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Ausgabe:

1928 Nr. 2

Spalte:

45

Autor/Hrsg.:

Ficker, Johannes

Titel/Untertitel:

Zu Luthers Vorlesung über den Galaterbrief 1516/17 1928

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 2.

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diesem schwierigen Gebiet erst Vorarbeiten geleistet sind,
so sind wir ihm doch für seine Gabe dankbar, deren
Wert uns größer erscheinen will, als der greise Verfasser
in seiner Bescheidenheit wahr haben möchte.
Münster i. W. I leinrtch Kochendörffer.

F i c k e r, Johannes: Zu Luthers Vorlesung über den Galaterbrief

1516/17. Mit 2 Lichtdrucktaf. u. i'. Faks. Sonderdruck aus „Theologische
Studien u. Kritiken" Jahrg. 192h, Heft I. Ootha:
L. Klotz. (17 S.) 8°.

Dieser Sonderdruck aus den „Theologischen Studien
und Kritiken" 1926 bemüht sich um den Verfasser der
Nachschrift von Luthers Galaterbriefvorlesung, die H.
v. Schubert 1918 in den Abhandlungen der Heidelberger
Akademie vorlegte, und wird von Ficker zu programmatischer
Bedeutung für den Wert handschriftlicher Forschung
im Studium der Reformationszeit erhoben. Die
Methodik der Untersuchung ist für die Handschriftenforschung
vorbildlich und sollte von allen hier Interessierten
gelesen werden. Das Auftauchen des Kollegheftes
in einem Kölner Antiquariat in Verbindung mit
der Rasur des Luthernamens am Ende des Textes führte
zur Verfolgung der Beziehungen zwischen sächsischen
und kölnischen Augustinern und ließ schließlich die Persönlichkeit
des Heinrich Hymel (Humel, Hymmel) aus
Emmerich hervortreten, für' den dann die Beziehung zu
Luthers Vorlesung gewonnen wird in dem Briefwort
Luthers an Jon. Lang vom 4. Sept. 1517: fac citius
redeat apostolus adGalatas; fratris enim est de Colonia
(Enders 1, 107). Und nun galt es, den handschriftlichen
Erweis der Identität der Collegnachschrift, die wir besitzen
, mit der damals von Luther entliehenen zu führen.
In mühevollem Bemühen glückte es Ficker, einen Brief
von Hymel in Weimar ausfindig zu machen, der freilich
auf den ersten Blick ganz anders ausschaut als die
Collegnachschrift; methodische Untersuchung sucht dann
die Bedenken gegen Identifizierung zu überwinden.
Zwingend scheint mir das nicht gelungen zu sein, aber
das Gegenteil ist auch nicht zu erweisen, und die Geschichte
des Collegheftes in Verbindung mit der Briefnotiz
über Hymel drückt die Wagschale zu seinen
Gunsten herunter.

Zürich. W. Köhler.

.Medicus, Fritz: Die Freiheit des Willens und ihre Grenzen.

Tübingen: J. C P». Mohr 1926. (IV, 110 S.) 8°.

Rni. 3.20; geb. 5-,

Es sind feinsinnige und behutsame Erwägungen zu
dem Problem der Freiheit, die Fritz Medicus vorlegt.
Das Eigene, das hier zum Ausdruck kommt, ist 1. die
scharf durchgeführte Erkenntnis der Problematik, die
hier lebendig und wesentlich bleibt, und 2. der Versuch,
diese Problematik im Zusammenhang der neueren Methoden
und Ziele physikalischer Forschung zu erhellen.
Wie sich dies beides eint, bedingt den Reiz und die Bedeutsamkeit
dieses Entwurfes.

Das erste Kapitel erörtert die Fragestellung. Die
„ewigen Fragen" der Philosophie sind nicht unbeweglich
, sie erscheinen in immer neuer Gestalt. Nicht nur
die Sicherheit und Festigkeit der Wahrheit ist Besitz einer
Epoche, auch das Problematische, das den Geist
in Bewegung hält und das so die Reife des geistigen
Seins in einer Epoche charakteristisch andeutet. Die
Problematik des Geistes gehört zum notwendigen und
darum bleibenden Wesen der Menschheit. Denn der
Geist muß über sich hinausbegehren. Von hier aus
nimmt Medicus die Frage auf: In welchen Gestalten
erscheint uns heut das Problem der Willensfreiheit?
Überall sucht er „den Ernst, mit dem wir überhaupt um
ein geistiges Leben ringen", hier im Zusammenhang
der Entwicklung deutlich zu machen. Ihm spitzt sich die
Frage dahin zu: Was in der Natur als Wille sichtbar
wird, ist nichts als der Funlctionsausdruck gebundenen
Daseins, eben der Natur selbst. Dürfen wir daher vom
Willen des Menschen meinen, daß er dem Menschen

