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Ausgabe:

1928

Spalte:

481-493

Autor/Hrsg.:

Heidegger, Martin

Titel/Untertitel:

Sein und Zeit. 1. Hälfte 1928

Rezensent:

Knittermeyer, Hinrich

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Theologische Literaturzeitung

Begründet von Emil Schürer und Adolf von Harnack

Herausgegeben von Professor D. Emanuel Hirsch unter Mitwirkung von
Prof. D. Dr. G. Hölscher, Prof. D. Hans Lietzmann, Prof. D. Arthur Titius, Prof. D. Dr. G. Wobbermin

Mit Bibliographischem Beiblatt in Vierteljahrsheften,bearbeitet von Priv.-Doz. Lic. theol. Kurt Dietrich Schmidt, Göttingen
Jährlich 26 Nrn. Bezugspreis: halbjährlich RM 22.50. — Verlag: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Leipzig.

?3 lahrcr Nr 71 Manuskripte und gelehrte Mittellungen sind ausschließlich an Professor D. Hirsch in Güttingen, n fllrtrklior KDR
00. Jdlirg. Iii. £1. Hainholzweg 62, zu senden, Rezensionsexemplare ausschließlich an den Verlag. CKlODcr l"£0.

Spalte

Heidegger: Sein und Zeit (Knittermeyer).)

Grisebach: Gegenwart (Ders.)......J48'

Pose Ii mann: Die abendländische Kirchen-
bulie im Ausgang des christlichen Altertums
(Koch)....................493

Brackmann: Zur Geschichte der Hirsauer
Reformbewegung im XII. Jahrhundert
(Lempp)....................497

Spalte

Überweg: Grundriß der Geschichte der
Philosophie (Ficker).............498

Ihoma: Petrus von Rosenheini (Schorn-
baum)....................499

L e u b e: Kalvinismus und Luthertum (Ritsehl). 499

Wehrung: Schleicrmacher in der Zeit
seines Werdens (Mulert)..........501

Spalte

Schwan dt: Vier Adventsandachten und
liturgische Andachten zur Christvesper,
zur Jahresschlulifeier, zum Reformationsfest

und zum Totensonntag (Graft).....

- Passionsantiachten (Ders.).......

— Handreichung für die Liturgischen Andachten
des Christlichen Zeitschriftenvereins
(Ders.)..................

503

Heidegger, Martin: Sein und Zeit. i. Hälfte. (Sonderdr. aus dieser Fragestellung stattgefunden hat? Ist es eine
Jahrbuch f. Philos. und phänomenolog. Forschg. Bd. 7.) Hallea.S.: Folge dieser Ernüchterung, wenn für Kant die Frage
M. Niemeyer 1927. (XI, 438 S.) gr. s". RM 20 -; geb. 22.50. nach der Möglichkeit der Erkenntnis die Seinsfrage
Griseb ach, Eberhard: Gegenwart. Eine krit. Ethik. Ebd. 1928. zurückdrängt? Darüber wird es an Aufklärung nicht
(XV, 608 S.) gr. s". RM 22-; geb. 24.50. fehlen. Wenn nun das Fragen nach dem Sein eine
Diese beiden großen Werke haben für den theo- Abhängigkeit von dem „Gefragten" einschließen soll
logisch Interessierten das gemeinsam, daß sie in der und daher schon die Frage das „Faktum" eines „durchNachbarschaft
dessen erwachsen sind, was man heute schnittlichen und vagen Seinsverständnisses" vorausdialektische
Theologie zu nennen pflegt. Grisebach steht setzt, scheint damit ganz nach der Methode der großen
seit langem ebenso in ständiger Auseinandersetzung mit idealistischen Systeme bereits in dem Ausgangspunkt
Gogarten, wie Heidegger mit Bultmann. Trotzdem sind die mögliche Antwort vorweggenommen zu sein. Denn
beide Werke ihrer Absicht nach streng philosophisch hier wäre wiederum zu fragen, ob nicht zuvor die Pro-
Und geben sich nicht die Blöße irgendwelcher Ein- blematik des Fragens, und das hieße wiederum: der
Wirkung der Theologie auf ihre ürundposition. Daß Erkenntnis, vor der Problematik des Seins erwogen
das auch in philosophischem Betracht als ein reiner werden müßte. Heidegger lehnt zwar eine solche Priori-
Vorzug anzusehen ist, wird zweifellos von der Mehrzahl ' tätserwägung als „steril" ab; und er weist auch den Ver-
der heutigen Philosophen unbesehen bejaht werden. gleich mit dem idealistischen Ansatzpunkt entschieden
Was darüber zu sagen ist, mag hier in einer Schluß- zurück: „Das .Voraussetzen' des Seins hat den Cha-

