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Ausgabe:

1928 Nr. 20

Spalte:

459-461

Autor/Hrsg.:

Haefeli, Leo

Titel/Untertitel:

Die Peschitta des Alten Testamentes 1928

Rezensent:

Herrmannn, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 20.

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zu erklären geneigt ist, so scheint mir dabei die Tatsache nicht zu
ihrem Recht zu kommen, daß das Recht nicht nur und nicht zuerst
in Gesetzen lebt und in die Erscheinung tritt. In einem Schlußkapitel
bespricht der Verf. speziell den Dekalog, der ebenfalls eine stilkritische
Behandlung verdient; nur die Sätze in der Form „du sollst"
können von Mose stammen (also nicht das 3. und 4. Gebot!) und |
stammen auch von ihm; aber auch sie beruhen auf einem älteren,
vielleicht „altorientalischen Sittenkodex, der sich da und dort in ver- ]
schiedenen Absenkern findet". Diesem Ergebnis könnte ich, abgesehen
von einer kleinen Differenz in der Reduktion des Inhaltes
des Dekalogs, zustimmen, wenn der Sittenkodex als ein ungeschriebener
gedacht würde.

Breslau. Carl S teue r n a ge 1.

Haefell, Pfr. Dr. phil. et theol. Leo: Die Peschitta des Alten I

Testamentes. Mit Rücksicht auf ihre textkritische Bearbeitung u. I

Herausgabe. Münster i. W.: Aschendorff 1927. (XI, 121 S.) gr. 8°. I
= Alttestamentliche Abhdlgn., Bd. 11, H. 1. RM 6.90.

Haefeli hatte schon 1914 im Auftrage des päpst- j
liehen Bibelinstituts mit den Vorarbeiten zu einer textkritischen
Ausgabe der Peschitta des A.T.s begonnen,
als der Weltkrieg die Arbeit abbrach. Auch nach dem |
Kriege ist das Werk in der geplanten Weise nicht wieder
aufgenommen worden. Der Verf. hat sich darauf
beschränken müssen, das früher gesammelte Material
zu sichten und, soweit ihm die Literatur an seinem
Wohnort fern von den großen Bibliotheken zugänglich
war, zu ergänzen. Was er nun vorlegt, möchte er als J
ein kleines Kompendium der Peschitta-Forschung an- I
gesehen wissen.

H. beginnt mit der Feststellung, daß eine kritische
Ausgabe der Peschitta des A.T.s bis heute nicht existiert j
und auch nicht im Werke ist, obwohl einige bedeutende j
Vorarbeiten vorliegen. Daß ihre Herstellung von großer [
Bedeutung wäre sowohl für die Textkritik und Exegese
des A.T.s wie für die Syrologie, unterliegt keinem Zweifel
. Die vorliegende Arbeit will nun den heutigen Stand I
der Peschittaforschung darlegen, trägt als solche wesentlich
den Charakter des Referats, möchte aber dann auch
im Anschluß an die in den bisherigen Vorarbeiten enthaltenen
Erfahrungen und Fingerzeige weitere Erwägungen
und Ratschläge zu einer künftigen textkritischen
Peschittaausgabe bieten.

Im I. Teil handelt H. über den Text der Pesch, j
selbst; zunächst über die Pesch, im ganzen (1. Die j
Pesch, und die andern syr. Übersetzungen des A.T.s;

2. Name, Ursprung, Verfasser, Vorlage, Ort und Zeit
der Abfassung, allgemeiner Charakter und Umfang;

3. Daten für eine Geschichte des Peschittatextes). Aus
diesem Abschnitt sei erwähnt: Die Frage, ob die Übersetzer
Juden, Judenchristen oder Griechenchristen gewesen
sind,'wagt H. nicht zu entscheiden. Für sicher
aber hält er: l.daß die Vorlage der hebr. Text war, der
nicht oder doch nur wenig vom heutigen masor. Text
verschieden war; 2. daß die Übersetzung in Edessa ent- I
stand; 3. daß sie längere Zeit in Anspruch nahm, ohne
daß freilich eine genaue Begrenzung des Zeitraums möglich
wäre; 4. daß sie im allg. eine sorgfältige, gute,
getreue, dem Text sich anschließende, nicht aber skia- j
visch wörtliche Übersetzung ist, wovon allerdings einzelne
Teile erheblich abweichen; 5. daß der Umfang
der des hebr. Kanons war, die Apokryphen wohl erst
später übersetzt wurden. Eine Geschichte der Pesch,
zu schreiben ist nicht möglich; doch läßt sich über die
Beeinflussungen, denen ihr Text ausgesetzt war, mancherlei
sagen. Beeinflussung durch den hebr. masor.
Text kann nur für Cod. Florentinus (zum Ps.) bestimmt ■■
behauptet werden (dagegen vor allem nicht für den berühmten
Cod. Ambrosianus); sicher ist sie von der LXX
her (in den einzelnen Büchern verschieden stark; über
den Hergang gehen die Meinungen sehr auseinander) j
und von dem syrohexaplarischen Text des Paulus von
Telia, wohl auch von Targum Onkelos sowie andern
Targumim und auch Midraschim, vermutet auch von
Vetus Latina. Die Spaltung der syrischen Kirche im j
5. Jahrhundert hat bekanntlich für den Text der Pesch,
die Spaltung in westsyrischen und ostsyrischen Text

