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Ausgabe:

1928 Nr. 2

Spalte:

44-45

Autor/Hrsg.:

Haupt, Richard

Titel/Untertitel:

Beitrag aus der Nordmark zur Patrozinienforschung 1928

Rezensent:

Kochendörffer, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 2.

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kenntnisakt und Erkenntnisbild sind vom esse unterschieden
, auch im Engel. Das intelligere rein als solches
ist also eine gewisse deiformatio, und ist uner-
schaffen.

Von beiden Lehren weist nun Grabmann nach, wie
unerhört sie in der Scholastik seien; von der Theologia
negativa sind sie, trotz einiger Anklänge, verschieden,
weil ja nicht das Bedürfnis nach das Endliche überwindender
Überschwenglichkeit, sondern die Bestimmung
Gottes als intelligere die Wurzel der Aussage ist. Die
Zusammenhänge mit dem Pariser Averroismus aber sind
nach Grabmanns eigner Meinung hypothetisch und geben
nicht mehr her als das „Milieu", in dem man sich
das Werden solcher Gedanken verständlich machen
kann. Um so wichtiger ist es, die Bedeutung dieser
Lehren für Verständnis und Beurteilung E.s selber sich
klar zu machen. Gr. glaubt mit Recht, gegen Karrer's
apologetische Eckhartdeutung die starken Abweichungen
E.s von der thomistischen Metaphysik geklärt und
auch die Lehre von der Ungesehöpflichkeit des Seelengrundes
für E. gesichert zifhaben; er sieht dementsprechend
in der Behauptung der seinsüberlegenen Gott-
förmigkeit des intelligere eine dauernde Eigentümlichkeit
des Denkens E.s. Seinen dahingehenden Nachweisen
ist schwer zu widersprechen. Dagegen scheinen
mir zwei andre Momente der Erörterung wert: Einmal
, Grabmann glaubt, daß E. seine eigentümliche
Aufhebung des Seins Gottes später wieder preisgegeben
habe, meint also, was die Gotteslehre anlangt, lediglich
zur Entwicklungsgeschichte E.s einen Beitrag gegeben
zu haben. Zweitens, Grabmann beurteilt die zu
tage tretenden Eigentümlichkeiten E.s abfällig. E. steht
keineswegs über dem Durchschnitt der Pariser Lehrer;
im Gegenteil, sein Aristotelesverständnis ist schief und
unklar, und er hätte von Thomas da mehr lernen sollen;
sein eignes Denken ist inkonsequent und unklar.

Diese Fragen scheinen mir wichtiger als ein Eingehen auf die
Frage, oh die archa in mente 108,22 u. 110, 9 f. Grahmann wirklich
mit Grahmann als „Seelengrund" zu verstehen ist oder nicht
vielmehr mit Geyer Theologische Revue 1927 Nr. 10 S. 394
als „Idee eines Kastens im Geiste". Mir scheint Grabmann's Nachweis
gegen Karrer hinsichtlich des Seclengrunds auch unabhängig vom
Verständnis dieses Wortes zu stehen.

Was zunächst E.s geistige Größe anlangt, so
habe ich mich gewundert, wie sehr doch der eigne Standpunkt
einem verdienten Forscher den Maßstab verrücken
kann. In jener Quästio E.s über intelligere und esse in
Gott regt sich tatsächlich nichts Geringeres als ein
Stück deutschen Idealismus. E. ringt ja hier mit der
tiefsten religionsphilosophischen Frage des Idealismus:
er will Gott vom Scheine des Gegenständlichen befreien
; und er denkt, um sie zu lösen, den tiefsten Gedanken
des deutschen Idealismus, ein frei in sich selber
f schwebendes Intelligiercn, das der Grund alles Seins,
; aber selber nicht eigentlich Sein ist. Vor der Kühnheit
und Gewalt dieses Gedankens verschwindet alles, was
im Mittelalter sonst philosophiert worden ist, so unbeholfen
auch der Ausdruck E.s sein mag. Sodann aber,
was die Dauer dieses Gedankens bei E. anlangt, so ist
an sich schwer zu glauben, daß jemand, der diesen
Gedanken gebären konnte, ihn je wieder verlor. Gewiß
hat E. später einen anderen, dem Gewöhnlichen näher
stehenden, wenn auch keineswegs undialektischen
Sprachgebrauch hinsichtlich des Worts „Sein" gehabt;
wie wenig der Sprachgebrauch hier beweist, mag die Erinnerung
an Fichte's Spätzeit belegen. Schon Pfeiffer
Predigt Nr. 84, die nicht einfach negative Theologie
ist, ebenso die von Grabmann S. 80 f. aus Cues fol.
150 v/151 r wiedergegebene Stelle, erst recht manche in
Karrer's Buch von 1926 zugänglichen Äußerungen
beweisen, daß E. nur in scharfer, den ursprünglichen
Gedanken festhaltenden Näherbestimmung Gott
als Sein verstanden hat. Mir scheint im Wesentlichen
E. sich gleich geblieben zu sein. Natürlich, um genauer
den Tatbestand zu erfassen, bedürfte man der vollständi-

| gen lateinischen Schriften. Wir bedürfen jetzt ihres
schleunigen Druckes doppelt.

