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Ausgabe:

1928

Spalte:

21-22

Autor/Hrsg.:

Steffes, Johann Peter

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie 1928

Rezensent:

Stephan, Horst

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2]

Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 1.

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nicht für unvermeidlich und auch nicht für fein, daß er sich diese
Bekämpfung so bequem macht und auf einen Popanz loshaut, dem
er meinen Namen und ein paar Zitate von mir verleiht, und nicht
auf mich selbst. So verschweigt er z. B. dem Leser, daß ich der
intellektuellen Anschauung des Idealismus ihren Anspruch, über Oott
und die Religion Aussagen zu machen, mit dürren Worten bestreite,
ihr im zähen Kampfe alle für das Oottesverhältnis wichtigen Begriffe
entwinde und sie nur für die unter dem persönlichen Leben
liegende Welt weiter gelten lasse. So erweckt er ferner im Leser ,
den Eindruck, als ob meine Theologie in dem stehe, was er das
sich selber Sagen, d« sich Erinnern, sich selbst Erkennen nennt.
Sie steht mir zuerst und zutiefst in dem sich sagen Lassen; aber sie |
meint allerdings, daß man nur da wahrhaft sich sagen lasse, wo das
Gesagte ein ganzes freudiges eigenes Ja im Herzen gebäre, daß wir
>e mehr wir glauben desto mehr auch den Geist Gottes empfangen
und in ihm eigene Freiheit und eigene Bewegung.

Göttingen. E. Hirsch.

Steffes, Johann Peter.: Religionsphilosophie. Kempten:

J. Kösel & F. Pustet 1925. (X, 280 S.) gr. 8°. Philosophische
Handbibliothek, Bd. 9. Km. 0.50; geb. 7.70. j

Die Religionsphilosophie gewinnt neuerdings auch
auf katholischem Boden eine gewisse Verbreitung. Neben
Wunderle, Grundier und Przywara kommt dabei
vor allem Steffes in Betracht. Und zwar gerade deshalb, j
weil er nicht wie etwa Gründler oder Przywara einer ;
bestimmten Art von Systematik zum Durchbruch ver-
helfen, sondern ganz schlicht ein Lehr- und Lernbuch
geben will, das „über die grundlegenden allgemeinen
Fragen und Antworten eine erste dem heutigen Stand
der Wissenschaft entsprechende Orientierung bringen
möchte" (S. VI). Eine solche Einführung und Übersicht
scheint heute auch innerhalb der katholischen
„Philosophischen Handbibliothek" notwendig. Das Problem
der Religion ist so vielfältig geworden, hat stofflich
und methodisch so viele neue Beleuchtungen empfangen
, daß der Katholizismus Stellung nehmen muß.
Er kann es entweder durch ablehnende Kritik der Reli-
gionsphilosophie oder positiv innerhalb der Religions- .
Philosophie selbst versuchen. Zweifellos liegt jenes ihm
gegenüber der wirklichen Religionsphilosophie an sich
näher. Trotzdem erprobt er jetzt den anderen Weg. Nur
daß eine im üblichen Sinn philosophische, d. h. doch
irgendwie undogmatisclie, einfach von der Tatsachenwelt
der Religion ausgehende und diese untersuchende Behandlung
ihm lediglich als etwas Vorläufiges, Vorbereitendes
möglich wird — womit natürlich der eigentliche
Sinn der Religionsphilosophie verfehlt ist. So
schimmert denn auch hei St. überall die Gewißheit hindurch
, daß die Philosophie in all ihren Grund- und
Hauptfragen ihre letzte Weisung von Kirche und Dogma
erhält. Sie gibt ihm die innere Möglichkeit, wie alle
Philosophie so auch die Religionsphilosophie einem
harmonischen rational- supranaturalen System einzugliedern
und ohne gefährliche Erschütterung an der reli-
gions-philosophischen Erörterung teilzunehmen.

Er tut es mit der Universalität, die an sich zum
Wesen des Katholizismus gehört und heute vor allem
den deutschen Katholizismus kennzeichnet. Puristische
Kritik liegt dessen heutiger Gesamtstimmung fern; er
fühlt sich seiner Grundlage so sicher, daß er aller Welt
und Kultur die Hand entgegenstrecken kann, um ihre
Gaben zu benutzen. Das zeigt sich wie in den einleitenden
Bemerkungen (enzyklopädische Stellung, Möglichkeit
, Sinn und Aufgabe der Religionsphilosophie) so
in allen Hauptteilen: „allgemeine Phänomenologie der
Religion" (S. 29—83), „philosophische Wahrheitsfrage
der Religion" (84—209), „die theistische Religion im
Rahmen unseres Geisteslebens" (210—39), „Soziologie
der Religion" (240—64). Überall werden nicht nur moderne
Begriffe herangezogen, sondern auch die modernen
Theorien kurz skizziert. Evangelisches Denken
kommt wenigstens etwas mehr zu seinem Rechte als bei
Przywara. Nirgends wird einfach abgeurteilt, überall
möglichst ein positiv zu wertendes Moment' herausgestellt
. Gegenüber dem ehrliehen Ringen um solche gerechte
Objektivität kommen die gelegentlichen Schiefheiten
des Verständnisses, die bibliographischen Unge-
nauigkeiten (so bei Schleiermacher S. 144, 83, 145) u. ä.
nicht in Betracht.