gebracht; die daraus erwachsene Aufgabe der Textkritik
, über beide Texte zu dem gemeinsyrischen zurückzustoßen
, wird noch dadurch erschwert, daß über
die gegenseitige Beeinflussung der beiden Texte die
Meinungen auseinander gehen. Beeinflußt wurde der
Text weiter noch durch die syrische Masora, durch die
exegetisch-wissenschaftliche Behandlung und den liturgischen
Gebrauch der Texte. Zusammenfassend kommt
H. zu dem gleichen Resultat wie Nöldeke und Rahlfs,
daß die Veränderungen seit der Zeit der ältesten erreichbaren
Textzeugen (4. bis 6. Jahrh.) nicht wesentlicher
Art sind im Verhältnis zu denen, die der Text
schon vorher erlitten haben muß.

Da die einzelnen Bücher des A.T.s zu verschiedenen
Zeiten und von verschiedenen Männern in die syrische
Kirchensprache übertragen worden und die Beeinflussungen
, denen die Textgestalt im Laufe der Zeit ausgesetzt
war, bei verschiedenen Büchern verschieden sind, muß
der Herausgeber der Pesch, jedes einzelne Buch des
A.T.S gesondert untersuchen. Daher widmet H. den
zweiten Abschnitt seines kritischen Referates der Charakterisierung
des Peschittatextes der einzelnen alttest.
Bücher, einschließlich der Apokryphen und, soweit sie
syrisch vorhanden sind, der Pseudepigraphen.

Im II. Teil referiert H. über die Zeugen des Peschittatextes
, und zwar zunächst über die direkten (die
Druckausgaben und Handschriften), dann über die indirekten
(1. die Zitate der syrischen Kirchenschriftsteller
, 2. der biblische Originaltext und seine Versionen
).

Im III. Teil endlich bespricht er die bisher veröffentlichten
Vorarbeiten und Versuche, dem Urtext des
syrischen A.T.s näherzukommen, und stellt die Vorschläge
, Erfordernisse und Aussichten dar, die sich für
eine systematische textkritische Bearbeitung und Herausgabe
der Pesch, nach Maßgabe aller Vorarbeiten und
seiner eigenen Ansicht geben lassen, wobei er besonderen
Wert auf die Gewinnung eines Endurteils über
die Aussichten des Unternehmens legt. Dieses Endurteil
Haefeli's fällt im Einklänge mit Autoritäten wie
Nöldeke, Barnes, Diettrich nicht günstig aus: „Da nach
allgemeiner Überzeugung durch die kritische Arbeit kein
wesentlich besserer Text der Pesch, geschaffen werden
kann als der Cod. Ambrosianus, der bereits photolithographisch
vorliegt, ihn bietet, ist es des Kraftaufwandes,
der Zeit und des Geldes nicht wert, eine solche textkritische
Ausgabe zu erstellen. Und wenn keine älteren
Texte gefunden werden als diejenigen, die wir besitzen,
und die Ausbeute aus den Väterschriften nichts Entscheidendes
beizubringen vermag, dann wäre es für die
zunächstliegenden exegetischen Zwecke das allein
Empfehlenswerte, dem Text des alten und berühmten
Cod. Ambrosianus die wichtigeren westsyrischen und
nestorianischen Varianten in einem kritischen Apparat
beizufügen und auf den Versuch, den „Urtext der Peschitta
" zu rekonstruieren, gänzlich zu verzichten".

Dieser Ausklang des Buchs steht doch wohl etwas
zu einseitig unter dem Eindruck der Unausführbarkeit
des Versuchs einer wirklichen Urpeschitta. So anerkennenswert
es ist, daß gerade ein Mann, der wie der
Herausgeber mit dem Werke befaßt war, sich den
Schwierigkeiten desselben so wenig verschließt und utopische
Hoffnungen rücksichtslos abschneidet, so wäre
es m. E. erfreulicher und erwünschter gewesen, wenn
er dann alle die Aufgaben und Arbeiten auf dem Gebiete
der Peschittaforschung zusammengestellt hätte, die
auch jetzt geleistet werden können, wie sie sich aus
seinem kritischen Referat ergeben und wie gerade er
sie zu nennen befähigt sein möchte. — Die Literatur
seit seinen Vorarbeiten von 1913—14 zu erfassen ist
ihm, wie er ja selbst sagt, nur unvollkommen möglich
gewesen. Aber auch die bis 1913 dürfte wohl erheblich
ergänzungsbedürftig sein. So kennt er z. B. den
Aufsatz von W.E.Barnes im Journ. of Th. Studies VI,
S. 220 ff. über die Pesch, der Königsbücher, aber nicht