Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1928 Nr. 20

Spalte:

474

Autor/Hrsg.:

Kühnemann, Eugen

Titel/Untertitel:

Herder. 3. Aufl 1928

Rezensent:

Stephan, Horst

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

473

Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 20.

474

leicht nur jedes zweite Jahr gebracht werden. 5. Für |
die Totenschau (sehr dankenswert!) ist soviel als irgend
möglich Beibringung genauer Daten zu erbitten. Der
Herausgeber zürne nicht: ich weiß genau, welche Arbeit
diese Totenschau kostet. Aber gerade hier, in der einzigen
kirchlichen Totenschau, die wir haben, müssen alle
erlangbaren Daten stehen, auch die Geburtstage und —
die Todestage. Die Charakteristiken halte ich für entbehrlich
. — Und nun noch einmal: das treffliche, ausgezeichnete
, sehr verdienstliche Jahrbuch möge weitere
Freunde gewinnen!
Breslau. M- Schi an.

Dockhorn, Dr. Wilhelm: Die christlich-soziale Bewegung j

in Deutschland. Kritischer Beitrag zur Frage ihres religiösen u. |
kulturell-gesellschaftl. Untergrunds, ihrer Idee u. Geschichte, ihrer
Verdichtung In die Gestalt d. christl. Arbeiterbewegg. u. ihrer Stellung
im modernen Werdeprozeß. Halle: Buchh. d. Waisenhauses 1928.
(VIII, 149 S.) gr. 8°. RM 4—.

Wir freuen uns darüber, daß Soziologen und Sozialökonomen
sich wissenschaftlich mit der christlich-sozialen
Bewegung beschäftigen. Wir freuen uns besonders, J
wenn sie das so tun, daß sie die Einsicht in das Problem
der Gesellschaftsgestaltung durch das Christentum
und die ihm einwohnenden ethischen Werte zu
vertiefen suchen. Daß dies die Absicht der vorliegenden
Schrift ist, hebt des Hallenser Prof. G. Jahn Geleitwort
mit Recht hervor. Die Ausführung läßt die
Absicht scharf hervortreten; sie setzt mit einer Skizze |
der Grundzüge des christlichen Theismus und seines
historischen Verhältnisses zu Geist und Gesellschaft des
Abendlandes ein und sucht auch im Verlauf der Einzeldarstellung
immer die Zusammenhänge zwischen der
religiösen Einstellung und der sozialen Stellungnahme.
In dieser Art geht St. die Geschichte der christlich- j
sozialen Bewegung in Deutschland durch. Er unterscheidet
3 Phasen: 1. die Phase unpolitisch-praktischer
Auseinandersetzung sozial orientierter Geistlicher mit
der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entwicklung, 2. die
Phase theoretisch-politischer Auseinandersetzung sozialorientierter
Geistlicher und der verfaßten Kirchen mit !
der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entwicklung, 3. das I
Aufkommen der christlichen Arbeiterbewegung und die
praktische und theoretisch-politische Auseinandersetzung j
der organisierten christlichen Arbeiterschaft mit der so- i
zial-wirtschaftlichen Entwicklung. In jeder Phase wer- |
den katholische und evangelische Strömungen bespro- 1
chen; bei der 2. Phase Ketteier, Hitze, Huber (der doch j
kein „Geistlicher" war), Todt, Stöcker, Naumann, bei
der dritten christliche Arbeitervereine und Gewerkschaf- j
ten. Es lockt, manche der zahlreichen, sehr apodiktisch
formulierten Einzelsätze kritisch zu betrachten. Hat die
Innere Mission wirklich die intensive Missionierung
durch das freie Wort erlahmen lassen? (S. 27). Die j
These, daß die Expansion der evangelischen Gruppen
der Arbeitervereine mit dem Weltkrieg zum Stillstand
gekommen sei (S. 115), ist nicht zutreffend. Wich- |
tiger aber ist ein Urteil über die Gesamthaltung. Nach
dieser Richtung kann ich mich nicht für befriedigt erklären
. Ich denke dabei weniger an die mit gelehrten
Terminis reichlichst arbeitende Diktion; man muß ja
leider jetzt allgemein mit der Tatsache rechnen, daß j
die Forderung möglichst einfachen, deutschen Ausdrucks
nicht mehr der Beachtung für wert gehalten wird; wieviel
auch die vorliegende Arbeit sich durch die künstliche
Geschraubtheit des Stils (künstlich bleibt sie, auch
wenn sie dem Verf. zur zweiten Natur geworden sein j
mag) an Eindruckskraft verscherzt, das hat sich St.
sicher nicht klar gemacht. Aber schwerer wiegt, daß
die inneren Zusammenhänge zwischen der christlichen
Grundhaltung und der sozialen Stellungnahme nicht
überzeugend herausgearbeitet sind. Wir begegnen weittragenden
Behauptungen größten Stils, denen ein beweiskräftiger
Unterbau nicht gegeben wurde. Nach St. !
„bleibt das strukturelle soziologische Gefüge des Mit- ]
telalters, abgesehen von seinem kastenmäßigen Feudalismus
mit leibeigenem Anhang und seinem obligatorischen
Zölibat des Klerus, die dem Theismus entsprechende
gesellschaftliche Konkretisierung" (S. 13).
„Beide, zweckhafte Beharrung sowohl als auch eine
irgendwie provozierte politische Revolution oder revolutionäre
Mentalität liegen absolut außerhalb aller thei-
stischen Grenzen" (S. 80). Stimmt das wirklich? Ist
es überhaupt glücklich, den Begriff des Theismus in
den Vordergrund zu rücken statt desjenigen des Christentums
? In den ersten grundlegenden Ausführungen tritt
alsbald die merkwürdige Zurückschiebung der sozialen
Energien des Christentums zutage, die nachher immer
wieder begegnet. Stärker wird das gesellschaftliche
Moment betont; aber wird damit die christlich-soziale
Bewegung in ihren innersten Motiven erfaßt? Ich will
diese Bedenken nicht weiter vermehren; das letzte ist
das ernsteste von allen. St. sieht die ganze Bewegung
in erster Linie von Gesichtspunkten aus, die ihr selber
nicht die eigentlich treibenden waren. Denn auch das
sehr grundsätzliche Bemühen dieser Arbeit hat, so gewiß
sie viele Probleme aufrollt und ganz gehörig zum
Denken auffordert, doch keine Darstellung schaffen können
, die die christlich-soziale Bewegung in Deutschland
nach ihrem religiösen und kulturell-gesellschaftlichen
Untergrund wirklich verständlich gemacht hätte.
Breslau. M. Sc Iii an.

