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Ausgabe:

1928 Nr. 3

Spalte:

63-64

Autor/Hrsg.:

Löhr, P. Gabriel M.

Titel/Untertitel:

Die theologischen Disputationen und Promotionen an der Universität Köln im ausgehenden 15. Jahrhundert nach den Angaben des P. Servatius Fanckel 1928

Rezensent:

Ritter, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 3.

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Organisation und Arbeitsweise der Kanzlei unter Hein- Quellen u. Forschungen z. Gesch. d. Dominikanerordens in Deutsch-
rkh IV. zusammengefaßt. Es ergeben sich ihm hier ganz landi Heft 21. RM 6
neue Resultate: der Codex Udalrici und die Hannover- | Der Kölner Dominikaner Servatius Fanckel, Prior
sehe Briefsammlung sind nach seiner Meinung große des dortigen Konvents 1488—1508, hat ein Collektaneen-
Sammlungen, die aus den Briefbüchern der verschiede- i heft hinterlassen (von dem Herausgeber mißverständlich
nen Notare des Kaisers zusammengeschrieben sind. Beim auch diarium genannt), in dem er 1. die Promotionen
Ausscheiden aus dem unmittelbaren Dienste des Herr- der Kölner theologischen Fakultät zwischen 1467 und
schers nehmen sie ihre Geschichtsbücher als privates | 1488, 2. nicht weniger als 256 theologische Disputa-
Eigentum mit. Bei der Anfertigung der Urkunden hat tionen aufzeichnete, die zwischen 1475 und 1488 in
aber nach Sch. auf Grund der stilkritischen Analyse | Köln gehalten worden sind, größtenteils im Lehrbetrieb
öfter eine Zusammenarbeit mehrerer Notare stattge- 1 der Fakultät, teilweise auch im Generalstudium des
funden. Diese Notare als die eigentlich ausführenden | Ordens, und denen er fast ausnahmslos persönlich beiBeamten
hatten sicherlich eine gewichtige Stimme im ; gewohnt hat. Die Beschreibung der Disputationen enthält
Rat und haben starken Einfluß auf den Kaiser geübt, regelmäßig die behandelte Quästion, vielfach auch die
da die von ihnen verfaßten Schriftstücke auch inhaltlich • Hauptthesen der responsio, (nur einmal mit ausführ-
die gleiche Richtung aufweisen. Im 8. Kapitel wird der licher Begründung) und die Einwände der Opponenten
Mainzer Diktator noch einmal als Verfasser der Vita samt Widerlegung durch den Respondenten, sodaß von
des Kaisers erwiesen und im 9. Kapitel auf Grund der i dem Betrieb des spätscholastischen Disputierwesens ein
Untersuchungsresultate eine kurze Charakteristik des ungewöhnlich anschauliches Bild entsteht (besonders-
Kaisers gegeben. Gegenüber der modernen geschieht- ' wertvoll die ausführlich wiedergegebene Disputation
liehen Forschung, wie sie Hampe und Meyer von Kno- j S. 99—112).

