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Ausgabe:

1928 Nr. 22

Spalte:

524-526

Autor/Hrsg.:

Nadel, Arno

Titel/Untertitel:

Der Ton. Die Lehre von Gott und Leben. Religiöses Gedichtwerk 1928

Rezensent:

Günther, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 22.

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drucken lassen. Die mariologischen Konsequenzen, die
der Verf. an gewisse Äußerungen dieser Notabilia knüpft
(S. 192 ff.), scheinen mir einstweilen höchst zweifelhaft
zu sein. — 5. Nun aber sind die angegebenen Textgattungen
in der großen Mehrzahl der Handschriften durch
einander gemischt worden in dem Interesse, einen einheitlichen
und lesbaren Text zu gewinnen. Ordinationen
und Reportationen werden in eins zusammengezogen.
Das Gleiche tut man mit den mannigfachen Additionen,
und die Mischung kommt dann in den Haupttext. Nicht
minder werden Reportationen mit einander vermischt
und Additionen mit in das Textgemenge hereingezogen.
Die Kontamination verschiedener Überlieferungen und
die willkürliche Ergänzung der wirklichen oder scheinbaren
Lücken eines Textes hat schon früh in weitestem
Umfang neue Mischtexte entstehen lassen. Dies Verfahren
setzte sich dann in den Schulkreisen der Skotisten
fort und ging auch in die älteren und späteren Drucke
über. Man versteht jetzt die großen Schwierigkeiten, den
wirklichen Text des Duns Scotus aus diesem Gewirr
herauszustellen. Für keines der Bücher ist der Ordi-
nationstext lückenlos zu gewinnen, der zudem selbst
vielfach durch Änderungen und Einschübe modifiziert
sein kann. Man wird also nur durch eine unendlich mühsame
Kleinarbeit den von Duns selbst festgestellten oder
doch von ihm genehmigten Text (bei den Reportationen)
auffinden können. Dies an einer großen Anzahl von
Handschriften nachgewiesen zu haben, ist der wesentliche
Ertrag des vorliegenden Buches. Ehe diese Arbeit im
Einzelnen durchgeführt ist und ehe wir nicht nur Bäume
sondern auch den Wald sehen, lassen sich große Überblicke
über die Normen dieses Verfahrens und die besonderen
Methoden zu seiner Durchführung nicht gewinnen
, es sei denn, daß man sich mit den allgemeinen
Regeln der Textkritik zufrieden gibt.

Unsere Erkenntnis über den Lebensgang des Duns
Scotus hat sich neuerdings erheblich erweitert. Die kritische
Handschriftenforschung unseres Verfassers hat
diese Erkenntnis teils genauer begründet, teils erweitert.
Ich glaube einem Wunsche der Leser zu entsprechen,
wenn ich in Kürze seine Darstellung des schriftstelle- |
rischen Lebensganges des Duns wiedergebe. — Der
Verf. urteilt mit mir, daß wir das Geburtsjahr des Duns I
zwischen 1265 und 1270 anzusetzen haben. Das Datum
des Todes ist sicher bezeugt, 8. November 1308 in
Köln. Um 1298 hat er in Oxford die Sentenzen zu bearbeiten
begonnen. Er hat das erste Buch ausgelegt, es J
ist nicht unmöglich, daß uns dieser Entwurf zum ersten ■
Buch noch handschriftlich erhalten ist (S. 56 ff. 253 ff.).
In Oxford hat sich Duns auch mit einigen Teilen des ,
2. und 3. Buches der Sentenzen beschäftigt. 1302—1303
hat er in Paris das 1. und 4. Sentenzenbuch bearbeitet. I
1303 hat er Paris verlassen. Nach Balie sei er nach Bologna
gezogen, aber die Gründe, die er hierfür an- i
führt, beweisen in. E. nichts. Es ist viel wahrscheinlicher
, daß er nach Oxford zurückgekehrt ist. 1305 ist er
wieder in Paris, geht aber zu Ende des Jahres wieder 1
nach Oxford. Er beschäftigt sich hier besonders mit |
dem 4. Sentenzenbuch und wird sich jetzt wie schon in j
den Jahren 1303 und 1304 mit der Ausarbeitung seines ;
großen Hauptwerkes befaßt haben. 1307 ist er wieder
in Paris. Gegen Ende dieses Jahres tritt er die Reise
nach Köln an, von der er nicht zurückkehren sollte.
In den Oxforder Jahren wird also das große Hauptwerk
entstanden sein. Während der Pariser Aufenthalte werden
die verschiedenen Reportata über die Sentenzen, die
uns handschriftlich erhalten sind, aus seinen Vorlesungen
hervorgegangen sein.

