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Ausgabe:

1928

Spalte:

604-605

Autor/Hrsg.:

Rahlfs, Alfred

Titel/Untertitel:

Paul de Lagardes wissenschaftliches Lebenswerk im Rahmen einer Geschichte seines Lebens dargestellt 1928

Rezensent:

Nestle, Erwin

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603 Theologische Literaturzeituug 1928 Nr. 26. 604

Lebenskraft (236). Mana und Wakonda können daher I tieften Fragestellung zwar nicht sehr umfassende, aber

als die „zwei Grundtypen des primitiven Begriffs von unter allen Umständen höchst wertvolle Belege geistiger

übersinnlicher Kraft" angesehen werden, und zwar hält j Religion bei den Primitiven beigebracht zu haben.

sich jenes vorwiegend an die untere d. i. unpersönliche 1 Berlin. ____ Arthur Titius.

Auffassung, dieses vorwiegend an die obere, und die | Boe hm e r, D. Dr. Julius: Das Johannesevangelium nach Aufbau
Analoga bei anderen Primitiven lassen sich unschwer und Grundgedanken. Eisleben: A. Klöppel 1928. (VIII, 252 S.)
als Zwischenformen einordnen (251). Beide Auffassun- j gr. s". Lwd. RM 6.60.
gen können für die Religion wie für die Magie in An- Das Buch bietet in knapper, auch dem Nicht-Theospruch
genommen werden. Denn Religion ist, wie stark j logen zugänglicher Weise den Ertrag der exegetischen
betont wird, keineswegs an eine persönliche Fassung Arbeit B.s am 4. Evangelium. In der Hauptsache ist
des Übersinnlichen gebunden, während umgekehrt auch ; es eine fortlaufende Erklärung. Es hat formal einen
das Persönlich-Übersinnliche immer wieder in den Dienst großen Vorzug: die einzelnen Abschnitte des Textes
der Magie gestellt wird. Nur soviel wird man sagen j werden nachdrücklich zusammengefaßt, so daß ihre
dürfen, daß die unpersönliche Fassung des Übersinn- | Grundgedanken lebendig heraustreten. Dadurch wird die
liehen dem magischen Denken näherstellt, die persön- ; Gefahr glücklich überwunden, der Kommentare leicht er-
liche dem religiösen. Diese Verteilung der beiden Typen liegen, sich in Einzelheiten zu verlieren, so daß der Text
auf bestimmte Formen des Primitiven wird man mit dem Leser schließlich ferner statt näher rückt. Inhalteiniger
Skepsis betrachten dürfen; mir wenigstens will i lieh bringt B., wenn auch mit Einschränkungen und Ahes
scheinen, als sei bei dem Zustande unserer Quellen, Wandlungen im einzelnen wesentlich das, was bei Holtz-
die doch nur sekundäre oder tertiäre sind, und bei der i mann, Heitmüller, W. Bauer zu lesen ist, nur daß er die
Eigenart des primitiven Denkens, dem unsere Begriffe religionsgeschichtlichen Fragen beiseite läßt. Das Evan-
des Natürlichen und Übernatürlichen fremd sind, der gelium ist weder von Johannes dem Zebedaiden noch
Boden viel zu unsicher, als daß so feine Unterscheid dem Jesusjünger Johannes des Papias, sondern als Gandungen
, wie die in Rede stehenden, verifiziert werden zes zwischen 100 und 120 entstanden. Die Erzählungen
könnten; damit wird der hohe Wert systematischer Typi- sind aus „synoptischen" Motiven herausgesponnen, weit-
sierung der vorgeführten Art keineswegs verringert. hin allegorisch zu deuten. Ort- und Zeitangaben sind
Ergibt sich die Idee einer unsinnlichen Kraft als bedeutungslos (S. 96) oder auch im übertragenen Sinne
gemeinsames Gut des magischen und des religiösen zu verstehen usw. Zum Schluß (S. 240) heißt es aber
Denkens, so ist damit die Verwandtschaft und Verf lech- doch: der überwältigende Eindruck des Ganzen sei
tung beider verständlich gemacht, aber der Ursprungsort derart, daß der empfangliche Leser mit Thomas anbetet
der'Religion noch nicht aufgedeckt. In dem Hochgott- und preist: mein Herr und mein Gott!

gedanken, der heute als ein verhältnismäßig frühes Er- j Rostock.___Friedrich Büch sei.

zeugnis der religiösen Vorstellungs- und Gedanken- i. Rahlfs, Alfred: Paul de Lagardes wissenschaftliches

prägung erwiesen ist, muß dieser eigenartige Faktor sich Lebenswerk im Rahmen einer Geschichte seines Lebens

aufweisen lassen. Es wird daher zunächst die Ent- ' dargestellt. Berlin: Weidmann 1028. (98 S.) gr. 8°. = Mit-

Stehurig der Hochgott-Idee der australischen Stämme teilu.igen des Septuaginta-Unternehmens d. Gesellsch. d. Wissen-

und auf den andern ethnischen Gebieten im „groben schaffen zu °™^J%*'*l;t . . aa. ,„ JSM„ 50-
.. .„,, . . , .... , ■ 11 iiuf:----- 2. Derselbe Gedächtnisrede zu Paul de Lagardes 100. Geburts-
Umriß" gezeichnet. Mit der Idee des Heilbringers f„„ . M-,.n,,vi,t„n a r-„,in u i w ■

