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Ausgabe:

1928 Nr. 20

Spalte:

470-472

Autor/Hrsg.:

Graff, Paul

Titel/Untertitel:

Geschichte des Kreises Alfeld 1928

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 20.

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Erweckungsbewegung auch in die evangelischen Kreise
der Republik eindrang und hier die gleichen Folgeerscheinungen
wie anderswo zeitigte. Wie heftig sich die
Auseinandersetzungen zwischen der herrschenden Orthodoxie
und der neuen Richtung in Thorn gestalteten, ersieht
man z. B. aus der unfeinen Äußerung des nachmaligen
pietistischen Pfarrers von Wengrow Joh. Friedr.
Bachstrom über die Opfer des berüchtigten Thorner
Fehlurteils im Jahre 1724, die er ungeachtet ihres
Zeugenmutes als Verfolger der Wahrheit brandmarkte,
weil sie ihn in der Stadt nicht aufkommen ließen. Die
beiden nach Halle gerichteten Schreiben des in Warschau
tätigen pietistisch gesinnten Militärpastors Adelung
spiegeln die trostlose Lage des polnischen
Protestantismus in jener Zeit wider. — Das gleiche gilt
von den quellenmäßigen Mitteilungen W.s über das
Schicksal der Wengrower lutherischen üemeinde, der
Fürst Boguslaus Radziwill 1651 die Mitbenutzung des
reformierten Bethauses, eines Holzbaues, das derselbe
an Stelle des den Katholiken 1630 überlassenen gemauerten
Kirchengebäudes errichtet hatte, zugestand.
Unter Preußens Schutz, das Gegenmaßnahmen gegen die
Jesuiten androhte, gelang es den Wengrower Pastoren,
die in der Osterzeit regelmäßig in der Warschauer
preußischen Gesandtschaft die Glaubensgenossen der
Hauptstadt seelsorgerlich bedienten, die von den Lucker
Bischöfen — besonders unnachgiebig zeigte sich der
Konvertit Rupniowski — verfügte Schließung ihres Bethauses
immer wieder unwirksam zu machen.

2. W. setzt in dankenswerterweise seine Studien über
die polnischen Studenten an auswärtigen Hochschulen
fort. Aus der Zahl und den Namen derselben lassen sich
Rückschlüsse auf die Gestaltung des Protestantismus in
Polen ziehen. Nach Wittenberg und Heidelberg wendet
nun der Verf. seine Aufmerksamkeit Leiden zu, woselbst
in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts Armini-
us, Episkopius, Vossius und Grotius eine starke Anziehung
ausübten. Der Zuzug aus Polen erreichte im
Jahre 1635 mit 38 Studierenden seinen Höhepunkt;
seit 1656 kommen in der Universitätsmatrik nur noch
vereinzelte Namen aus Polen vor. 1631 erschien in
Leiden der Fürstensohn Janusz Radziwill mit großem
Gefolge. W. kennzeichnet bei den einzelnen Studenten
mit einigen Strichen ihren späteren Anteil an dem
evangelischen Kirchenwesen daheim. Auf die Zusammenhänge
zwischen Arminianismus und Sozinianis-
mus fällt durch des Verf.s Studie neues Licht.

Wien. Karl Völker.

Wotschke, D. Dr. Th.: Die Mitarbeiter an den Acta histo-
rico-eccleslastica in Polen and Verzeichnis der bisher erschienenen
Schriften. (S.-Abdr. aus H. 12 dt Dtschn. Wissensch.
Zeitschr. f. Polen.) (Pratau: SelbstverlaR des Verf.) 1928. (03 S.)
gr. 8«.

Aus der Gothaer Landesbibliothek druckt W. 56
Briefe, die in der Zeit von 1736 bis 1792 zwischen
den Herausgebern der acta hist.-eccl. und ihren polnischen
Mitarbeitern gewechselt wurden, ab. Der für
historische Studien interessierte lutherische Superintendent
Christ. Siegm. Thomas knüpfte zuerst Beziehungen
mit dem Weimarer Hofprediger Bartholomäi, dem Begründer
der Zeitschrift, an. W.s Fund ist auch aus dem
Grunde wichtig, weil die Berichterstatter aus Furcht vor
Nachstellungen ängstlich darauf bedacht waren, daß ihre
Namen nicht in die Öffentlichkeit gelangten. Die Briefe
enthalten von rein Persönlichem abgesehen fortlaufende
Nachrichten über die Lage der Evangelischen in Polen
in der Zeit der gesteigerten Unterdrückung und der Entspannung
. Im Anhang folgt ein 265 Nummern umfassendes
Verzeichnis der bisherigen Veröffentlichungen
W.s; darin prägt sich eine erstaunliche Leistung aus, die
hauptsächlich der Erforschung der Geschichte des Protestantismus
in Polen zu gute kommt.

Wien. Karl Völker.

