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Ausgabe:

1928 Nr. 23

Spalte:

548-550

Autor/Hrsg.:

Frank, Walter

Titel/Untertitel:

Hofprediger Adolf Stoecker und die christlich-soziale Bewegung 1928

Rezensent:

Gerhardt, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 23.

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Parabel, sodann charakteristische Züge der Lehrweise
Jesu, wie sie dann auch in der Lazarusparabel nachgewiesen
werden, nämlich das Pädagogische und die
Ironie in den Worten Jesu. Als drittes Thema könnte
man noch den Geist des Pharisäismus bezeichnen, das
in einem Unterabschnitt skizziert wird und zur Vorbei
reitung der neuen Erklärung des Gleichnisses nötig ist.

Von einem organischen Aufbau des Ganzen kann gleichwohl
nicht die Rede sein. Das lehrt schon ein Blick auf die Kapiteleinteilung
: I. Verschiedene Erklärungen des Gleichnisses (eine interessante
, aber nicht erschöpfende Übersicht, die übrigens noch einen
Exkurs über die Beurteilung des Reichtums bei Jesus enthält); IIa.
Der Zusammenhang, worin das Gleichnis vorkommt (kurze Erklärung
von Lc. 16, 1—18); IIb. Pädagogische Züge im Unterrichte Jesu (mit
sehr loser Beziehung zur Parabel.); II c. Ironie in den Worten Jesu;
II d. Der Geist des Pharisäismus; III. Eine neue Erklärung des Gleichnisses
vom reichen Mann und armen Lazarus.

Unser Hauptinteresse richtet sich auf die „neue Erklärung
". Sie geht dahin, daß unter dem reichen Mann
das reiche Pharisäertum zu verstehen ist und
unter dem armen Lazarus der fromme Arme, der von
den Pharisäern als „Sünder" verachtet wird. v. Rh. hat
sich große Mühe gegeben, diese originelle These zu
rechtfertigen. Er beruft sich allererst auf den Zusammenhang
bei Lukas, der ja deutlich antipharisäisch
ist (vgl. bes. 16, 14) und die Pharisäer als „geldgierig
" geißelt, weiter auf den finanziellen Wohlstand
der Pharisäer, ohne den ihr System ja unhaltbar und
unrealisierbar gewesen wäre, wobei freilich noch hinzukommt
, daß die Pharisäer sich auch für „geistlich
reich" hielten; endlich auf den pharisäischen Geist der
Parabel, die Vergeltungslehre und den Biblizismus (Gesetz
und Propheten), der nun eben — und das ist die
Ironie, die in der Parabel heraustritt, hervorgeholt ist,
um den Pharisäismus zu vernichten: die Vergeltungslehre
und der Biblizismus können nur zur Verdammung
der Pharisäer führen. Außerordentlich lebensvoll und
anschaulich wird das alles vom Verf. ausgeführt.

Freilich halte ich nach wie vor diese Auslegung für
unannehmbar. Was den „Zusammenhang" angeht,
so beweist die Stoffanordnung und die Bemerkung über
die Geldgier der Pharisäer nur die Anwendung, die der
Evangelist der Parabel zu geben wünscht, v. Rh.
hat sich leider nicht im geringsten um die deutschen
Forschungen über die Komposition der Evangelien gekümmert
und hat auch von sich aus nicht gesehen, wie
künstlich die Sprüche und Gleichnisse oft zusammengestellt
sind, so daß eine Hauptregel für die Erklärung
der meisten Logien und fast aller Parabeln ist, daß sie
zunächst aus sich selbst zu erläutern sind und daß Zusammenhang
und Einleitung zunächst nur die subjektive
Meinung des Evangelisten oder irgend einer für uns
nicht maßgebenden Tradition wiedergeben.

Aus der Parabel selbst ist aber der Einwand zu erheben
, daß die eine Hauptfigur lediglich als profan gesinnter
Reicher gezeichnet ist, etwa wie der reiche Bauer
in Lc. 12 und die „Reichen" in den Weherufen Lc. 6.
Vom Phärisäer keine Spur. Was v. Rh. hier wahrzunehmen
meint, ist alles m. E. willkürliche Einlegung.
Es kommt hinzu, daß Reichtum und Besitz für den
Pharisäer und den pharisäischen Schriftgelehrten keineswegs
typisch ist, was vorauszusetzen wäre, wenn ein
„Reicher" in einer Geschichte ohne weiteres als Pharisäer
zu erkennen wäre. Nach Josephus Ant. XIII 10, 6
§ 298; XVIII 1, 3 § 12 ist gerade Bedürftigkeit das Kennzeichen
des Pharisäers. Natürlich hat es auch wohlhabende
Pharisäer gegeben und reiche Schriftgelehrte,
aber sie werden eher Ausnahmen als Typen gewesen
sein. Typisch war der Reichtum bei den Sadduzäern
und bei den sog. „Epikuräern", den Religiösgleichgilti-
gen und Unbekehrten. Zu dieser Gruppe gehört der
Reiche der Parabel, wie vor allem aus dem Schlußgespräch
hervorgeht, das ich mit v. Rh. für einen integrierenden
Bestandteil der Erzählung halte. Es wäre
eine große Ungerechtigkeit gewesen, einen Pharisäer
einfach als hartherzigen reichen Mann zu zeichnen:

reiche Pharisäer gaben doch vor allem Almosen; wenn
auch ostentativ Mt. 6, 1 ff., sie gaben sie doch. Die
schlimmste Eintragung, die sich v. Rh. hier erlaubt,
ist das Motiv des geistlichen Reichtums und das der
Verachtung des Armen als eines Sünders und Am-haarez.
Davon ist in der schlichten Erzählung auch nicht das
Geringste angedeutet.

