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Ausgabe:

1928

Spalte:

550

Autor/Hrsg.:

Brockdorff, Cay Baron von

Titel/Untertitel:

Die deutsche Aufklärungsphilosophie 1928

Rezensent:

Blanke, Fritz

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 23.

550

gemeines Dankgebet" (vgl. Kling: Die Verhandlungen
der Wittenberger Versammlung für Gründung eines
deutschen evangelischen Kirchenbundes im September
1848, Berlin 1848, S. 47 u. S. 129 ff.). Ebenso fehlt
eine hierher gehörige befriedigende Untersuchung über
die wichtige Frage, wie weit Stoecker bewußt auf
Wichern fußt, der den Begriff „christlichsozial" erst
eigentlich für Deutschland geprägt hat. Auch wüßte
man gern noch mehr über den Umfang von Stoeckers
Studium der sozialen Frage, als es der kurze Abschnitt
S. 27 ff. erkennen läßt. Endlich hat sich der Profanhistoriker
die theologische Seite seiner Aufgabe etwas
zu leicht gemacht und es unterlassen, Stoeckers christlichsoziale
Anschauungen aus seinem Christentum, seiner
Frömmigkeit zu erklären. Mit den hier gebrauchten
Schlagworten von Orthodoxie, Pietismus usw. ist es
doch nicht getan. Hätte der Verfasser hier tiefer gegraben
, so hätte er die tragische Spannung in Stoeckers
Lebensarbeit zwischen reinstem Wollen und persönlichen
Schwächen noch besser herausarbeiten können.
Aber von dem allen abgesehen: Sobald F. mit dem 2.
Kapitel („Die Innere Mission als die Brücke zur
Politik. Die christlichsoziale Arbeiterpartei 1878.") mit
seiner Hauptaufgabe beginnt, Stoeckers politische Wirksamkeit
darzustellen, bewegt er sich auf dem sicheren
Boden einer guten Kenntnis der inneren deutschen Geschichte
in der ausgehenden Ära Bismarcks und der beginnenden
Ära Wilhelm II. Auf Grund sorgfältiger
Quellenstudien im Preußischen Geheimen Staatsarchiv,
wo der größte Teil des handschriftlichen Nachlasses
Stoeckers liegt, im Preußischen Kultusministerium und
Innenministerium, im Evangelischen Oberkirchenrat und
im Preußischen Hausarchiv hat F. viel neues Material
zur Kenntnis der innerpolitischen Geschichte dieser Zeit
beigebracht. Ebenso ist die in Frage kommende Literatur
bis zu den neuesten Memoirenwerken der Nachkriegszeit
, soweit ich sehe, vollständig verwertet worden.
Die weiteren Kapitelüberschriften mögen eine flüchtige
Vorstellung von dem Verlauf der Darstellung vermitteln
. 3. Kap. „Stoeckers Anschluß an die konservative
Partei und sein Kampf gegen das moderne Judentum
. Die Stellung Bismarcks und Wilhelm I. zur
antisemitischen Agitation (1879/80)". 4. Kap. „Die
Berliner Bewegung auf ihrem Höhepunkt (1881/84)".
5. Kap. „Prediger und Politiker. Der Prozeß Baecker
und die Rettung Stoeckers durch Prinz Wilhelm
(1885)". 6. Kap. „Bismarck und die Kreuzzeitungspartei
. Der Kampf um den Kaiser. Stoeckers Sturz.
(1886/90)". 7. Kap. „Die deutsch-konservative Partei
auf Tivoli und die Sezession des radikalen Antisemitismus
von Stoecker (1891/93)". 8. Kap. „Die Sezession
der jungen Christlichsozialen unter Naumann und
Stoeckers Ausscheiden aus der konservativen Partei. Die
Ächtung der christlichsozialen Bewegung durch den
Kaiser. (1893/96)".

Dem Gesamtergebnis, zu dem F. gelangt,
daß Stoecker wohl ein hochbegabter Agitator, aber kein
begabter Politiker und Organisator gewesen ist, wird
niemand seine Zustimmung mehr versagen können, der
die in diesem Buch beigebrachten Tatsachen vorurteilsfrei
auf sich wirken läßt. Die überschwänglichen Urteile
über Stoecker, die man aus dem Munde begeisterter
Anhänger noch heute hören kann, z. B. daß Stoecker
jeder Zeit fähig gewesen wäre Reichskanzler zu werden,
kommen nun hoffentlich endgiltig zum Schweigen. Der
Nachweis, daß Stoecker sich dazu hinreißen ließ, mit
eines Christen unwürdigen politischen Mitteln Zwietracht
zwischen Bismarck und Wilhelm II. zu säen,
wird hier unwiderleglich geführt, (vgl. besonders S.
235 ff.). F. hätte ferner noch darauf hinweisen können,
wie kleinlich Stoecker nach Bismarcks Sturz über diesen
Riesen geurteilt hat, in dem er sich erkühnte, ihm den
Ruhm streitig zu machen, der Gründer des Deutschen
Reiches zu sein. (vgl. A. Stoecker: Wach' auf, evangelisches
Volk, Berlin o. J. S. 416). Mit wie sicherem,
man möchte sagen lutherischem Instinkt hat dagegen

