Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1928 Nr. 17

Spalte:

402-405

Autor/Hrsg.:

Jelke, Robert

Titel/Untertitel:

Religions-Philosophie 1928

Rezensent:

Kesseler, Kurt

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

401

Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 17.

402

liehen Formen, die durch die induktive Forschung allmählich
mit fruchtbarem Inhalt erfüllt werden (S. 30).
Das erhärtet er zunächst an den Naturwissenschaften,
zeigt aber auch bei den Geisteswissenschaften, daß sie
überall das Handeln des Menschen aus dem Wechselspiel
der psychischen Motive erklären und jedes Glied
des geistigen Lebens „sowohl mit den vorhergehenden
als auch mit den folgenden durch strenge Kausalität
verbunden" denken (S. 39). Die Annahme einer ausnahmslosen
Kausalität, ein vollkommener Determinismus
ist die Vorbedingung aller wissenschaftlichen Erkenntnis
. Zwar das beschränkte Erkennen des Menschen vermag
die kausalen Beziehungen nur in sehr geringem
Maße zu durchschauen, aber für einen „Laplaceschen
Geist" oder für Gott liegen sie klar zu tage; für ihn ist
sogar das für uns so ganz rätselhafte Walten des Genies
durchaus kausal.

Und doch hat die rein kausale Denkweise ihre
Grenze; sie liegt im eigenen Ich, d. h. in der praktischen
Unmöglichkeit, beim eigenen Ich mit der grundsätzlich
auch hier richtigen kausalen Betrachtung Ernst zu
machen. Auch ein Laplacescher Geist könnte das Kausalgesetz
nicht auf seine eigene Denktätigkeit anwenden,
weil er sich über seine eigene Denktätigkeit nicht zu erheben
vermöchte. Und auch den Mitmenschen gegenüber
ist uns die Durchführung des richtigen Prinzips
versagt. So behält praktisch die Willensfreiheit ihr
Gebiet; für unser Handeln fällt die Führung nicht der
kausalen Wissenschaft, sondern dem kategorischen Imperativ
zu. Es „tritt an die Stelle des kausalen Muß das
sittliche Soll, an die Stelle der Intelligenz der Charakter,
an die Stelle der wissenschaftlichen Erkenntnis der religiöse
Glaube" (S. 48). So betrachtet, entlastet das
Kausalgesetz nicht von der sittlichen Verantwortung; es
steht auch nicht in Gegensatz zur Religion; vielmehr
benötigen Wissenschaft und Religion „einander in jedem
ernsthaft nachdenkenden Menschen zu gegenseitiger Ergänzung
" (S. 52).

Wir werden uns des Zeugnisses freuen, das in diesen
Ausführungen liegt, und werden im besonderen von
der Behandlung des Kausalgesetzes lernen. Ob P.s Verhältnisbestimmung
zwischen Kausalität und Willensfreiheit
genügt, ist eine andere Frage. Aber es wäre unfruchtbar
, darüber zu streiten, weil er das Wesen der
Freiheit nicht mit derselben Kraft durchdenkt wie das
der Kausalität. Es wäre doch möglich, daß sich bei
einer solchen Durchdenkung noch ganz andere Gedanken
melden, ja daß diese Gedanken vielleicht einen
inneren Zusammenhang fänden mit der Besonderheit
der psychischen Kausalität, die P. annimmt, ohne ihr genauer
nachzugehen.
Leipzig. H- Stephnn.

Fellner, Lic. Karl: Das überweltliche Gut und die innerweltlichen
Güter. Eine Auseinandersetzung m. Ernst Troeltschs
Theorie über d Verhältnis v. Religion u. Kultur. Leipzig : J. C. Hinrichs
1927. (VIII, 180 S.) gr. 8». RM 4.80.

