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Ausgabe:

1928 Nr. 19

Spalte:

444-445

Autor/Hrsg.:

Goetz, Karl Gerold

Titel/Untertitel:

Petrus als Gründer und Oberhaupt der Kirche und Schauer von Gesichten nach den altchristlichen Berichten und Legenden 1928

Rezensent:

Bauernfeind, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 19.

444

Midraschim wird bestätigt durch eine erschöpfende Aufzählung ihrer
terminologischen Besonderheiten. Sie sichert Hoffmanns These: Mek.
und Sifre Num. bilden eine Einheit, auch um ihrer gemeinsamen Terminologie
willen; die des Sifra ist davon ganz verschieden, berührt
sich aber sehr häufig mit der von Sifre Dt. Doch ergibt namentlich
ein Vergleich zwischen der Terminologie von Midrasch- und parallelen
Talmud-Baraitot (aus derselben Schule wie angeblich der
Kern des betreffenden Midrasch) ihre Verschiedenheit, also gegen
bisherige Annahme das Resultat, daß in den Tannaitcnschulen keine
feststehende Terminologie geherrscht, diese vielmehr erst nach allmählicher
Entwicklung in den Quellen durch die — andersartige |
Sammlungen in die ihnen geläufige Terminologie umändernde — Tätig- I
keit der Redaktoren die heutige feste Gestalt angenommen hat.

Die soeben auftauchende Frage nach dem Verhält- j
nis der halakischen Midraschim zu den Talmuden über- i
haupt, deren Beantwortung ja Licht auf ihre Abfassungs- j
zeit werfen muß, entscheidet Albeck dahin: Die Talmude |
kennen unsere Midraschim nicht, d. h. aber: als Abfassungszeit
ist frühestens die spättalmudische wahrscheinlich
gemacht.

Zur Begründung dient der doppelte Nachweis: 1. Obwohl der
Talmud sehr oft die gleichen halakischen Fragen behandelt und
seine Redaktoren auch in dem Bestrehen, darin Stützen für amorä-
ische Ansichten zu finden, sämtliches alte Gut zu sammeln suchen,
beweist doch vielfach seine Argumentation Unkenntnis unserer Mi-
drasch-Baraitot. 2. Baraitot, auch solche ein- und desselben Midrasch,
die eine wirkliche talmudische Entsprechung haben, lauten anonym
, werden aber im Talmud von verschiedenen Schulen
und amoräischeu Vermittlern hergeleitet — eine unerklärbare Tatsache,
hätten die Talmude unsere Midraschim wirklich gekannt. Die talmudischen
Quellenangaben müssen also andere, eindeutig bestimmte |
Baraitasammlungen meinen, aus denen unsere Midraschim z. T. auch
— so erklärt sich die Parallelität — geschöpft haben.

Aus 2. ergibt sich für die halakischen Midraschim der weitere,
wichtige Schluß, daß sie redaktionelle Zusammenstellungen von verschiedenen
Quellen d. h. anonymen Sammlungen verschiedener
Tannaitenschulen sind. Dabei ist nach Albeck die Anonymität nicht
Absicht der Redaktoren, sondern schon ihren aus verschiedenen Sammlungen
bestehenden Quellen zuzuschreiben.

Aber läßt sich nicht wenigstens der Grundstock |
jedes Midrasch von einer bestimmten Schule herleiten? i

Zur Widerlegung von Hoffmann stellt Albeck an Mek. und
Sifre Num, fest, daß bei näherem Zusehen nur verschwindend wenig
Stellen beider Talmude, die aus einer Sammlung der Schule Ismaels
stammen, sich mit anonymen Baraitot der beiden Midrascha wirklich
decken, während andererseits viele Talmud-Baraitot gleicher Herkunft
in den Midraschim nicht zu finden sind. Das Argument von dem
Wiederkehren grundsätzlicher bibelexegetischer Unterschiede (Anwendung
der Gezera Schawa und Deutung von verdoppelten Ausdrücken)
zwischen Ismael und Akiba in unseren Midraschim entkräftet er |
durch den Nachweis, daß der Gebrauch hinsichtlich Punkt 1 nur für (
eine terminologische Differenz, hinsichtlich Punkt 2 nur für I
einen graduellen Unterschied in der Anwendung durch die ]
Midraschim spräche. Hoffmanns Grundlagen sind also nicht
zuverlässig, seine Folgerungen zu weitgehend; soviel aber läßt ■
sich sagen: 1. Der Redaktor von Mek. und Sifre Num. benutzt andere j
Quellen als die Redaktoren von Sifra und Sifre Dt. 2. Unter den j
Quellen von Mek. und Sifre Num. befinden sich viele — meist namentlich
genannte! — aus Ismaels Schule, die Num. reichlicher zuflössen
als Ex. 3. Sifra und Sifre Dt. benutzen sehr häufig gleiche
Quellen, zum geringen Teil auch aus Ismaels Schule.

Nach Darlegungen über Mittel zur Quellenschei- j
dung im Einzelnen stellt Albeck abschließend noch fest,
daß von den Fragmentmidraschim Sifre Zutta dem Sifra
ganz nahesteht, während Mek. de R. Simon sogar den
gleichen Redaktor wie Sifre Dt. hat.