< Bismarck über Stoecker geurteilt: „Ich habe nichts gegen
Stoecker; er hat für mich nur den einen Fehler als Politiker
, daß er Priester ist, und als Priester, daß er Politik
treibt" (Gedanken und Erinnerungen, 3. Bd., Stuttgart
und Berlin 1919, S. 19). Zur Charakteristik vieler
anderer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens jener
Zeit bietet F. wertvolle Beiträge: Adolf Wagner, Nau-

| mann, von Hammerstein u. a. m. Auch von Mirbach,
der Stoecker fallen ließ, sobald er bei Hofe in Ungnade
gefallen war, wird treffend charakterisiert (vgl. S. 8,
184, 383 f. u. ö.). Ebenso wird die schwankende Stellung
des Oberkirchenrates zur christlichsozialen Sache
beleuchtet, die sich allzusehr an die jeweilige Stimmung
der Regierung anlehnte. Die wohltuende Sachlichkeit,

I der sich die ganze Darstellung befleißigt, ist um so
mehr anzuerkennen, als der Verfasser von sich bekennt,

1 daß er der politisch-kirchlichen Richtung Stoeckers nicht
angehört (S. 9).

Die reichhaltigen Anmerkungen und das sorgfältige Namen-
I Verzeichnis am Schluß geben einen Eindruck von dem auf diese
I treffliche Arbeit verwandten Fleiß. Nur zwei Versehen in der Schreibung
von Eigennamen sind mir aufgefallen: Blankenburg statt
I Blanckenburg (S. 96 u. 443) und Hinkeldey statt Hinckeldey (S.
244 u. 445). Alles in allem ein Werk, das heute weitgehendste Beachtung
verdient.

Hamburg.__Martin O e r h a r d t.

Baron von Brockdorff, Prof. Cay: Die deutsche Aufklärungsphilosophie
. Mit Bildn. Friedrichs d. Gr. u. Christian Wolffs.
München: E. Reinhardt 1926. (1S0S.) 8°. = Geschichte d. Philos.
in F.inzeldarstellgn., Abt. VI: Die Philos. d. neuesten Zeit III, Bd. 26.

RM 3.50.

Wer zu denen gehört, die nur eine abstrakt-steife
Sprache für die einer philosophischen Darstellung entsprechende
Ausdrucksform gelten lassen, der wird „Die
deutsche Aufklärungsphilosophie" von Cay von Brockdorff
vermutlich ablehnen. Denn dies Buch schreitet im
| Gewände einer sehr verständlichen, lichten Sprache ein-
! her. M. E. ist das nur ein Vorzug, allerdings vorausgesetzt
, daß diese Sprache die Ausdruckstiefe besitzt, um
auch schwierigeren Fragen gerecht zu werden. Man
I kann nun leider diese letzte Eigenschaft der Dar-
! Stellungsform v. Brockdorffs nicht eben nachrühmen.
J Zwar, wenn er die Philosophie Christian Wolffs oder
| Moses Mendelssohns, die philosophische Entwicklung
; Friedrichs des Großen oder die aufklärerische Pädagogik
beschreibt, dann gibt er ein Bild, das die Pro-
I bleme wirklich aufhellt. Dagegen gegenüber der tieferbohrenden
Denkarbeit z. B. eines Lessing, eines Hamann
und Herder versagt seine Kunst. Daß Lessing nur
I scheinbar die Ungeschichtlichkeit der Aufklärung über-
J wand (vgl. meinen Aufsatz „Hamann und Lessing" in
Zeitschr. für Syst. Theol. VI, 1), wird nicht hervorge-
: hoben, in der Entwicklung Herders werden wesentliche
Punkte übersehen, die Schilderung Hamanns trifft das
Entscheidende nicht. Man wird dem Verf. zugutehalten
| müssen, daß er sich der nicht leichten Aufgabe gegenübersah
, auf engem Raum viel zu sagen. Dieser Aufgabe ist
i er nur stellenweise gewachsen gewesen.

Königsberg (Pr.).___Fritz Blanke.

Buchwald.D. Georg Ein Katechismusjahr. Tägliche Andachten
nach dem Kleinen Katechismus aus Luthers Schriften ausgewählt.
| Mit Oeleitw. v. Ludwig I Ii m e 1 s. Gütersloh : C. Bertelsmann 1927
(363 S.) kl. 8». geb. RM 4-.

Ein besonderer Gedanke ist hier zur Ausführung gekommen.
Der bekannte Lutherforscher hat ein Aiidachtsbuch aus Lutherworten
zusammengestellt, und zwar in geschmackvoller Weise, angeschlossen
, an den Gang des kleinen Katechismus. Jede Andacht fügt sich wie in
anderen Andachtsbüchern an einen oder zwei Sprüche der Schrift an,
dazu tritt ein Satz aus dem Katechismus, woran ein passendes ausführliches
Wort Luthers, dessen Fundstelle im Anhang nachgewiesen
ist, und ein Liedervers angeschlossen ist. Für die Sonntage sind
Lutherworte zu den Perikopen gewählt. Ihmels hat dazu das Vorwort
geschrieben, in dem er den Wunsch ausspricht, daß man vor allem
wieder Schüler des Lutherschen Katechismus sei, wie Luther lebenslang
selbst ein Schüler des Katechismus geblieben sei.

In Kreisen, in denen das Lutherische besonders betont wird,
wird das Büchlein gute Aufnahme finden.

Ahlden/Aller. E. W. Büß mann.