
Gemeinsamkeit herauszuarbeiten; „die" Renaissance würde
dann doch stärker vom Mittelalter sich abheben als bei
B. In B.'s zweitem Vortrage wird in dieser Weise bei
aller Gemeinsamkeit der Humanismus von der Renaissance
distanziert als die literarische Ausprägung des
gemeinsamen Kernes: Streben nach neuen Menschneits-
werten. Aber kann man, wie es S. 131 geschieht,
Huttens Wort: „es ist eine Lust zu leben" als das
Wesen der Renaissance bezeichnen, „an deren Eingang
Dante, an deren Ausgang Michelangelo steht?" Mir
scheint für die beiden letzteren das Huttenwort nicht
oder zum mindesten nur stark modifiziert zu passen.
Und kommt Hutten nicht wieder zu kurz, wenn S. 187
der deutsche Humanismus nach den tastenden Versuchen
des „Ackermann aus Böhmen" erst im 18. Jhdt.
lebendig werden soll? Vermutlich wird man sich über
die drei Grundbegriffe, Reformation, Renaissance, Hu-