Nicht nur die tiefe Nähe zum deutschen Idealismus
aber zeigen die unveröffentlichten Quästionen, sondern
auch den Punkt, an dem der Weg E.s sich anders wen-
j det. S. 105, 3 ff. Grabmann vertritt E. den Satz, daß
| der Intellekt nichts von dem sein dürfe, nichts mit dem
gemein haben dürfe, was er erkenne. Das reißt die unge-
[ ffeure Kluft auf zwischen dem intelligere Gottes~und
dem gottförmigen intelligere des Frommen einerseits,
der gegenständlichen, wirklichen Welt andrerseits. Wie
ein Fremdling, dessen innerstes Geheimnis niemanden
anspricht und doch ihm selbst der Schlüssel zu allem ist,
steht der Geist in dieser Welt. Da muß dem Menschen
wohl alles, was er sonst noch ist außer dem intelligere,
als störend, hemmend erscheinen. D. h. der Heilsweg E.s,
die alles andre hinter sich lassende Einkehr in den
Grund, erscheint als der einzig angemessene. Im Idealismus
dagegen gilt der Satz, daß nicht nur die tiefste
[ und letzte, sondern überhaupt alle Erkenntnis Selbsterkenntnis
ist, der Geist nichts erkenne als das ihm Eigene,
Verwandte, als das, was er im Grunde selber ist. Da-
, nun hat Hegel, der das am folgerichtigsten durchzu-
I führen vermochte, alles Wirkliche als geisthaft nachge-
' wiesen. Dem entspricht die idealistische Frömmigkeit
I mit ihrer Neigung, das Eine als Tiefe des Lebens in
allem Wirklichen zu besitzen.

Nebenher ergibt sich also, daß man aus den wenigen
Bemerkungen der Quästionen schon E.s ganze
Frömmigkeit ableiten kann. Auch das spricht dafür,
daß er damals kein andrer war als später.

Grabmann verdient für seine Veröffentlichung wie
für seine gelehrte Erläuterung unsern aufrichtigen Dank.

Bei Abschluß der Korrektur erhalte ich Theologische Revue 1926«
Nr. 11. Dort bespricht Koch-Breslau die Ausgabe einiger der von Grab-
mann gedruckten Quästionen durch l.ongpre; wertvoll sind vor allem
Vorschläge zur Verbesserung des Te.xts S. 415. — In der gleichen
Nummer S. 441 f. führen Grabmann und Geyer ihren Streit um die
archa in mente weiter.

Göttingen. E. Hirsch.

Haupt, Richard: Beitrag aus der Nordmark zur Patrozinien-
forschung. Sonderabdruck aus Bd. 8, H. 3 d. Schriften d. Vereins
f. Sonics« .-Holstein. Kirchengesch. (Kiel: Selbstverl. d. Vereins
; durch J. M. Hansen, Preetz i. Holst.) (39 S.) 8°.

Indem Haupt die Frage stellt, ob die Namengebung
der Kirchen und die Wahl der Patrone für sie nach be-
| stimmten Grundsätzen geschehen sei, weist er den Ver-
I such von Jörgensen in dessen Werk „Den danske Kir-
kes Grundlaeggelse" (Kopenhagen 1874—1879), aus der
Übereinstimmung der Schutzheiligen ein System zu ma-
| chen und darauf förmliche Filiationsverhältnisse zu be-
J gründen, als haltlos zurück. Gleichzeitig gibt Haupt,
der schon in seinem großen Werke über die Bau- und
J Kunstdenkmäler in Schleswig-Holstein die Kirchenhei-
I ligen in Nordelbingen zusammengestellt hat, noch eine
verbesserte Liste derselben, wobei er das von Ellen Jörgensen
in ihrer Dissertation „Helgendyrkelse i Danmark
" (Kopenhagen 1909) gebotene sorgfältige Verzeichnis
der ihr bekannten Patrone der Kirchen, selbstständigen
Kapellen und der Klöster mit Nutzen heranzieht
. Aus seiner Liste, die Haupt selbst als nicht
vollständig bezeichnet, sei angemerkt, daß neben 90'
Marienkirchen die am häufigsten vorkommenden Heiligen
Nikolaus, Georg und Laurentius waren und be-
! sonders im nördlichen Schleswig verehrt wurden, während
in Angeln Maria, Johannes der Täufer und Laurentius
, zwischen Schlei und Eider lauter einzelne Heiligen
Patrone waren und die Friesen neben Nikolaus,
Maria und Laurentius nach den friesischen Chronisten
' besondere Volksheilige hatten, die aus Britannien kamen,
denen aber Kirchen nicht gewidmet waren.

Mögen auch nach Haupts Untersuchung immer noch
viele Fragen offen bleiben, weil sie einerseits überhaupt
nicht beantwortet werden können, andrerseits auf