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Ausgabe:

1928 Nr. 16

Spalte:

380-381

Autor/Hrsg.:

Walther, Andreas

Titel/Untertitel:

Soziologie und Sozialwissenschaften in Amerika und ihre Bedeutung für die Pädagogik 1928

Rezensent:

Schumann, Friedrich Karl

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 16.

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dem vermittelt sie allein — was gerade für die Religion
der Natur ins Gewicht fällt — ein Bild der letzten Gestalt
, zu der die Religionsphilosophie in Hegel herangereift
war. Lasson bietet das Manuskript von 1821 und
den Stand des Systems um 1824 und 1827 so dar, daß
man in das Werden Hegels Einblick gewinnt. Man
wird ihm das danken; allein schon die Zugänglichkeit
des Manuskripts von 1821 sichert seiner Ausgabe ihren
Platz. Aber das ihm vorschwebende Ziel, die künftig
allein maßgebliche Gestalt von Hegels Religionsphilosophie
zu geben, hat er nicht erreicht. Man wird es bedauern
, daß das vergebliche Ringen um dies Ziel (das
bei den gegenwärtig allein noch verfügbaren Unterlagen
auch einem den alten Herausgebern ebenbürtigen Geiste
unerreichbar geblieben wäre) die Darbietung des Materials
in seine Ausgabe nun unübersichtlich gemacht und
auch sachlich beeinträchtigt hat. Damit ist der Hegelforschung
viel unnütze Mühsal bereitet. Aber schließlich
, wenn der Tag nicht mehr ferne ist, an dem man
eine Entwicklungsgeschichte von Hegels Religionsphilosophie
wird wagen können, so ist das letztlich doch
dem Lasson'schen Unternehmen zu danken.

So bleibt denn Lasson's Ausgabe eine bei allen
technischen Mängeln unentbehrliche Materialsammlung.
Aber das systematische Ganze, das Hegel bei seinem
eignen Ringen vorschwebte, ist die alte Ausgabe in weit
höherem Maße als die neue.
Oöttingen. E. Hirsch.

Hegel, Georg Willi. Friediy; Erste Druckschriften. Hrsg. von
Georg Lasson. (= Hegels Sämtl. Werke Bd. 1.) Leipzig: F.
Meiner 1928. (XL1V, 432 S.) 8°. = Philosoph. Bibliothek Bd. 62.

KM 10—; Lwd. 12—.

Vergleicht man diesen eben erschienenen ersten
Band der Lasson'schen Ausgabe mit dem ersten Bande
der sog. Stuttgarter Jubiläumsausgabe, so ist Lasson's
Band — abgesehen davon, daß die wissenschaftlichen
Behandlungsarten des Naturrechts bei ihm fehlen, weil
sie schon in einem andern Bande seiner Ausgabe enthalten
sind — der reichere und wertvollere. Nicht deshalb
, weil er eine einst irrtümlich Hegel zugeschriebene
schellingische Abhandlung von 1802 im Anhange
mitteilt; das war durchaus unnötig. Sondern weil er
einiges sonst schwer zugängliche Material enthält, das in
der Jubil.-Ausgabe fehlt, und wir für diese Werdejahre
eine Bereicherung unsrer Kenntnis Hegels dringend
brauchen können.

Das Mehr Lasson's in diesem Sinne umfaßt 1. mehrere
Rezensionen Hegels, nämlich von Friedrich Bou-
terwek, Anfangsgründe der spekulativen Philosophie
1800; J. Fr. C. Werne bürg, Kurze wissenschaftliche
Darlegung der Unhaltbarkeit sowohl des transzend.
ideal. Systems von Fichte, als auch des Systems der
eiteln Grundlehre und des kritischen Systems, 1800;
J. W. C. Werneburg, Versuchte kurze faßliche
Vorschilderung der Allwissenschaftslehre 1800; K. Fr.
V. Gerstäcker, Versuch einer gemeinfaßlichen Deduktion
des Rechtsbegriffs aus den höchsten Gründen,
1801. — 2. Hegels Jenenser Habilitationsthesen v. 27.
VIII. 1801. Die Rezensionen sind Beispiele der genio-
kratischen Rücksichtslosigkeit, mit der die Großen jener
Tage unfähige Mitbewerber um die geistige Führung
der Nation abtaten. Die Habilitationsthesen sind
voll unerhörter Paradoxien und dem, der sie versteht,
fast ein Inbegriff des ganzen damaligen hegelischen
Systems.

Ich gebe Proben: 6. Idea est synthesis infiniti et finiti, et
philosophia mentis est in ideis. 12. Moralitas omnibus numeris absoluta
virtuti repugnat.

Überdies hat Lasson noch für sich die zuverlässigere
Textgestaltung. Der Band ist also dem ersten
Bande der Jubil.-Ausg. an Wert überlegen.

Göttingen. E. Hirsch.

