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Ausgabe:

1928 Nr. 24

Spalte:

558-559

Autor/Hrsg.:

Bevan, E. R.

Titel/Untertitel:

The Legacy of Israel. Essays 1928

Rezensent:

Kittel, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 24.

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Wesen Jahwes als sozialem Verbandsgott zusammenzuhängen
; auch ist die Religionsgeschichte Israels komplizierter
, als daß man sie wie M. mit der Formel der
Entwicklung von Kultus zum Ethos umschreiben und
daraus zwingend die Datierung des ethischen Dek. in
nachprofetischer Zeit ableiten könnte. Eine andere Frage
, die mit dem gegenwärtigen Material überhaupt nicht
positiv erwiesen werden kann, ist die der mosaischen
Herkunft des Dek.; sie wird durch die weiteren Ergebnisse
von M.s Buch zunächst in den Hintergrund
der Diskussion treten müssen.

Denn darin liegt der Fortschritt, den das Buch
bringt, daß die Dekalogfrage von dem ausgefahrenen
Geleise der Alternative „mosaisch oder nicht" in eine
neue Bahn geleitet wird, die der Weiterforschung wert
ist. Natürlich können hier nicht die Einwände gegen
die in M.s Psalmstudien II vorgetragene Hypothese
über das Thronbesteigungsfest und die Bundeserneuerung
erörtert werden (vgl. dazu jetzt Eißfeldt, ZAW.
1928, S. 81). Die Feststellung, daß Wesens- und Willenskundgebung
der Gottheit in der Liturgie des Bundeserneuerungsfestes
ihren festen Platz hatte, ist die fruchtbarste
Erkenntnis des Buchs. Daß die Dekaloge nicht
Gegenstand der Rechtsbelehrung, sondern Bestandteile
des Kultes im Zusammenhang mit der Epiphanie des
Bundesgottes gewesen sind, als göttliche Forderungen
vom Volk erfaßt und so zum Lebensfaktor der Religion
wurden, vermag manches Dunkel zu klären. Dabei
scheint mir der Umweg über die „Eintrittstora" nicht
nötig. M. betont die Spannung zwischen dem opus
operatum der Theophanie und der Wortverkündigung
der Gebote zu stark. Gebote als Bundesverpflichtungen
werden von dem Bundesgedanken aus direkt gefordert
und sind auch formell als Gottesforderung aus diesem
Rahmen leichter zu verstehen, als bei der Herkunft aus
der Eintrittstora, wobei eine Umformung aus Priesterworten
auf Laienfragen vorausgesetzt werden muß, und
der Übergang in die Bundesliturgie doch wieder zur
gleichen Spannung führen würde. Jedenfalls wird durch
diese Erkenntnis des „Sitzes im Leben" nicht nur das
Verständnis der Sinaierzählungen gefördert, insofern
durch die kultische Aktualität der Geschichtsdarstellung
die mannigfachen Abwandlungen historischer Traditionen
begreiflicher werden, und auch sie ihren Sitz im
Leben erhalten, sondern auch die wechselvolle Geschichte
der üekaloge, die durch einen derartigen kultischen
Gebrauch bedingt ist, wird für die Geschichte
des Sakralrechtes neue Klärung bringen können. Auch
die Frage nach der Bedeutung des Bundesgedankens und
der Bundesliturgie für die kultische und ethische Seite
der Religionsgeschichte Israels wird von hier aus neu
aufgerollt werden müssen.

Für den Dek. selbst dürfte die Frage nach seinen
mannigfachen Schicksalen im Kult jeden voreiligen Rekonstruktionsversuch
des Urtextes und die einfache
Alternative „mosaisch oder profetisch ?" in den Hintergrund
drängen. Alte Traditionen und neue Regungen
haben gewiß in den Dekalogen des Kultus ihren Niederschlag
gefunden; und da die soziale Brüderlichkeitsethik
von Anfang an zum Wesensbestand des israelitischen
Stämmeverbands gehört, stellt sich schließlich die
Frage, ob der ethische Dek. wirklich nur ein literarisches
Dasein geführt hat, oder in dem geschichtlichen Wandlungsprozeß
der Bundeserneuerungsliturgie neben der
Historisierung des Mythus sich einen „Sitz im Leben"
erworben hat.

Das Buch M.s wird die Wissenschaft noch lange
beschäftigen, vielleicht weniger durch die fertigen Lösungen
, die es bietet, als durch die Anregungen zu
neuen Fragestellungen, die darin enthalten sind.
Gaiberg bei Heidelberg. A. Weiser.

