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Ausgabe:

1928 Nr. 20

Spalte:

472-473

Autor/Hrsg.:

Schneider, Johannes (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Kirchliches Jahrbuch für die evangelischen Landeskirchen Deutschlands 1927. 54. Jahrg 1928

Rezensent:

Schian, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 20.

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Auch darin zeigt sich Grafts untersuchende, gewissermaßen
die abschließende Geschichte erst vorbereitende
Art, daß er bei schwierigen und strittigen Punkten
die verschiedenen Auffassungen nebeneinanderstellt,
zuweilen ohne für sich selbst eine Entscheidung zu
fällen.

So erörtert er die Streitfrage, ob Chatten in seiner Gegend
Fuß gefaßt hätten, und führt gegen Reccius, Alte Südgrenze des
Sachsenlandes (Spinnstube 1924 und 25) bedeutsame Bcweismomente
an; er erwägt P. Kühneis Frage, die jener bejahend beantwortet;
Finden sich noch Spuren der Slaven im mittl. und östl. Hannover?
(Hannover 1906—7), ohne sich zu entscheiden; vor allem behandelt
er eingehend den alten Streitpunkt, ob, wie von Böttger (nicht
Böttcher, wie er im Text immer genannt wird; das Lit.-Verzeichnis
hat die richtige Namensform) behauptet worden ist, Gau und Archi-
diakonat ursprünglich zusammengefallen seien, weil die Grafen mit
den Bischöfen hätten Hand in Hand arbeiten sollen; G. neigt mehr
der Gegenauffassung Machens' (Die Archidiakonate des Bistums
Hildesheim, Hildesheim 1920) zu, ohne doch recht von Böttger
loskommen zu können.

S. 211 ff. gibt Graff auch eine besondere Kirchen-
und Schulgeschichte des Kreises A. Schon ihre Überschrift
: „Aus der Kirchen- und Schulgeschichte" zeigt,
daß es sich hier nicht um ein geschlossenes Ganzes
handelt, sondern daß die Ausführungen aus den politischen
Abschnitten und den Orts- und Gauchroniken
ergänzt werden müssen. Das ist mißlich, ist aber bei
der Anlage des Buches nicht zu ändern. Die mittelalterliche
Geschichte wird hier im wesentlichen gefüllt
durch die Geschichte der Klöster Gandersheim und Clus,
deren Hereinziehung in die Kreisgeschichte sich rechtfertigt
durch ihre im Kreise gelegenen Besitzungen.
Die Geschichte der Reformation verläuft sachlich nüchtern
; die Hildesheimische Stiftsfehde war in unserem
Gebiet in ganz besonders fühlbarer Weise der Auftakt
der Reformation, und ihr Ergebnis war ihrer Ausbreitung
hinderlich. Die Zeit reformatorischer Begeisterung
war vorüber, als 1540 und 1541 die reformatorischen
Visitationen hier begannen. Gerade am 31. Oktober 1 542
waren die Reformationsverhandlungen in Alfeld. Der
Westfälische Friede ließ dann unser Gebiet noch einmal
unter das Szepter des Bischofs von Hildesheim
zurückkehren und schuf den seltsamen Zustand fernerer
evangelischer Religionsübung unter katholischer Herrschaft
. Beschwerden der trotz gegenteiliger Versprechungen
doch vielfach drangsalierten Evangelischen
beim Reichskammergericht, gewaltsame Öffnung lutherischer
Kirchen zum Zweck katholischer gottesdienstlicher
Handlungen, Verhinderung evangelischer Kirchenvisitationen
u. dgl. erfüllen diese Zeit, bis die Aufklärung
nivellierend, aber auch befreiend wirkt. 1803 ist
die Zeit der geistl. Herrschaft zu Ende. Die Kirchengeschichte
des Kreises bietet nichts Eigenartiges mehr.

Folgende Einzelheiten sind mir aufgefallen: S. 220 heißt es:
„Erich I. von Kalenberg-Göttingcn und Heinrich d. J. von Wolfcn-
büttel, (denen beiden in der Stiftsfehde bischöfl. Gebiet zufiel),
standen der Reformation sehr feindlich gegenüber"; die beiden werden
also in ihrer Stellung zur Reformation einander gleichgestellt; sie
waren aber doch in ihrer Stellungnahme der neuen Lehre gegenüber
recht verschieden: Heinrich feindlich, Erich I. mehr indifferent. Weshalb
erwähnt G. nicht die Herkunft des Minoriten, Augustin, des
Gegners Luthers, aus Alfeld, die erste Berührung, die unsere Gegend
mit der Reformation aufzuweisen hat? Selbst, wenn er zweifelt,
ob es sich um unser Alfeld handelt, hätte er bei seiner sorgsamen
Weise, auch Möglichkeiten zu registrieren, darauf hinweisen müssen:
auch das Corp. Cathol. Heft XI (Münster 1926), S. 11 nennt als
Augustins Heimatort „das Städtchen Alfeld a. d. Leine im Reg.-Bez.
Hildesheim". „Ein gewisses Aufsichtsrecht über die Superintendenten"
(S. 104) hatten doch die Amtmänner nicht, es sei denn das Aufsichtsrecht
, das sie über jeden Kreiseingesessenen hatten; im Kalenbergischen
, wozu der Kreis Alfeld in der in Frage stehender Zeit doch
wohl gehörte, zeichnete von den sog. Kirchenkommissarien der
Superintendent an erster Stelle. Mit ganz besonderer Sorgfalt hat
G. über die Kirchengebäude berichtet, die er offenbar alle persönlich
aufgesucht und auf Grund eigener Besichtigung beschrieben hat.
Daß nur so wenig Kirchcnbilder im Buche erscheinen., liegt daran,
daß die größtenteils uralten Kirchengebäude vielfach gerade in der
nüchternsten Zeit durch neue Gebäude ersetzt worden sind, die der
Verfasser wohl zur Zeit nicht für wichtig genug gehalten hat, sie