Der Katholizismus des Verfassers tritt auch inhaltlich
an allen wichtigen Punkten zu Tage. Daß die Soziologie
in der Betonung der Kirche (als des „in Raum und
Zeit immer weiter ausreifenden, alle Menschen umspannenden
sichtbaren Reiches Gottes" S. 249) gipfelt,
ist selbstverständlich. Charakteristisch ist die Abweisung
alles „Irrationalismus", die starke Betonung der rationalen
Metaphysik für die Gottesgewißheit, auch des
„Logos" gegenüber dem „Eros-Pneuma" Schelers (S.
247). Noch charakteristischer für den modernen Katholizismus
ist freilich die < iebrochenheit dieses Rationalismus
: St. gibt den „emotionalen" Monienten erheblichen
Spielraum, ohne daß es doch zu voller Klarheit
über das Verhältnis des Rationalen und Emotionalen
käme. Modern-katholisch ist auch die starke Anpassung
an den protestantischen Glaubensbegriff: nach wie vor
ist Glaube Bejahung des Dogmas und der Überlieferung
, aber zugleich „die wesensnotwendig damit verbundene
Bereitschaft, sich von der in ihr enthaltenen
Selbsterschließung Gottes bestimmen zu lassen" und
insofern „Grundfunktion der Religion" (S. 256), wiederum
ohne Ausgleich der beiden Seiten des Begriffs. So
ließe sich allenthalben nachweisen, daß der weltoffene
Universalismus dieses katholischen Denkens zwar in keinem
Sinn Preisgabe des katholischen Standpunkts bedeutet
, aber in Schwierigkeiten führt, deren Überwindung
noch nicht abzusehen ist.

Leipzig. Horst Stephan.

Joachimsen, Prof. Dr. Raul: Sozialethik des Luthertums.

München: Chr. Kaiser 1927. (VI, 54 S.) gr. 8". Veröffentlichung
d. Luther-Gesellschaft. Rtn 1.50.

Joachimsens dankenswerter Vortrag behandelt die
Sozialethik des Luthertums sowohl historisch wie auch
grundsätzlich. Den weitaus größeren Raum nimmt naturgemäß
die historische Darstellung ein. Aber sie bereitet
durch ihren kritischen Ernst die grundsätzliche
Besinnung schon überall vor.

Unter dem Luthertum versteht J. in erster Linie
das 16. Jahrhundert. So gilt der größte Feil des Buches,
nach einer Übersicht über die Sozialethik des Mittelalters,
den Gedanken Luthers (S. 12—33) und Melanchthons
(S. 33—41). Es folgt ein Ausblick auf das Luthertum
im Zeitalter der Orthodoxie und des christlichen Polizeistaates
, auf den Calvinismus und das Angcl-
sachsentum (S. 41—45), dem sich dann die Erörterung
der Gegenwartsfrage anschließt (S. 45—54).

Man lernt viel aus dieser überaus beziehungs- und
gedankenreichen Darstellung. Ein Historiker hat das
Wort, der die Geschichte der Ideen und die Entwicklung
der Verhältnisse gleichmäßig beherrscht. Es gibt nicht
viele „ProfaiVbistoriker an unseren deutschen Hochschulen
, die so wie J. gewillt und imstande sind, Luthers
sozialethische Gedanken von dem Zentrum seiner Theologie
, von dem Rechtfertigiingsgedanken aus, zu verstehen
. J. ist hier, wie er mehrfach bekennt, bei Holl
in die Schule gegangen. Eine Fülle feiner und treffender
Bemerkungen findet sich in seiner Behandlung
Luthers. Aber ist es Befangenheit in theologischer Gewöhnung
oder systematischen Vorurteilen, wenn ich, trotz
aller Feinheit im Einzelnen, das Bild der Sozialethik
Luthers geschlossener, einfacher wünschte? Auch im
Einzelnen fühlt der Theologe sich durch den Sprachgebrauch
des VeiT.s bisweilen gestört. Die Rechtfertigung
als „einmalige, aber immer zu wiederholende, nie abgeschlossene
Handlung des Christen" (19), als
eine „immer zu wiederholende Anstrengung" (15),
solche Wendungen läse man in einer Darstellung Luthers
lieber nicht. Hängt es damit zusammen, daß J. nirgends
ein Wort hat für das Hervorbrechen des lutherischen
Ethos aus der Erfahrung der Liebe Gottes in der Gabe
der Rechtfertigung? Denn den Satz auf S. 15: „Der