Gampert, Augnste: Le Decalogue. (Extmit de la Revue de
theologie et de Philosophie (Nr. 60, Aoiit-Novembre 1926].) Lausanne
(Genf, Rue Töpffer 11 ! Selbstverlag d. Verf.) 1926. (28 S.) gr. 8°.
Die vorliegende Schrift ist die Wiedergabe der

Vorlesung, mit der der Verfasser in Lausanne den Winterkurs
der Theolog. Fakultät der waadtländischen Frei-

; kirche im Oktober 1925 eröffnete. Mit der einschlägigen
Literatur wohl vertraut, bucht er mit sichtlicher Genugtuung
ihre neuere Phase, in der sich die Stimmen
der Verteidiger mosaischen Ursprungs des Dekaloges zu
mehren scheinen, um sich selber in einer entsprechenden
Verteidigung zu versuchen. Dabei geht er vom Grundsatz
Baudissins (Einleitung, S. 68) aus, daß die Be-

' Stimmung des Alters des Dekaloges auf literar-geschicht-
lichem Wege nicht zu finden sei, sondern nur auf reli-

j gionsgeschichtlichem. Freilich muß ich gleich seine erste
Anwendung dieses Grundsatzes beanstanden: wenn er

I nämlich gegen die bekannte Ansicht nachexilischer Ab-

I fassungszeit einwendet, daß bei dem damaligen Über-

1 gewicht ritueller und kultischer Interessen schwer ver-

I ständlich wäre, wie die Priester des zweiten Tempels
die Summe des Gesetzes in ausschließlicher moralischer

| und religiöser Form zum Ausdruck gebracht hätten
(S. 10), so dürfte ein Hinweis auf Sach. 7 f. genügen,
um zu zeigen, daß damals doch auch für solche Strömungen
Raum war. Natürlich setzt sich G. im Übrigen
mit den Bedenken auseinander, die sich bei Annahme
mosaischer Abfassung an das 2„ 4. und 10. Gebot (ref.

; Zählung) knüpfen. Er folgt der beliebten Annahme sekundärer
Erweiterung eines ursprünglich lapidaren Wortlautes
. Ohne Zweifel werden damit gewisse Schwierigkeiten
aus dem Wege geräumt; aber die größten, die

| schon in der Nennung der Bilder als solcher und des
Sabbaths als solchem liegen, bleiben m. E. unbehoben
(was diesen betrifft, vermisse ich übrigens einen Hinweis
auf die Verhandlungen über seine ursprüngliche Be-

I deutung). Es sind doch immer diese ganz konkreten Anstöße
und nicht etwa entwickelungsgeschiebtliche Axiome
(gegen solche kämpft G. mit vollem Recht), die es
Einzelnen so schwer, wo nicht unmöglich machen, an
mosaischen Ursprung zu glauben. Sollte es nicht genügen
, in Ex. 20, 3, womit sachlich das erste Gebot des
kultischen Dekaloges Ex. 34, 14 übereinstimmt, das zu

I sehen, was auf Mose selber zurückgeht?

Berlin. Alfred Bertholet.

| The Legacy of Israel. Essays by Sir G. A. Smith, E. Bevan, F. C.
Burldtt, R. T. Herford, A. Guillaume, Ch. and D. Singer, C. Box,
W. B. Selbie, N. Isaacs, L. Roth, A. Meillet, L. Magnus, C. G. Monte-
fiore. Plannet! hv the late J.Abrahams and ed. by E. R. Bevan
and Ch. Singer. With an Introduction by the Master of Bai Hol.
Oxford: Clarendon Press 1927. (XXXIX, 551 S.) 8». 10 sh.

Dies Buch, das von dem Einfluß des Judentums auf
Religion, Kultur und Geisteswelt des Abendlandes handelt
, ist ein Gegenstück zu zwei in England kurz vorher
erschienenen Werken: „The Legacy of Greece" und
„The Legacy of Rome". Dieser Band war vorbereitet
I von dem in England besonders hoch angesehenen Israel
Abrahams, dem Verfasser der „Studies in Phari-
saism and the Gospels". Er erlebte aber das Buch nicht
mehr, denn er starb schon 1925. Das Werk setzt sich
zusammen aus einem kurzen „Prologue" von A. D.
( Lindsay-Oxford (p. XXXV—XXXIX), einem geistvollen
j und inhaltreichen „Epilogue" von C. G. Monte fiore-
j London (p. 507—522), in dem dieser Führer des libe-
| ralen Reformjudentums, dessen sympathisierende Stellung
zu den Werten der Predigt Jesu aus seinem zweibändigen
Werk über die Synoptiker bekannt ist, eine
Art Programm niederlegt, und aus 13 kleinen Spezial-
abhandlungen. Unter den Verfassern sind eine Anzahl
i angesehener christlicher Gelehrter. Die kurze Angabe
| der Titel kann großenteils den Inhalt der Skizzen ohne
weiteres erschließen.

1. „The Hebrew Genius as exhibited in the O. T."
, (George Adam Smith, Principal of Aberdeen Uni-
j versity), p. 1—28.

2. „Hellenistic Judaism" (Edwyn R. B e v a n, King's
College, London), p. 29—68.

3. „The Debt of Christianity to Judaism" (F C
; B u r k i tt, Cambridge), p. 69—96.