F.s Schrift beweist, daß Troeltsch auch heute noch
in der Theologie lebendiger ist, als es den Anschein hat.
Das ist erfreulich. Denn Troeltsch hat Fragen aufgeworfen
, die mit seinem Tod, mit dem Kriegsopfer seiner
Schüler und mit dem Wandel der theologischen Gesamtstimmung
nicht erledigt sind. Sie fordern Antwort,
und ihre Vernachlässigung wird sich rächen. Das darf
gerade der sagen, der Troeltschs theologischen Weg nie
teilen konnte. — F. findet, daß Troeltsch die Frage
nach dem Verhältnis von Religion und Kultur mit Recht
betont, aber auf eine falsche Bahn schiebt. Troeltsch
möchte die rein formale Ethik durch eine inhaltliche
Wertethik überwinden. Nur sieht er diese von vornherein
im Schema der Spannung zwischen Religion und
Kultur, d. h. zwischen dem überweltlichen Gut und den
innerweltlichen Gütern, und meint in einem immer neuen
Kompromiß zwischen ihnen den allein möglichen Weg
zu erkennen. Gegen diese Spannung und den Kompromiß
wendet sich F. Er deckt ihre Ursache in einer
Zwiespältigkeit der Religion, ja des Lebensgefühls bei
Troeltsch auf. Eine „akosmistisch-mvstisch-pietistische
Frömmigkeit" ringe mit der frommen Auffassung der
Kulturwerte, die (in der Neubestimmung des Verhältnisses
von Glaube und Werken) vielmehr auf dem
Boden der Reformation und auch des Evangeliums Jesu
stehe. Dem geht F. nach, indem er außer der Ethik
j die Religionsphilosophie von Troeltsch eingehend untersucht
. In ihr wirke ebenfalls eine innere Zwiespältig-
j keit, die am deutlichsten im Apriori und im Gottesgedanken
zum Ausdruck komme. Einerseits handelt es
sich dabei — gut „kritisch" — um die rein formale
Voraussetzung aller empirischen Religion und alles Kulturstrebens
, also um einen symbolischen Gottesgedanken
, anderseits um eine naive oder metaphysische Vergegenständlichung
Gottes, d. h. um eine naive oder
spekulative Deutung des religiösen Erlebnisses.
Troeltsch selbst komme nicht zur Klarheit über diesen
| Gegensatz, aber eine rechte Religionsphilosophie müsse
I von ihm ausgehen und so Troeltsch erst recht fruchtbar
! machen. Sie sieht gewiß auch „das Christentum in
ständiger scharfer Spannung zu jeder Kulturseligkeit, zur
I Einbildung auf Kulturerrungenschaften, zur gegenwärtigen
wirklichen Kultur oder Unkultur, ja schon zu
jedem zwar wahren, doch fragmentarischen Kulturwert",
| aber doch zugleich als „Impuls der ethisch verstandenen
Kultur", in vollster Harmonie mit der ethischen
Kultur idee (S. 167). — Diese Grundgedanken
führt F. mit Scharfsinn, kraftvoller Entschiedenheit und
j warmer innerer Beteiligung nach allen Seiten durch. Er
! gibt damit ein schönes Beispiel moderner religionsphilo-
! sophischer Arbeit; und es wird gut sein, diese Stimme
zu beachten. Freilich zwingend scheint sie mir durchaus
nicht zu sein. So gut und richtig F. gewisse Zwiespältigkeiten
Troeltschs aufdeckt — verliert er nicht in der
| Überwindung der bei diesem vorhandenen Unklarheit
auch ein gut Teil seines Reichtums und seiner Problematik
? Und gerät er nicht bei seiner eigenen Theorie
[ in Gegensatz zu dem wirklichen Leben des Christentums
, ja der Religion überhaupt? Troeltsch ging
i immerhin in hohem Maße von einer „Phänomenologie"
! der Religion, d. h. von einer Untersuchung ihres wirk-
I liehen Lebens aus (daher kam er eben zu dem, was F.
allzu einfach als Rückfall in die Naivität des gegenständlichen
Gottesgedankens betrachtet); F. dagegen gründet
alles auf eine kritisch-philosophische Systematik, die
mir weder der überempirischen Wirklichkeit Gottes noch
i der empirischen Wirklichkeit des Gegebenen gerecht zu
werden scheint. Damit zeigt er dem Theologen, der im
Namen seiner bestimmten Religion und ihres Glaubens-
t anspruchs arbeitet, die Schwierigkeit der religionsphilosophischen
Arbeit und die Bedeutung seines eige-
| nen wissenschaftlichen Ringens noch deutlicher als
j Troeltsch. Die Religionsphilosophie ruft nach Theologie
. Sicherlich wird auch dem Verfasser dieser Erst,
lingsarbeit, deren hohe Qualität auf weitere Leistungen
hoffen läßt, das Problematische sowohl der Religionsphilosophie
überhaupt wie vor allem seines besonderen
Weges allmählich stärker als bisher aufgehen.
Leipzig. Horst Stephan.

J e 1 k e, Robert: Religions-Philosophie. Leipzig: Quelle & Meyer
1927. (XI, 333 S.) gr. 8". RM 18 - ; geb. 20-.

Das entscheidende Problem der modernen Religionsphilosophie
ist die Frage nach dem Recht des Idealismus
. Jelke geht etwas knapp auf dieses Problem

! ein und lehnt den Idealismus zugunsten eines kritischen
Realismus in der Richtung Külpes ab. Vielleicht wird
der Verfasser den tiefsten Motiven des Idealismus aber

I doch nicht voll gerecht, weshalb seine Darlegung etwas
mich nicht voll Überzeugendes behält. Grundsätzlich
aber dürfte er damit im Recht sein, daß der reine Idealismus
uns in formalistischer und subjektivistischer Ver-

I engung hält und uns nicht zum Gegenstand gelangen