nau vertreten, ist sein Urteil über Heinrich IV. als Das Wichtigste aus diesen Aufzeichnungen hat
Mensch und Staatsmann ungünstiger, allerdings nicht so P. Lohr nach der (in der Stadtbibliothek Frankfurt aufscharf
absprechend wie das J. Kellers. In großen, ent- bewahrten) Originalhandschrift Fanekels herausgegeben,
scheidenden Lagen seines Lebens hat Heinrich vielfach j im allgemeinen jedoch den Text (mit Recht) stark verfehlgegriffen
und versagt, so daß er als großer Staats- | kürzend. Seine fleißige und inhaltreiche Einleitung gibt
mann so wenig wie als großer Feldherr anzusprechen doch mehrfach zu Bedenken Anlaß. Abgesehen von
ist, aber durch Zähigkeit und Ausdauer, auch Gewandt- ' einer gewissen Unklarheit seiner Beschreibung der Hand-
heit im einzelnen ersetzt, was ihm an überlegener Kennt- schritt und ihres Inhalts enthält sie auch sachliche Irr-
nis und Behandlung der Dinge im ganzen abging. Bei tümer. Der theologische Bakkalar begann nicht mit der
Heinrich ist niemals zu erkennen, daß er mit eigner Sentenzen-, sondern mit der Kursorischen Bibellektion;
großer Initiative in den Kampf mit dem Papsttum einge- bacc. sentenciarius ist eine höhere Stufe gegenüber dem
treten ist und persönlich mit dem Herzen in diesem 1 bacc. biblicus (S. 6 f.); zwischen bacc. biblicus und
Kampfe engagiert war. Ihm handelte es sich um die i Cursor wird nicht „unterschieden": es sind zwei Namen
Behauptung und Verteidigung des erblichen Königtums für dieselbe Sache! Der Ausdruck articuli Parisiiis con-
von Gottes Gnaden, das ihm von seinen Vorfahren her dempnati (S. 20) bezieht sich auf ältere Ketzerverur-
zugekommen war und das er ungeschmälert an Rechten teilungen des 13. und 14. Jahrhunderts und findet
und Ansehen seinem Sohne überliefern will. An der i sich schon in allen älteren Sentenzenwerken, hat also
Theorie von der Gnadenwahl des Königtums hatte Hein- 1 mit dem Ansehen der Pariser Fakultät im 15. Jahr-
rich im Kampfe mit dem Reformpapsttum seine ideale, hundert gar nichts zu tun. Es ist auch nicht richtig,
an der Reichskirche mit ihren aristokratischen, mit dem daß Fanckel keine „disputaciones ordinarie" aufgezeich-
Königtum eng verbundenen Einrichtungen seine materielle net habe (S. 5; die quodlibetica kommt für den Theo-
Stütze. Ein 10. Kapitel über die Grundsätze der Stil- logen überhaupt nicht in Frage). Es sind das die
kritik, der Methode seines Buches, bildet den Abschluß sog. „Quartalsdispute", in denen unter dem Vorsitz ei-
des gehaltvollen, der mittelalterlichen Geschichtsfor- nes Ordinarius die Bakkalare pro forma, d. h. zur Er-
schung vielfach neue Bahnen weisenden und zu wertvollen füllung ihrer laufenden Promotionsverpflichtungen, zu
neuen Resultaten führenden Buches. Es ist nicht möglich, respondieren hatten; Fanckel hat deren eine große Zahl
in dem eng bemessenen Raum dieser Anzeige sich mit ; verzeichnet (Beispiel: Nr. 146ff.). Alle diese Irr-
der Forschungsmethode Sch.s ausführlicher auseinander- tümer begreifen sich aus dem Mangel einer zureichenden
zusetzen. Daß sie recht gehandhabt außerordentlich Darstellung des spätscholastischen Studienbetriebes; der
fruchtbar ist und viele Quellen des Mittelalters in höhe- (zum größten Teil druckfertig vorliegende) erste Band
rem Grade als früher „redend" macht, ist mir durch meiner Heidelberger Universitätsgeschichte wird da viele
Sch.s Buch gewiß geworden. Es ist mir nur fraglich, Unklarheiten beseitigen.

ob Sch. nicht doch der stilkritischen Analyse zu viel Die Entzifferung des Handschrifttextes scheint mir
zutraut, wenn er z. B. in einzelnen Urkunden mit Sicher- , nicht überall einwandfrei gelungen, ohne daß ich mich
heit die Zusammenarbeit mehrerer Notare erweisen zu 1 hier auf Einzelheiten einlassen könnte. Sachlich bieten
können und daraus weittragende Schlüsse ziehen zu dürfen die Texte keine Überraschung; es ist das wohlbekannte
glaubt. Es ist mir auch unwahrscheinlich, daß der ! Streiten um uralte Schulfragen, ohne tieferes sachliches
Kaiser Heinrich IV. seinen Notaren einen so weitgehen- Interesse, im Ganzen eine wenig erfreuliche geistige Öde,
den Einfluß auf seine politischen Entschließungen ein- die man nur als schulmäßig-formales Exerzitium, nicht
geräumt haben sollte, wie Sch. es annimmt. Wenn man : als ernsthafte Erörterung von wissenschaftlichen Pro-
dies aber verneint, so würde doch das Urteil über den blemen würdigen darf. Es gibt wohl kaum ein zweites
Kaiser, das mir in vielen Punkten zutreffend erscheint, Gebiet theologischer Arbeit, auf dem sich der Forthinsichtlich
der Selbständigkeit seiner Politik einer schritt, den die Reformation hringt, so mit (Rinden
Korrektur bedürfen. Diese Ausstellungen aber vermögen greifen läßt, wie das der Disputationen. Erst seit
den Dank der Fachgenossen — und für sie allein ist es | der lähmende Druck einer zu Gesetzesnormen erstarrten
geschrieben und verständlich — für das zur Mit- und theologischen Tradition verschwindet, wird die Erör-
Nachforschung anregende Buch nicht zu mindern. tcrung ernst zu nehmender theologischer Probleme, d. h.

Münster i. w. Q. 0 rützmach er. i solcher von religiöser Tragweite, wieder möglich. Dem-
____ gegenüber die trostlose Verödung des spätmittelalterlichen
Disputierbetriebes aus einer besonders reichhal-
Löhr.p. Gabriel M..O.P.: Die theologischen Disputationen und tigen Quelle veranschaulicht zu haben, ist das Verdienst
Promotionen an der Universität Köln im ausgehenden ; der Löhrschen Publikation.

15. Jahrhundert nach den Angaben des P. Servatius Fanckel, ' Freiburg i Br Gerhard Ritter.
O. P. Leipzig: O. Harrassowitz 1926. (VII, 124 S.) gr. 8°. = ! ____,