Graft, Paul, Pastor in Kleinfreden [jetzt in Hannover-Linden]: Geschichte
des Kreises Alfeld. Im Aufbaue des Kreisaussclmsses

' verfallt. Mit zahlreichen Abbildungen, Karten, Plänen, Tabellen und
Stammtafeln. Bildesheim: A. Lax 1928. XVI, 069 S. gr. 8°.

geb. in Lwd. RM 20—; in Ldr. 23 .
Der Titel des Buches könnte irreführen. Es han-

i delt sich um ein sog. Heimatbuch des Kreises Alfeld,
das neben dem Geschichtlichen auch eine eingehende
Beschreibung des Kreises und eine Übersicht über alle
Gebiete des öffentlichen Lebens enthält (Gesundheitspflege
, Rechtswesen, Verkehrswesen nebst reichem stati-

, stischen Muterial u. dgl.). So berechtigt die Besprechung
mancher dieser- Gebiete vom volkskundlichen und
sozialen Standpunkt auch an dieser Stelle sein möchte,
wir halten uns ganz an das Geschichtliche, das um der
Eigenart des Kreises A. willen einen selbständigen Ausschnitt
gerade auch aus der heimatlichen Kirchengeschichte
darstellt und daher hier doch wohl die wichtigste
Seite des Buches bildet.

Denn es bringt die Geschichte eines Territoriums,
das vom lt. Jhdt. an bis 1803 mit geringer Unter-

I brechung geistliches Territorium des Bischofs von Hildesheim
gewesen ist, das bis heute fast wie eine Lan-

I desherrschaft zusammengehalten hat und das nun die
Entwicklung einer solchen aus mittelalterlicher Herkunft
durch die Reformation und die Folgezeit hindurch
bis zur Gegenwart uns vorführt. Daß der Herr Verfasser
die Geschichte dieses Territoriums gründlich untersucht
und die Quellen dafür mit größester Sorgfalt
gesammelt hat, damit hat er einen wichtigen Beitrag zur
deutschen Kirchengeschichte im Sinne Haucks geleistet,
der in dem Kapitel: „Die geistliche Landesherrschaft"
(Kirchengesch. Deutschi., 9. Buch 2. Kap. = Band V, 2,
S. 66 ff.) ausdrücklich die lokale Geschichtsforschung
zu Hilfe ruft, um in dieses schwierige Stück der Geschichtsschreibung
und der kirchlichen Geschichtsschreibung
insbesondere helleres Licht zu bringen.

Graff ist bei seinen Untersuchungen den Weg gegangen
, der der allein mögliche war; er hat zunächst
Orts- und Gauchroniken zusammenzustellen gesucht und
hat dann auf Grund dieser Einzeluntersuchungen eine
zusammenfassende Geschichte seines Territoriums, der
Vereinigung vor allem der ehemaligen Ämter Winzenburg
, Lauenstein und Wohlenberg-Bilderlahe entworfen
. Die bedeutendsten Orte darin sind außer der Stadt
Alfeld a. d. Leine etwa Duingen, Dehnsen, Brunighausen,
Limmer, Wispenstein, Föhrste, Sack, Langenholzen, Everode
, Groß- und Klcinfreden, Wrisbergholzen und Lamspringe
.

Vielleicht wäre es geraten gewesen, auch äußerlich
im Buche diesen Gang der Untersuchung darzustellen
und die Quellenbefragung hinsichtlich der einzelnen
Orte und Gebiete an erster Stelle zu bringen. Aber dabei
stand der Charakter als Heimatbuch hindernd im
Wege. Denn in einem solchen erwartet man zunächst
eine Beschreibung des Ganzen und dann der einzelnen
Teile. Auch hätte die Fortführung der Ortschroniken
bis in die Gegenwart und bis in einzelnste Einzelheiten
aus der neuesten Zeit (genaue Personalien, Kriegsteilnehmer
, selbst Schulbücher u. dgl.) dabei gestört.

Der Gang der Untersuchung tritt nun aber in der
Darstellung doch noch hier und da zu Tage. Diese ist
anfangs nicht streng chronologisch; vielmehr führt uns
Graff, nachdem er die in Frage stehenden Gebiete aus
dem Herzogtum Sachsen losgelöst (S. 40) und gezeigt
hat, wie sie in die Hand des Bischofs von Hildesheim
gelangt sind (S. 44 ff.), dann erst (S. 49 ff.) geschlossen
seine Untersuchungen über die Geschichte der Gaue
(Flenithi, Valothingo, Aringo, Guddingo, Ambergau)
und Grafschaften — das schwierigste und bedeutsamste
Stück des Buches — vor Augen. Diese Anordnung ist
geschickt und paßt in die Art des Buches, wie es nun
einmal gestaltet ist, hinein; doch steht zu befürchten,
daß der weitere Kreis der Benutzer, für die das Buch
doch auch bestimmt ist, sich nicht so leicht zurechtfindet
.