Durch Albeck's in den Hauptpunkten überzeugende |
Untersuchungen ist für unser Auge die Entstehungsgeschichte
der halakischen Midraschim viel komplizierter
geworden. Zwar ist auch für ihn das Meiste des Materials
tannaitischen Ursprungs, doch wird man nun im j
Einzelnen mehr als bisher zum mindesten für die Form i
die späteren Überarbeitungen verantwortlich machen und j
auf die genaue Bestimmung des Alters bezw. der Autorschaft
dort, wo auch Albecks Hinweise nicht weiter
helfen, verzichten müssen.

Greifswald. Reinliold Sander.

Goetz, Prof. D. Karl Gerold: Petrus als Gründer und Oberhaupt
der Kirche und Schauer von Gesichten nach den altchristlichen
Berichten und Legenden. Eine exegetisch-geschichtl. Untersuchung.
Leipzig: J. C. Hinrichs 1927. (IV, 106 S.) gr. 8°. = Untersuchungen
z. N.T., H. 13. RM 7—; geb. 9—.

Das Thema wird in zwei gesonderten Teilen behandelt
, I: Petrus als urchristlicher Kirchengründer und als
Kirchenhaupt (S. 1—65), II: Petrus als Schauer von
Gesichten (S. 66—100). Der Zweck des Buches in beiden
Teilen ist eine erneute umfassende Prüfung der
„kritischen Ansicht" von der Ungeschicklichkeit des
Jesuswortes Mt. 16,18 f. Goetz hebt in seiner sehr gewissenhaften
Exegese (§ 2 f.) die Sonderstellung dieses
Spruches im N. T. stark hervor. Mag dem Petrus übereinstimmend
von verschiedenen Neutestamentlichen
Quellen ein besonderer Rang zuerkannt werden (§ 1),
nirgends geschieht das in so ausgesprochen kirchlicher
Weise wie hier; mag der urchristliche Kirchenbegriff
verhältnismäßig einheitlich sein (vgl. die Anerkennung
K.L.Schmidts S. 31 Anm.4!), nirgends sonst eignet ihm
solche organisatorische Zuspitzung auf eine Person wie
hier. „Von einer jüdischen Sonderkenischta kann an
unserer Stelle keine Rede sein"; denn „für eine derartige
Sondergemeinschaft brauchte es keinen einzelnen
bevorrechteten Führer und Leiter, wie er hier in der
Person des Petrus in Aussicht genommen wird. Dazu
fehlt in der jüdischen Synagoge jedes Vorbild" (S. 24).
Mit der alten Tradition hat diese Stelle also nichts zu
tun, sie ist erst vom Matthäusevangelisten mit dem
Petrusbekenntnis in Verbindung gebracht worden. —
Aus der Verneinung der Echtheit der Worte Mt. 16,18 f.
ergeben sich nun zwei wichtige Fragen: Aus welcher
geschichtlichen Situation stammt die Stelle? und: Auf
welcher geschichtlichen Grundlage beruht das hohe Ansehen
, das die Christenheit dem Petrus doch auch schon
im ersten Jahrhundert gezollt hat? Die erste Frage
wird in den letzten Paragraphen des ersten Abschnittes
beantwortet. Es handelt sich um die Zeit, als mit dem
Aussterben der führenden Herrenverwandten das urchristliche
Patriarchat erlosch und „ein neuer Grund,
ein neues äußeres Vorbild für die einheitliche Kirchenleitung
gefunden werden mußte". Die Heimat des Spruches
ist die palästinensische oder syrische Christenheit.
Mit der anderen Frage beschäftigt sich der zweite Teil
des Buches. Das Ansehen des Petrus beruht auf der
Tatsache, daß er als erster den auferstandenen Herrn
geschaut hat (§ 1). Ein Bericht über dieses erste Oster-
erlebnis steht hinter der synoptischen Verklärungsgeschichte
, ein ihm verwandter anderer — in mancher
Hinsicht vielleicht ursprünglicherer — Bericht hinter
dem 16. und 17. Kapitel des äthiopischen Textes der
Petrusapokalypse. Die beiden mit Jesus redenden Männer
der Verklärungsgeschichte sind ursprünglich wohl
einfach Gottesboten gewesen, die Jesus in den Himmel
geleiten; erst später wird schriftgelehrte Deutung
die Namen Mose und Elias eingefügt haben. Auf
jeden Fall wirkt hier ein aus dem Parsismus eingewanderter
Mythus nach: Nach dem Tode des Menschen
steigt Sraosha, der Seelenführer, vom Windgott Väe und
dem Siegesgott Bahräm unterstützt, mit der Seele des
Verstorbenen hinauf durch die Luft. — „Könnte das
nicht das Vorbild sein für den auferweckten Jesus, dessen
Seele oder Leib mit seinem ewigen Geist, dem Christus
im engeren Sinne, vereint in den Himmel aufsteigt, begleitet
von Moses und Elias?" (S. 86). G. findet seine
Auffassung von der Nachwirkung des ersten Oster-
erlebnisses bestätigt (§2) durch den 2. Petrusbrief und
andere Zeugnisse. Auch die allgemeine, verbreitete Vorstellung
von Petrus als dem Schauer himmlischer Gesichte
ist ihm letztlich eine Folge jenes ersten entscheidenden
Gesichtes.

Goetz hat mit der — namentlich am Schluß des
ersten und am Anfang des zweiten Teiles durchgeführten
— Aufdeckung bisher unerkannter Zusammenhänge
der Forschung zweifellos einen wertvollen Dienst geleistet
. Ob diese Zusammenhänge aber für das Ver-