Kflhnemann, Fugen: Herder. 3. Aufl. München: C. H. Beck
1927. (XXVIII, 670 S.) 8». RM 12.50; geb. 16—.

Die neue Auflage weist nur geringe Veränderungen auf. Daher
sei auf die Besprechung der 2. Aufl. (1913, Nr. 9) verwiesen. Der
dort ausgesprochene Dank bleibt ebenso bestehen wie die Kritik.
Die m. E. zuweilen etwas gewaltsame Art des Gerichts über Herder
wird, soviel ich bei Stichproben feststellen kann, nur an einem Punkte
gemildert. Wo K. sagt, daß Herders glückliche Ehe einen Mangel an
sittlich bildender Kraft erweise, fügt er jetzt sehr fein hinzu: „Aber
welche Ehe tut das nicht?" Die Durchführung dieses Gesichtspunkts
würde den Grundton des verdienstvollen Werkes mannigfach ändern.
Leipzig. Horst Stephan.

Schölling, I.V.J.: Bruno oder Aber das göttliche und
natürliche Prinzip der Dinge. Mit einer Einleitg. u. Registern
neu hrsg. von Christian Herrmann. Leipzig: F. Meiner 1928.
(XIV, 126 S.) 8°. = Der Philosophischen Bibliothek Bd. 208.

RM 4—; geb. 5—.

Durch den Neudruck der Gesamtausgabe von Schell ings Werken
bei Beck in München ist natürlich das von F. Meiner begonnene
Unternehmen, zunächst von den wichtigeren Schriften kritische Ausgaben
vorzulegen, stark in Mitleidenschaft gezogen. Das ist bedauerlich
, aber wohl kaum zu ändern. Um so mehr ist zu begrüßen,
daß der um das Studium der Geschichte der Philosophie sehr verdiente
Verlag an dem Plan einer Fortsetzung seiner Ausgabe überhaupt
festhält. Chr. Herrmann bietet auch mit dem vorliegenden
Band, der eine der wichtigsten Schriften aus der identitätsphilosophischen
Zeit enthält, wieder eine mustergiltige Ausgabe. Die
kurze Einleitung, die von der richtigen Voraussetzung ausgeht, daß
„in Wirklichkeit bei diesem unendlich lebendigen Denker durch alle
Epochen seines Schaffens hindurch, immer dieselbe Systemidee besteht
", gliedert den „Bruno" in die vorausgehenden und nachfolgenden
Schriften ein und gibt eine Inhaltsübersicht. Der Text der mit
den Seitenzahlen der Gesamtausgabe versehen ist, ist kritisch überprüft
und an verschiedenen Stellen durch Rückgang auf die beiden
noch von Sendling selbst veranstalteten Ausgaben verbessert. Es
ist sogar die Frage, ob nicht auch, S. 15, 58 und 108 die Lesarten
der Originalausgaben gegen die Gesamtausgabe den Vorzug verdient
hätten. S. 44 scheint mir die Lesart der 2. Ausgabe gegen die Gesamtausgabe
den richtigen Sinn wiederzugeben. Der Abdruck ist
nach den gemachten Stichproben einwandfrei. Kolumnentitel und
Register erleichtern den Gebrauch.

Bremen. H. Knittermeyer.

Spieß, Prof. D. Dr. phil. et thcol. Emil: Die Religionstheorie
von Ernst Troeltsch. M. e. Bildn. v. Ernst Troeltsch. Paderborn
: F. Schöningh 1927. (VIII, 604 S.) gr. 8°. RM 19—.
Das Buch des Katholiken S. ist nach zwei Seiten lehrreich. Zunächst
bietet es einen fleißigen, sehr eingehenden und im allgemeinen
zuverlässigen Oberblick über die Gedanken Troeltschs. Es behandelt
nach einander die philosophischen Quellen seines Denkens, die psycho-
logisch-erkenntnistheoretische Und die geschichtsphilosophische Begründung
der Religion. Überall zeigt S. sich mit den starken Wand-