, xr c i n ■ i j- u j iii ±± • Li 'aßä Aus: Nachrichten d. Gesellsch. d. Wissensch. zu Gottingen,
oder „Vorfahren" ist die Idee des Hochgottes nicht Oeschäftl. Mitttgn. 1927 28. [Ebd.] (16 S.) gr. 8" RM -60
identisch, obwohl beide nicht selten verschmolzen wer- jAis einer der letzten Schüler Lagardes und Fort-
den. Die Annahme des „Urmonotheismus" von Vv. fuhrer seines Haupt-Lebenswerkes" hatte A. Rahlfs in
Schmidt ist unhaltbar, weil sich die geschichtliche Aus- der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften die üe-
gestaltung der Idee in manchen Fallen noch aufhellen dächtnisrede zu Lagardes 100. Geburtstag (2. Nov.
laßt (333). Bei der Wahrnehmung des „unergründlichen 1927) zu halten. Er hat dazu außer den bekannten
Erhabenen" steht die Erfahrung des „überwältigenden Quellen auch den bis dahin verschluss en gebliebenen
Unangenehmen", mithin des Furcht auslösenden Un- | Nachlaß Lagardes durchgesehen und gibt nun im Rah-
heimlichen im Vordergründe (359), indes geht das Stre- ; men einer Geschichte seines Lebens, welche durch viele
herides religiösen Menschen schon auf sehr tiefer Kultur- kennzeichnende Einzelzüge der äußeren und inneren
stufe nicht auf etwas Egoistisches, sondern auf mysti- Entwicklung — stets mit genauem Quellennachweis —
sehen Verkehr mit dem Unsichtbaren (403 f.). Die be- beicbt ist> eine Darstellung seines wissenschaftlichen
kannte Kultlosigkeit des Hochgottes, die man aus einem Lebenswerks, unter bewußtem Verzicht auf seine poli-
Verblassen der Idee zu erklären pflegt, soll nach B. ge- tischen, kirchenpolitischen u. a. Gedanken.' Man staunt
rade ein Beweis für die Geistigkeit der Sphäre sein, , aufs Neue über die ungeheure Vielseitigkeit dieser Lein
die sie auch vom Primitiven gerückt wird (407 f.). bensarbeit, aber auch über die Sprunghaftigkeit des Au-
Letztlich sind in der Religion zwei populäre Gefühle tors, der immer neue Pläne verfolgt und die alten liegen
mit einander verbunden: das Einheits- oder Verbunden- [gßt. Nur zur Septuagintaarbeit kehrt er immer wieder
heitsgetuhl und das Abstands- oder Einheitsbewußtsein zurück und diese stellt nun Rahlfs besond ers dar, „weil
(409). Ersteres, das „kosmische" Gefühl oder die „sym- sjcb mir dabei ein ganz, neues Bild von Lagardes Septua-
biotisch-sympathehsche Grundeinstellung (185 ff.) ist ginta-PIänen ergeben hat. Ich kannte diese bisher ei-
primar und der primitiven Religion mit der Magie ge- gentlich nur in ihrer letzten Ausgestaltung und ahnte
meinsam. Aber erst wenn die Selbstverständlichkeit der nicht? daß seint Plane ;jm Laufe der Zeit eine so starke
Einordnung in das Ganze und das hierauf begründete Umgestaltung erfahren haben, wie sie sich jetzt ergeben
Gefühl sicherer Geborgenheit durch Wahrnehmung des hat" (s. 4).

„ganz Andern" zerstört ist, wobei ethische Momente oft Zuerst hat er in der „Genesis graece" (1868) dem Abdruck der

mitwirken, kommt CS ZU wirklicher Religion; hier emp- , Sixtina die wichtigsten abweichenden Lesarten beigegeben und den

findet der Mensch seine eigene Abhängigkeit — ein Plan verfolgt, auf Grund der Unzialen, der alten Übersetzungen und

Gefühl der Verehrung treibt ihn zu Gebet, Anbetung der au* den Minuskclgruppcn zu erschließenden Urh««idtchriften

und willentlichem Kontakt (380). Der Zusammenhang do" nichthexaplaritchen Text herauszugeben, sodann den hexapla-

dieser Sätze mit der heutigen Religionsphilosophic ist nschc" u"(' d.~ yerte,, d/(rJ""Kere", Ob«:rsci/.uiiKen. Die Gruppierung

deutlich; Wieweit aber die religionsgeschichtliche FOT- dcr, "a«dsch"fte„ «oll (1870) nach Kuchenprovmzcn eroigen we,

, . . . r> 6 • i , ... sich da nicht bewuot, sondern von selbst ein gewisser Text leidlich

schung die einzelnen Thesen B.s wird bestätigen können, konstant €rhaltcn haben werd<:. 187ö gpricht jedoch von offi-

muß die Zukunft lehren. Auf alle Fälle wird man B. /iellen Texten der einzelnen Provinzen, welche unter der Kontrolle

das Verdienst nicht absprechen können, der ethnolo- der Bischöfe standen und glaubte nun, nach verschiedenen Ver-

gischen Erforschung der Primitiven die entscheidenden o Pur diese ist auf Scheinanne Biographie (1919) u. Paul i-ischers

Fragen vorgelegt zu haben und für das Recht seiner ver- Auswahl (München, 1924) zu verweisen.