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Ausgabe:

1928 Nr. 21

Spalte:

497-498

Autor/Hrsg.:

Brackmann, Albert

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte der Hirsauer Reformbewegung im XII. Jahrhundert 1928

Rezensent:

Lempp, Eduard

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497

Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 21.

498

„Sakrament", und der Vorsatz ging — mit Billigung der Kirche —
dahin, das „Sakrament" selber erst später, ja möglichst spät zu
empfangen. Und wie stimmt die Behandlung der schwersündigen
höheren Kleriker mit der tridentinischen Lehre?

Diese Unstimmigkeit, die ich selbstverständlich nur
um der inneren Logik der Dinge willen zur Sprache
bringe, ist der tiefere Grund, weshalb soviele Fachgenossen
P.s, namentlich ex societate Jesu, sich schon
gegen die Annahme der geschichtlichen Tatsachen sträuben
und die dogmatische Brille schon aufsetzen, wenn
sie an die Quellen herangehen, während P. zunächst die
Quellen unbefangen zu Wort kommen läßt und erst
dann die Ergebnisse mit dem Dogma oder dieses mit
jenen in Einklang zu bringen sucht. Der Unterschied
zwischen der öffentlichen Buße und dem, was man
irrigerweise kirchliche Privatbuße genannt hat, liegt aber
nicht darin, daß jene ein Sakrament war, diese nicht,
sondern darin, daß die öffentliche Buße unter Leitung,
Aufsicht, Zuspruch der Kirche stattfand, die dann auch
ein Urteil über die wahrscheinliche Wirkung der Bußleistung
abgab, während im andern Fall der Büßer sich
selbst überlassen und das Urteil Gott anheimgestellt
blieb. Auch bei der öffentlichen Buße gab es keine
„Lossprechung" im späteren Sinne — was Firmilian von
Cäsarea in seinem Briefe an Cyprian ausspricht, ist
Grundgedanke der alten Kirche, ep. 75, 4 (812, 24):
„lapsis quoque . . . per paenitentiam medella quaera-
tur, non quasi a nobis remissionem peccatorum conse-
quantur, sed ut per nos ad intelligentiam delictorum
suorum convertantur et Domino plenius satisfacere co-
gantur" —, sondern nur eine Beurteilung der geleisteten
Buße. In diesem Sinne wurden Mt. 16, 19. 18, 18.
Joh. 20, 22 f. auch auf die Tätigkeit der Kirche beim
Bußverfahren angewandt, nachdem diese Stellen zuerst
nur von der Taufe verstanden worden waren. Das
war der Ansatz zur Sakramentsbildung, der aber sich
erst auswirken konnte, als das kirchliche Bußverfahren
mit der aus dem Mönchtum hergekommenen und nach
und nach auch in andern Kreisen verbreiteten sog.
„Devotionsbeichte" zusammenfloß. War die Buße vorher
etwas Nichtseinsollendes im vollen Sinne des Wortes
, so verlor sie jetzt, auch wenn der zur Redensart gewordene
Gedanke beibehalten wurde, das Brandmal der
Schande und rückte auf in den Stand eines heiligen
Sakramentes, das beliebig oft empfangen werden konnte
und bei einer Todsünde empfangen werden mußte.

Ich habe mir zu P.s hervorragendem Werke teils
zur Unterstreichung oder Abtönung dieser und jener Gedanken
, teils zur Verbesserung kleiner Versehen eine
Anzahl Bemerkungen gemacht, die ich aber unterdrücke,
um die ohnehin etwas lang geratene Anzeige nicht noch
weiter auszudehnen. Erleichtert wird sein Gebrauch
durch ein „Systematisches Sachregister" mit 17 Nummern
und zahlreichen Unterabteilungen und ein „Alphabetisches
Autoren- und Quellenregister". Eine weitere
Untersuchung, die sich vor allem mit dem Übergang von
der altkirchlichen zur späteren Bußform befassen soll,
hofft der Verf. „in nicht zu langer Zeit vorlegen zu
können". Wir dürfen uns auch von ihr eine Bereicherung
unseres Wissens versprechen.

München. Hugo Koch.

Brackmann, Albert. Zur Geschichte der Hirsauer Reformbewegung
im XII. Jahrhundert. (Aus d. Abhdlgn. d. Prcnss.
Akad. d. Wissensch., Jg. 1027. Phil.-hist. KI., Nr. 2.) Berlin:
W. de Gruyter & Co. in Komm. 1028. (32 S. m. 0 Taf.) 4°.

KM 8.50.