bemerkung angedeutet werden. Zunächst gilt es, mit rakter der vorgängigen Hinblicknahme auf Sein____Die-

möglichster Kürze über den grundsätzlichen Gehalt die- se leitende Hinblicknahme . . . entwächst dem durch-
ser beiden bedeutungsvollen Werke zu berichten. schnittlichen Seinsverständnis, in dem wir uns immer
Dabei zeigt sich schon in der Formgebung ein schon bewegen und das am Ende zur Wesensverfassung
tiefgehender Unterschied. Während Heidegger, dessen des Daseins selbst gehört" (S. 8). Durch eine solche
Buch Ernst Husserl gewidmet ist, in strengster Folge- Erklärung kann indessen der grundsätzliche Zweifel
richtigkeit und mit höchster definitorischer Genauig- wegen der Möglichkeit eines solchen Anfangs nur ver-
keit das Seinsverständnis mit Bezug auf die Zeitlichkeit stärkt werden. Die Erörterung setzt mit einer so mas-
zu erschließen trachtet, geht Grisebach, der seine Ar- slven Gegebenheit ein, daß alles weitere mit Recht nur
beit seinen Söhnen widmet, mit nicht allzugroßer als „Erschließung der Existenzialität der Existenz" sich
Ängstlichkeit in Bezug auf die innere Verknüpfung der , darbieten kann. Die Frage, ob die Erkenntnis nicht ei-
Teile und mit überlegener Kritik aller an ihn heran- J nen das Sein bedrohenden Existenzcharakter an sich
tretenden Ansprüche der Heutigen zu Werke, um am trägt und infolgedessen keineswegs ohne, jeden Vorbe-
Ende der grundsätzlichen Haltung des Philosophen in halt als Seinserkenntnis in die ,-,Wesensverfassung des
der Gegenwart gewiß zu sein. Und doch stehen diese Daseins" einbezogen werden dürfte, stellt sich nicht,
so gänzlich verschiedenen Werke insofern in einer Die Existenz, um deren Analyse es zu tun ist, steht
Front, als sie thetisch und kritisch von keinem Zweifel also von vornherein in einer unbedrohten Sicherheit da.
in Bezug auf die endgiltige Zuständigkeit der Philo- Sie mag in sich selbst einem vielleicht tragischen Schicksophie
angefochten sind und insoweit jeden Gedanken sal verfallen sein. Das wäre auslegend sicherzustellen,
an eine etwaige Christlichkeit der Philosophie abwehren. Aber die Möglichkeit, daß gerade in der Erkenntnis das
Ja, auch darin werden sie zusammenstehen, daß nur Dasein einen fundamentalen Umsturz erführe und jge-
diese Haltung ihnen die Möglichkeit zu gewähren wissermaßen brüchig wird, bleibt undiskutabel, wenn
scheint, ein etwaiges Auskommen mit Theologie und , sie als ein spezifisches Moment an der Existenz so-
Religion zu sichern. gleich dem Sein eingeordnet wird. In dem Verzicht auf

1. ! eine solche Vorerörterung liegt das Zugeständnis, daß

a) Heidegger gibt als Einleitung eine „Expo- 1 die Untersuchung dogmatisch beginnt. In ihrem Fort-

sition der Frage nach dem Sinn vom Sein" (S. 2—40). ! gang mag diese Dogmatik mit unanfechtbarer Folge-

Diese Frage ist als „thematische Frage wirklicher Un- richtigkeit und Scharfsichtigkeit ihr Dogma auslegen;

tersuchung" seit Piaton und Aristoteles verstummt. es wird nicht verhindert werden können, daß die Aner-

Schon hier könnte man fragen: ist das Zufall? Beruht kennung des Dogmas nur durch einen Glaubensakt er-

dies Verstummen möglicherweise auf einer Ernüchte- folgen kann. Die Untersuchung kann innerhalb ihrer

rung, die mittlerweile mit Bezug auf die Möglichkeit eigenen Voraussetzungen folgerichtig sein und doch den