Dann fällt auch die Anschauung dahin, daß Jesus
die Pharisäer mit ihren eigenen Waffen schlage. Der
Vergeltungsgedanke ist gewiß pharisäisch; aber in diesem
Lehrstück teilt eben Jesus die pharisäische Weltanschauung
: nach beiderseitiger Lehre gehört der
gottlose Reiche in die Hölle. Jesus fügt nun hinzu:
auch der Pharisäer — nur lehrt er das nicht in dieser
Parabel. Die Bemerkung über die Zwecklosigkeit einer
Sendung des Lazarus berührt sich gewiß mit der gegen
die Pharisäer gerichteten Weigerung eines Zeichens, ist
aber hier aus der Situation der Erzählung motiviert.
Ohne jede antipharisäische Note erklärt er sich für die
auch von den Pharisäern gelehrte Suffizienz von Gesetz
und Propheten, ein Motiv, das durchaus „vorchristlich"
ist und die Ursprünglichkeit des Schlußgesprächs beweist
(es liegt weder ein Hinweis auf den auferweckten
Lazarus Joh. 11, noch ein Hinweis auf die Auferstehung
Jesu darin).

Ist das richtig, dann ist auch in unserem Text nicht so viel
offene und versteckte Ironie vorhanden, wie v. Rh. annimmt. Was
er über die Ironie bei Jesus ausführt, ist sehr lesenswert, aber doch
nicht abschließend. Schon Dr. H.A. Wests träte hat in Stemmen
des Tijds (XIV. Band 1Q25, 186—195) gezeigt, daß in der von
v. Rh. angeführten Reihe von ironisch gemeinten Aussprüchen Abstriche
gemacht werden müssen, und daß das ironische Element in
einer Profetenpredigt überhaupt problematisch ist. v. Rh. hat daher
auch in der 2. Aufl. einige Beispiele fallen lassen. Ich glaube, daß
ein Bestand von ironischen Worten anzuerkennen ist. Es sind das
aber alles Worte, die durch ihre Scharfe eher verhärtend und verbitternd
, als aufschreckend und aufhellend wirken mußten.

Auch in dem Abschnitt über die pädagogischen Züge im
Unterrichte Jesu findet sich neben einigen schönen und treffenden
Skizzierungen der pädagogischen Haltung Jesu in bestimmten Situationen
manches Zweifelhafte. Es ist doch sehr die Frage, ob wirklich
durch die Evangelien hin eine pädagogische Leitung der Jünger
durch Jesus nachweisbar ist. v. Rh. hätte Wrede's Anschauung nicht
als die eines Stubengelehrten abweisen dürfen. Richtig ist dagegen
das pädagogische Element in den Gleichnissen und in all den Texten
aufgewiesen, wo Jesus an die eigene Einsicht des Menschen appelliert.

Alles in allem: die Hauptthese ist interessant, aber
nicht zu halten. Das Buch kann die Forschung anregen,
auch wenn man die Resultate vielfach ablehnen muß.
Ich wünschte trotz allem, daß es auch in Deutschland
gelesen würde. In einer etwaigen dritten Auflage wird
der Verf. des verdienstlichen Buches sich hoffentlich mit
den Einwendungen, die gegen seine Exegese zu erheben
sind, ernstlich auseinandersetzen (und daneben vielleicht
auch den ganz unvollständigen Titel: Schlatter, Jocha-
nan S. 97 ergänzen, so daß auch der Nichtfachrnann
weiß, was gemeint ist.)

Leiden. H. Windisch.

Frank, Walter: Hofprediger Adolf Stoecker und die christlichsoziale
Bewegung. Mit 4 Bildbeilagen (Taf.). Berlin: R. Hobbing
1928. (450 S.) gr. 8°. RM 10—; geb. 12—.

Ein Schüler von Müllers in München legt hier eine
Dissertation von außergewöhnlichem Umfang und, so
darf hinzugefügt werden, von außergewöhnlicher Bedeutung
vor.

Ein kurzes 1. Kapitel schildert „Stoeckers Aufstieg
zum Hofpredigeramt" (S. 13 ff.; warum sind übrigens
die Kolumnentitel dem Inhaltsverzeichnis nicht eingefügt
worden?). Gerade hier ist noch manches schief
und lückenhaft. Worauf fußt z. B. die Behauptung des
Verfassers (S. 18), daß der Wittenberger Kirchentag
im Jahre 1848 ein allgemeines Dankgebet für die Oberwindung
der Revolution ausgeschrieben hat? Auf dieser
Tagung ist vielmehr ein Antrag Ludwig von Gerlachs,
eine Kundgebung gegen die Revolution zu erlassen, abgelehnt
worden. Der „Ruf zur Buße" aber, der damals
ausgegeben wurde, war alles andere als ein solches „all-