selbst gehört? D. h. einem Ich, das nicht der Natur
gehört, sondern sich selbst? Ein zweites Kapitel untersucht
dieses vermeintlich allgiltige Gesetz der unbedingten
Naturgebundenheit. Die Wissenschaft hat die Gewißheit
erreicht: die Natur erkennen heißt den Menschen
erkennen. Wie alles andere Geschehen sind die
Vorgänge im menschlichen Gehirn Prozesse der Natur.
Dieser allumspannenden Erkenntnis entgleitet alle Möglichkeit
eines Ethos. Von zwei Gedankenreihen aus,
Freiheit in der deterministischen Ethik, Gerechtigkeit
in der deterministischen Rechtsphilosophie, wird dies
sorgsam durchgeführt. Als Parallele eigener Art wird
in diesem Zusammenhang auch der theologische Determinismus
und sein Ende erörtert. Die Formel, die Carl
Stange der Gewißheit des allwirksamen Gottes gibt:
du sollst, auch wenn du nicht kannst, scheint ihm Zuflucht
der Absurdität. Aus dieser Welt des theologischen
Determinismus flüchtet der Glaube: „fort mit einem
solchen Gotte! lieber keinen Gott, lieber auf eigene
Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber
Gott sein"! (Nietzsche).

Gegen diese Anschauung setzt der deutende Versuch
von Medicus ein (im 3. Kapitel: Freiheit in der
Natur). Der Gedanke der Freiheit meint die Gewißheit
bindender Werte — im Gegensatz zur Erkenntnis der
bindenden Realitäten. Diese Bindung ist zuhöchst die
Wahrheit selbst, sie ist das Gesetz des Willens, nichts
Fremdes, „sondern sein eigenes Wesen, das ihm nur
eben nicht gegeben ist, das er nicht einfach vorfindet
, (denn dann wäre er unfrei), sondern in dem sich
immer wieder von Neuem zu finden seine Aufgabe
bleibt". Hierin wird die ganze Problematik des Menschenlebens
immer neu mächtig, denn der Wille zur
Wahrheit bedeutet das ewige Ungenügen der Menschheit
an sich selbst. „Sich als Ich erleben heißt sich überwinden
". Hier wird eine andere Sphäre sichtbar als die
Sphäre des Gegebenen. Aber (und hier setzt die Problematik
erst recht ein) wie stehen eben diese beiden
Welten zu einander? Der Ausgleich, den Kant hier
versucht, so groß er in sich gedacht ist, vergißt, daß
die Gewißheit des Ethos sich stets auf die Welt in
Raum und Zeit bezieht, eben hier und jetzt Wille und
i Tat fordert. Medicus sucht den Ausgleich in der Erkenntnis
, wie sie der Wissenschaft der Physik in der
Gegenwart sich erschließt. Es ist ein freierer Blick, der
sich dem neuen Atomismus auf tut: „Was in der Ord-
i nung der Tatsachen das Letzte ist, ist erst ein Vorletztes
! für den Begriff der wirklichen Natur; denn es gibt eine
jenen letzten Tatsachen überlegene Ursprünglichkeit.
Dein Physiker zeigt sie sich in den spontanen Änderungen
der Quantenzustände der Materie." So faßt er
das Ergebnis der wissenschaftlichen Bewegung in der
Physik zusammen. Das ist ihm kein abschließendes und
abgeschlossenes Dogma. Aber es ist die vorwärtsdrängende
Erkenntnis, die ihre Problematik aufzwingt.
In bedeutsamer Spannung der Ideen stellt sich die alte
Frage hier als eine neue Frage. Materie ist schöpferisches
Leben. „Der unruhvolle Wechsel der Quantenzustände
der nach Valenzbetätigung begehrenden Materie
" ist das Innere der Natur. Es bleibt aber ein
Nicht-von-sich-los-Werden, und dieses Gesetz der Gebundenheit
suchen wir in Kausalgesetzen zu erfassen.
„Das Bewußtsein der Wahrheit aber bezeichnet und
fordert Überlegenheit über die bloße Tatsächlichkeit des
Daseins". Das ist die Art des Menschengeistes, Freiheit
des Willens. Aber durch die Verflochtenheit in die
Natur bleibt Freiheit stets bedingte Freiheit, Spannung
und Kampf. Diesen Gedanken führt das letzte Kapitel
Freiheit und menschliche Gesellschaft noch in besonderer
Wendung durch. Die sittliche Verantwortung liegt
auf der Menschheitsgemeinschaft, und der Einzelne
trägt sie für sich, von seiner Stelle aus, in Bedingtheit,
Spannung und Kampf. So wird hier Liebe, als Weite
und Freiheit in der Gemeinschaft, das Gesetz der Wahrheit
.