l im Bilde festzuhalten. Kirchliche Altertümer oder auch nur Anti-
i quitäten sind wiederholt abgebildet: außer zahlreichen Abbildungen
j aus Alfeld z. B. das Innere der Klosterkirche in Lamspringe im
i Barockstil, ein mittelalterl. Flügelaltar in Grafelde, ein ganz eigen-
j artiges Holzkruzifix in Everode, das noch näherer Untersuchung be-
j dürfte, und ein Altarbild in Eimsen, dem Anschein nach aus dem
j 16. Jhdt., und, soweit die Abbildung urteilen läßt, offenbar mit
Porträtfiguren der Familie des Stifters, etwa in der Weise der
, Holbeinschen Madonna des Bürgermeisters Meier (in Darmstadt)
und der Lukas Cranachschen Darstellung der Auferweckung des
J Lazarus (Bild der Familie Meyenburg) in Nordhausen. Beigefügt ist
I dem Buche die Nachbildung einer Karte des Kreises aus dem Jahre
1694 (aus dem Staatsarchiv in Hannover), besonders wertvoll dadurch
, daß sie kleine, wenigstens andeutende Abbildungen der betr.
Orte, namentlich ihrer Kirchen gibt. Dringend wünschenswert wäre
aber die Beifügung einer heutigen Karte des Kreises, möglichst dem
Buche angepaßt, mit angedeuteten Grenzen der alten Gaue, Grafschaften
und Amter. Die Karten geringeren Maßstahes, die man jetzt
zur Orientierung zuziehen muß, ersetzen sie doch nur in höchst
I mangelhafter Weise.

In dem Buche steckt eine gewaltige Arbeit. Alle
Benutzer des Buches, in erster Linie die Eingesessenen
des Kreises, sind dem Verfasser zu warmem Dank für
die von ihm geleistete Mühe verpflichtet. Dennoch
wäre zu wünschen, daß der Verfasser sich entschlösse,
auf Grund des so sorgsam gesammelten Materials nun
noch eine kürzere Zusammenfassung des Wichtigsten
zu schreiben, die den Titel „Geschichte des Kreises Alfeld
" uneingeschränkt verdiente.
Ilfeld a. Harz. Ferdinand Cohrs.

Kirchliches Jahrbuch für die evangelischen Landeskirchen
Deutschlands. Ein Hilfsbuch zur Kirchenkunde der Gegenwart.
Hrsg. v. J. Schneider. Jahrg. 54, 1927. Gütersloh: C. Bertelsmann
. (XII, 662 S.) 8». geb. RM 20 .

Das Schneidersehe Jahrbuch geht jetzt seinen regelmäßigen
Weg. Die Gruppierung des Stoffs bleibt ungefähr
dieselbe; nur die Reihenfolge und der Umfang
der Kapitel wandeln sich. Diesmal ist das Kap. „Kirch-

! liehe Zeitlage" knapper gefaßt; der Herausgeber trägt
damit, sich selbst bescheidend, der Erkenntnis Rech-

| nung, daß der Umfang nicht weiter anschwellen darf.
Auch die Mitarbeiter (ich rechne mich mit Freude zu
ihnen) sind die gleichen. Somit tut keine genauere
Schilderung des Inhalts not. Ich will lieber noch einmal
kurz zusammenfassen, was ich an Wünschen für die
innere Ausgestaltung des von mir sehr hoch geschätzten,
für jeden kirchlich Arbeitenden einfach unentbehrlichen
Jahrbuchs im Herzen trage. 1. Es ist ganz richtig, was
Sehn, im Vorwort grundsätzlich über die Objektivität
der Darstellung sagt, — insofern, als völlige Objektivität
unmöglich ist. Auch wird das Jahrbuch insoweit
grundsätzlich nicht „objektiv" sein dürfen, als es einen
bestimmten Standpunkt zu vertreten berufen ist: den
der evangelischen Kirche. Aber es bleibt doch auch
wahr, daß es nach Möglichkeit bei der grundsätzlichen
Sachlichkeit der Darstellung verharren soll. Zwischen
„Objektivität" und „Objektivität" gibt es erhebliche
Unterschiede; lassen wir also diesen Begriff, dem Sehn,
nicht freund ist, fort und sagen wir: ein Jahrbuch wie
dieses muß von Polemik absehen, muß im Urteil, zumal
wo innerhalb der evangelischen Kirche die Meinungen
auseinandergehen, zurückhaltend sein und nur
ein Ziel im Auge haben: umfassende sachliche Darstellung
. 2. Am Umfang ließe sich wohl sparen, wenn
Ephemeres stärker ausgeschieden würde. Was — etwa
durch den Gang der parlamentarischen Entwicklung —
bereits beim Erscheinen des Buchs unwichtig geworden
ist, sollte lieber alsbald fortbleiben. Allenfalls kann
eine Monatsschrift auf solche Dinge eingehen; ein Jahrbuch
darf nur festhalten, was dauernd von Bedeutung
ist. 3. Wird nach dieser Seite gespart, so könnte
Raum für Ergänzungen geschaffen werden. Das Kap.
Vereine könnte noch ausgestaltet werden; in aller
Knappheit, aber mehr mit der Absicht auf Nennung
alles Wesentlichen. 4. Die kirchliche Gliederung und

] der Personalbestand der Kirchenbehörden könnten viel-