Das Buch von Balie stellt uns vor eine Problematik
von geradezu verwirrender Fülle. Hierin besteht
seine große Bedeutung für die Geschichte der mittelalterlichen
Theologie. Nicht alles, was er vorträgt, ist
als sicher begründet anzuerkennen, aber es ist immer anregend
. Das Rätsel, wie ein Mensch in zehn Jahren
neben großen philosophischen Werken seine theologischen
Riesenleistungen hat zustande bringen können,
wird uns doch klarer, wenn wir hören, daß Duns immer
wieder in dieser Zeit über Sentenzen gelesen hat und
daß er dabei von einem Kreise befähigter Schüler und
Mitarbeiter umgeben war. Ich wünsche dem Verf. einen
glücklichen Fortgang seiner Studien auf dem von ihm betretenen
Gebiete, sowie daß ihnen der Erfolg beschieden
sei, das hochverdiente Herausgeberkollegium zu Quar-
acchi zu einer kritischen Ausgabe der Werke des Duns
Scotus zu veranlassen.
Berlin-Halensee. R, Seeberg.

j Alt haus, D. Paul: Evangelium und Leben. Gesammelte Vortrüge
. Gütersloh: C. Bertelsmann 1927. (VII, 190 S.) gr. 8°.

R.M 5.50; geb. 7 .

Eine Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen, die
schon veröffentlicht wurden, zwei davon sind neu durchgearbeitet
. Das Buch wendet sich nicht nur an Theologen
, sondern möchte einem weiteren Kreise dienen.

Der erste Vortrag: Erkenntnis und Leben, ist eine
j Festvorlesung vor Studenten, in der die Spannung zwi-
| sehen Erkennen und Leben und ihre Überwindung aufgezeigt
werden. — Der zweite Aufsatz vom Sinn der
Theologie ist im Universitätsbunde vorgetragen und will
die Notwendigkeit der Theologie in der heutigen Zeit
i nachweisen. — Die akademische Antrittsrede: Christentum
und Geistesleben, behandelt einen ähnlichen Stoff,
die Aufgabe der Theologie für das heutige Leben. —
Die vierte Nr. ist für das apologetische Seminar zu
Wernigerode bestimmt und spricht über den Anthropo-
morphismus des Gottesgedanken. — Der folgende redet
von der Bedeutung des Kreuzes im Denken Luthers,
woran sich passend anschließt: Das Kreuz Christi als
Maßstab aller Religion, auch eine Apologie, die den
Reichtum an Erkenntnis und Wahrheit, der im Kreuze
Christi gegeben ist, andeuten möchte. — Der siebente
Teil, überschrieben: Die Kirche, führt aus, daß für jeden
die Kirche in der Ortsgemeinde vorhanden ist und erst
von da aus der Blick in die Weite, zu der Kirche, die
der Leib Christi ist, geht. — Die beiden vorletzten Vorträge
behandeln zeitgeschichtliche Fragen, der eine:
Protestantismus und deutsche Nationalerziehung, ein
Vortrag, der vor der interkonfessionellen Fichtegesell-
schaft gehalten ist; der andere: Kirche und Volkstum,
ist auf dem Königsberger Kirchentage gehalten. Bei
dem ersten nimmt etwas Wunder, daß darin gar nicht
auf Fichte, der in seinen Reden „das Deutsche" besonders
betont, Bezug genommen wird. Im Übrigen werden
in diesem Vortrag Gedanken ausgesprochen, denen
ich nur zustimmen kann, da ich vor mehr als 20 Jahren
in dem grundlegenden Teil meiner Diasporakundc sie
ähnlich ausgesprochen habe. — Der Vortrag auf dem
Kitchentage ist allgemein verbreitet worden. Er wendet
sich besonders gegen die völkische Verwerfung alles
„Undeutschen" in der Religion und zeigt klar, wie
falsch solche Forderungen sind. Beide Vorträge sprechen
auch in vorbildlicher Weise von der „blutenden
Wunde" unseres Vaterlandes, der konfessionellen Spaltung
. — Der letzte mit wissenschaftlichen Anmerkungen
versehene Aufsatz: Luthers Verhalten im Bauernkriege,
will einen Beitrag zur Sozialethik geben und sucht mit
neuen Mitteln die These Briegers zu erhärten: Hier erreicht
Luther den Gipfelpunkt seiner Größe.

Die ganze Sammlung wird nachdenkenden Lesern
viel Anregung und Klärung bringen. Die Aufsätze lesen
sich leicht, und es ist der Sammlung ein weiter Leserkreis
zu wünschen.
Ahlden/Aller. E. W. B u II in a n n.

Nadel, Arno: Der Ton. Die Lehre von Gott und Leben.

Religiöses Gedichtwerk. Berlin: F. Stössingcr 1926. (734 S.)

kl. 8°. geb. rm 17.50.

Ders.: Der Sündenfall. Sieben biblische Szenen. Ebd. 1926.

(103 S. m. e. Titelbild.) gr. 8». geb. RM 6.50.

1. Der „Ton" wird einem beigegebenen Umschlag zufolge in
der „Tat" als der größte Gottesgesang der modernen Zeit bezeichnet.
Der Vf., von der Bedeutung des Werkes nicht minder durchdrungen,