Auf Grund von sehr sorgfältigen, geschichtlichen und paläo-
graphischen, durch photographischc Abbildungen unterstützten Untersuchungen
werden die frühesten Urkunden und geschichtlichen Aufzeichnungen
der Klöster Muri und Engelberg durchforscht und die
darin vorkommenden Fälschungen nachgewiesen. An diesen Einzelbeispielen
, die mit zahlreichen Hinweisen auf analoge Vorgänge in
andern Klöstern jener Zeit begleitet sind, wird gezeigt, wie diese
Fälschungen und die von gleicher Absicht eingegebenen und erfüllten
geschichtlichen Aufzeichnungen einer Gewohnheit der damaligen Zeit
entsprachen und die Tendenz hatten, die ursprünglich nicht vorhandene
Freiheit der Klöster von den Familien ihrer Stifter zu behaupten,

I und wie darin der Geist der Hirsauer Reformbewegung, die in jene
I Klöster Eingang gefunden hatte, zum Ausdruck kommt, aber doch
j der Geist Hirsaus in seinem Niedergang im 12. Jahrhundert. „Die
große Zeit der ersten religiösen Begeisterung war mindestens seit dem
Wormser Konkordat vorbei." Die stärkere religiöse Kraft von Citeaux
und Premontre löste die von Cluny und Hirsau ab. Lehrreich ist es
I zu sehen, wie wenig man sich damals, auch in den Reformklöstern,
| ein Gewissen daraus machte, Geschichte zu fälschen, wenn es zum
Vorteil des eigenen Klosters wünschenswert erschien.

Stuttgart.__Ed. Lempp.

Überweg, Friedrich: Grundriß der Geschichte der Philosophie
. Tl. 2: Die patrist. u. scholast. Philosophie. 11., neubearb.
u. tu. e. Philosophen- u. I.iteratorenreg. vers. Aufl. Hrsg. v. Bern-
| hard Geyer. Berlin: E. S. Mittler öi Sohn 1Q28. (XVIII, 826 S.)
gr. 8°. RM 25 ; Hldr. 30 .

Die 10. Auflage des zweiten Teils des unentbehrlichen
Überweg war von Professor Matthias Baumgart-
j ner in Breslau bearbeitet worden und im Winter 1914/15
| erschienen. Die Bearbeitung der 11. Auflage ist, nach-
I dem Baumgartner wegen Krankheit zurückgetreten war,
Prof. Bernhard Geyer in Bonn übertragen und mit Hilfe
einiger Fachgenossen durchgeführt worden. Die Grundzüge
der 10. (Baumgartnerschen) Auflage, die in Wirk-
j lienkeit eine völlige Neubearbeitung des alten Grundrisses
war, sind in der 11. Auflage unverändert ge-
| blieben, da sie sich in der Praxis bewährt und das Buch
j als ein brauchbares Hilfsmittel erwiesen haben. Für
I den Neubearbeiter kam es also in erster Linie darauf an,
auf dem gelegten Grunde weiterzubauen und Rechenschaft
zu geben von der Arbeit, die seit der 10. Auflage
auf dem Gebiete der mittelalterlichen Philosophie
geleistet worden ist. Und diese Absicht ist auch ausgezeichnet
gelungen. Es gibt wohl kein Lehrbuch, das es
I an Reichhaltigkeit, Vollständigkeit und Genauigkeit der
l Angaben mit dem vorliegenden aufnehmen kann. Es ist
! wie bekannt auf dem Gebiete der mittelalterlichen
' Philosophie in den letzten Jahren ganz außerordentlich
viel gearbeitet worden, entsprechend dem Interesse, das
das Mittelalter in immer weiteren Kreisen gefunden hat.
Die methodische Untersuchung der Handschriftenbestände
hat vieles bisher unbekannte Material zutage gefördert
; das bisher bekannte ist schärfer erfaßt worden
und in besseres Licht gerückt. Die Freude an den neuen
Funden und neuen Erkenntnissen hat viele Federn in
Bewegung gesetzt, nicht nur in Deutschland, sondern
auch in Frankreich und England, in Belgien, in Italien,
in Spanien; neuerdings regt sich auch in Nordamerika
ein besonderes Interesse selbst an mittelalterlicher Theologie
und Philosophie. Nicht nur die Universitäten sind
die Pflegestätten für derartige Interessen und Studien;
die großen Mönchsorden haben ihrer Natur nach sich
mit Vorliebe derartigen Arbeiten hingegeben. Dadurch
ist das Bild von der mittelalterlichen Philosophie und
Theologie, das wir früher hatten, beträchtlich vertieft
und vervollkommnet worden. Es galt nun, die in den
verschiedensten Sprachen erschienenen Arbeiten, teils
selbständige Bücher, teils Zeitschriftenartikel, zu registrieren
, auf ihren Wert zu prüfen und an der geeigneten
Stelle einzuordnen, so daß man einen Begriff von
ihrer wissenschaftlichen Bedeutung erhält und die Forschung
die Möglichkeit bekommt, Anknüpfungspunkte
zu finden. Darin liegt vor allen Dingen der Wert der
Arbeit, daß der gegenwärtige Stand der Forschung wiedergegeben
wird. Es wird wohl nun nicht mehr so
lange dauern, so ist der noch nicht durchforschte
Rest aufgearbeitet, und dann werden wir uns ein gesichertes
Bild von dem Werte der mittelalterlichen
Philosophie und Theologie machen können. Es mag
hervorgehoben werden, daß in dem vorliegenden Buche
eine Überschätzung des Mittelalters kaum vorliegt; nur
ab und zu fällt eine Bemerkung auf, die versucht, Errungenschaften
der modernen Zeit schon dem Mittelalter
zuzuschreiben; aber charakteristisch ist die übertriebene
Einschätzung des Mittelalters, wie sie jetzt in manchen
Kreisen üblich geworden ist, diesem Buche gewiß nicht.

Um den Umfang nicht allzusehr anschwellen zu
lassen, hat sich der Bearbeiter genötigt gesehen, Kür-