Wünsch, Prof. Georg: Evangelische Wirtschaftsethik. Tübingen:
J. C. B. Mohr 1927. (XV, 740 S.) gr. 8°. RM. 28.50; Lwd. 32-.
Verf. legt in diesem Buche den 1. Band einer groß
; angelegten evangelischen Sozialethik vor. Der 1. Teil
(S. 1—269) enthält die philosophische und religiöse
Grundlegung des Sittlichen. Der 2. Teil (270—729)
wendet die gewonnenen Erkenntnisse auf das Gebiet des
wirtschaftlichen Handelns an. Das Buch will nicht nur
wissenschaftliche Abhandlung, sondern zugleich Lehr-
i buch für sozial interessierte Kreise („stoffliche Hilfe für
; Predigt und Vortrag") sein. Deshalb ist Verf. auf die
! ungeheure Fülle der zum Problem gehörigen Einzelfragen
eingegangen, was — bei aller Dankbarkeit für
das Dargebotene — zu einer gewissen Langatmigkeit
geführt hat, die im Interesse der wissenschaftlichen
| Darlegung besser vermieden wäre. Diese ist angesichts
des Fehlens einer solchen seit Wendlands Buch und der
I Tatsache, daß die prinzipielle Betrachtung heute sich in
(ielegenheitsbroschüren und Zeitschriftenartikeln zu erschöpfen
droht, notwendig. Deshalb ist auch der vorliegende
Versuch — mehr kann es heute, wo wir erst
wieder im Anfang der Problemerörterung stehen, naturgemäß
nicht sein — sehr begrüßenswert und hat An-
i spruch auf ernste Beachtung.

Zur Förderung weiterer Aussprache scheint mir
an drei Punkten die Kritik ein sachliches Recht zu
i haben. Einmal fällt auf, daß der Unterschied zwischen
Personal- und Sozialethik in der Grundlegung (trotz S.
13) nicht genügend berücksichtigt wird. Daß sein Blick
in diesem Buch auf den begrenzten Teil der Wirtschaft
(als „objektives Sachgut") gerichtet ist, hat den Verf.
dazu geführt zu übersehen, daß keine S o z i a 1 ethik an
dem Problem von Persönlichkeit, Gemeinschaft, Masse,
(ksellschaft, Staat vorbeigehen kann, — eine evangelische
Sozialethik nicht an der Frage nach Kirche
J und Gemeinde. Sozialethik ist etwas anderes als Indivi-
dualethik, deckt sich nicht mit objektiver Wertethik.
Wenn dies berücksichtigt wäre, dann hätte auch nicht
mehr gesagt werden können, daß das Reich Gottes für
1 die Ethik entbehrlich sei (S. 263), es sei denn, daß man an
den Untersuchungen Althaus' über die letzten Dinge
vorbeigehend das Reich Gottes in die ferne Zukunft
weist. Damit hängt ein Anderes zusammen. Wichtig ist
gewiß die Betonung des Schöpfungsgedankens für die
I Sozialethik. Aber diese Schöpfung ist abgefallen und
j bedarf der Erlösung. Beides offenbart das Kreuz
Christi (gegen S. 189). Eine evangelische Sozialethik
kann an dieser doppelten Erkenntnis nicht vorübergehen
, denn das unterscheidet sie gerade von einer
bloß philosophischen oder sonstigen religiösen Ethik.
Nicht im Glauben an die Schöpfung, sondern an die Erlösung
für die Schöpfung wurzelt unser sittliches Handeln
. Das kommt bei dem Verf. nicht zu seinem Recht.
Dabei würde dann sich auch der Begriff des Reiches
j Gottes als unentbehrlich einstellen. Schließlich sind
gegen den religiösen Sozialismus, wie Verf. ihn faßt,.
Bedenken zu erheben. Der Begriff bleibt in der ganzen
Darstellung unklar. Einmal ist er Wirtschaftssystem,
dann Ideal, dann Regulativ. Sprechen wir in einer Wirt-
j schaftsethik von Sozialismus, dann können wir ihn nicht
I anders nehmen, als das im Gegensatz zum Kapitalismus
j entstandene Wirtschaftssystem. Und dieses System, trotz
I aller Vorbehalte und Einschränkungen, die Verf. macht,
wenn auch nur heute als das der christlichen Haltung im
Wirtschaftsleben gemäße System anzusehen, bedeutet
ebenso eine Verkennung der Wirklichkeit und des Christentums
, als wenn man den Kapitalismus so ansehen
wollte.

Bremen. Bodo Heyne.

Walther, Prof. Andreas: Soziologie und Sozialwissenschaften
in Amerika und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Karlsruhe:
G. Braun 1927. (III, 143 S.) 8«. kart. RM 5 ; Lwd. 6-.

Das Buch ist gearbeitet aufgrund der Eindrücke
und Beobachtungen, welche Verf. auf einer längeren Studienreise
sammeln konnte, die nicht nur dem Kennen-