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Ausgabe:

1928 Nr. 15

Spalte:

357-358

Autor/Hrsg.:

Thurneysen, Eduard

Titel/Untertitel:

Das Wort Gottes und die Kirche 1928

Rezensent:

Althaus, Paul

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357

Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 15.

358

Dankbarkeit, mit der wir sie begrüßen, nichts von ihrer

Stärke, im Gegenteil, es bringt sie gerade zum Ausdruck,
wenn dies wichtige Stück von St.'s Lebensarbeit Gegenstand
lebhafter Auseinandersetzung bleibt.

Greifswald. R- Hermann.

Thurneysen, Eduard: Das Wort Gottes und die Kirche.

München: dir. Kaiser 1927. (IV, 231 S.) gr. 8".

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Von den 8 hier gesammelten Vorträgen sind nur
2 (Das Wesen der Reformation; Die Aufgabe der Theologie
) bisher ungedruckt; 5 sind in „Zwischen den
Zeiten" schon erschienen (Schrift und Offenbarung; Die
Kirche des Wortes; Kirche und Staat; Konfirmandenunterricht
; Sozialismus und Christentum), einer in der
„Zeitwende" 1927 (Vom Wesen der Kirche). Die K.
Barth und Thurneysen gemeinsamen Gedanken kommen
in dieser Sammlung zu einer durch die Vortragsform
und ihre lebendige bewegte Sprache besonders eindrucksvollen
Darstellung. Man empfindet bei Thurneysen
, dem Pfarrer, fast noch unmittelbarer als bei
Barth die Entstehung der jüngsten theologischen Bewegung
aus Fragen des Pfarramtes und sieht noch
deutlicher die „Anwendung", die sie in der Praxis der
Kirche finden muß. Als stärkster Ton geht durch das
Buch wohl das ernste, frohe, tapfere Wort von der
Kirche. Hier wie auch sonst hört man mit Freuden die
klare Stimme der reformatorischen Theologie. Besonders
sei hervorgehoben, als in der „dialektischen Theologie
" bisher nicht allzu häufig, die nachdrückliche
Würdigung der Kirche als Gemeinschaft (70ff.).
Auch auf die vortreffliche Behandlung des Konfirmandenunterrichtes
sei eigens hingewiesen.

Die Schranken der dialektischen Theologie treten
naturgemäß auch in diesem Buche hervor. Aus Sorge
um die Reinhaltung des Rechtfertigungsgedankens wird
das Wort von der Wiedergeburt gelähmt. „Es müßte
der ganze Ernst der Sünden- und Gnadenerkenntnis
doch nicht so ernst gemeint sein, wenn das Wort von
der Gerechtmachung anders als eschatologisch verstanden
werden könnte" (21). Allerdings spricht Th.
dann doch von der nova vita (23 f.) und findet sie im
Glauben. Nicht auch in der Liebe? Seltsam negativ
bleibt der Liebesgedanke. Die Gemeinschaft wird eigentlich
nur als Zurückhaltung in dem Urteil über andere,
als „Lindigkeit" in diesem Sinne beschrieben (24; 84).
Das ist gewiß richtig und schön, aber soll es alles sein,
was hier zu sagen wäre? — In dem Vortrage über die
Aufgabe der Theologie findet sich die Formulierung:
„Die Theologie von heute ist sozusagen auf der ganzen
Front nicht Theologie des Offenbarungs w o r t e s , sondern
Theologie des Of fenbarungs be w u ß t s e i n s"
(215). Ob diese spitze, bequeme Formel der Lage und
der Sache, der Korrelation von Offenbarung und Glaube
, wirklich gerecht wird? Auch Th. redet doch von
einer „Theologie des Glaubens" (225). Ist der Glaube
nicht auch Offenbarungsbewußtsein? Hier wäre jedenfalls
ein eingehenderes Wort zu wünschen gewesen.

Aber an diesem Punkte ist die Differenz vielleicht
mehr scheinbar als wirklich bedeutsam. Ernster sind unsere
Bedenken gegen Th. dort, wo seine religiös-soziale Ver-

fangenheit die Gedanken aus der reformatorischen und
iblischen Linie ablenkt. In dem Vortrage über „Kirche
und Staat" wird man den meisten konkreten Forderungen
durchaus und gern zustimmen. Der Ruf zur
Freiheit der Kirche, der ernste Hinweis auf die Möglichkeit
offenen Kriegszustandes zwischen Staat und Kirche
ist zeitgemäß und begründet. Aber die Würdigung des
Staates selber? Wir hören: „Vielleicht des Menschen
höchstes Werk", „die im Staate organisierte Welt",
„Staatsfreundlich zu sein ist der Kirche grundsätzlich
verwehrt" — aber ist der Staat nicht auch ein von Gott
gegebenes „Amt", gewiß im Elemente der sündigen
Welt, aber eben doch „Amt" im echten Sinne? Davon
hören wir nichts. Will auch Th. das Kunststück machen.
Rom. 13 umzudeuten? Jedenfalls wird an diese Stelle

nie erinnert, während weder das „Tier aus dem Abgrund
" noch die „Herrschaften, Mächte und Gewalten"
fehlen. Die Frage des Staates ist damit unerlaubt ver-

[ einfacht, die Zweideutigkeit allzu eindeutig geworden.
Gewiß sagt die Kirche das Wort, „das auch dem Staate
ein Ende setzt" — aber warum nimmt Th. der Sache
die Tiefe, indem er verschweigt, daß es das gleiche
Wort ist, das den Staat zuerst in seiner „Würde" (von

l der Th. (117), aber wohl nur als einer humanen, zu
reden vermag) begründet? — Ebenso empfindlich
scheint mir die Verletzung der reformatorischen Linie
in dem Worte über Sozialismus und Christentum. Das
muß gerade der aussprechen, den das Verhältnis des

I Christentums zum Sozialismus genau so schwer bedrückt
wie Th. Nicht den Ernst der Klage und Anklage

i überhaupt greifen wir an, nicht die Ratlosigkeit, das
Bewußtsein einer vielleicht unwiederbringlich versäumten
Stunde — sondern die theologische Formel, die Th. zu
alledem nun gibt, für die „Entdeckung", die das Chri-

I stentum „an dem Rätselbild des proletarischen Bruders"
„bei einigem Nachdenken, bei einiger Bereitschaft und
Bereitwilligkeit, auf die Frage der Zeit zu hören", hätte
machen können — „eine Entdeckung, die der Größe und
Wucht jener andern Entdeckung nichts nachgegeben
hätte, die 350 Jahre früher Martin Luther, der gefeierte

I Glaubensheld, an dem zwar noch näherliegenden, aber
nicht minder rätselhaften Paradigma der eigenen, persönlichen
Schuld und Gottlosigkeit gemacht hatte"
(171). Diese Entdeckung wäre nichts Geringeres gewesen
als der Sinn der — Rechtfertigung aus Gnaden
(186), der Sinn der Erzählung vom Pharisäer und Zöllner
. Will Th. — es scheint fast so — den Sozialismus
dem Zöllner vergleichen, dem Zöllner, der rief: Gott

I sei mir Sünder gnädig!? Oder wenn nicht (der Ge-

| danke ist mir nicht ganz deutlich geworden) — was soll
dann überhaupt die theologische Schematisierung des
ganzen Problems „Christenheit und Sozialismus" durch
die Zöllnergeschichte und den Hinweis auf die grundlose
Freiheit des göttlichen Willens, zu rechtfertigen
und zu verwerfen wider alle unsere Maßstäbe? Ist das
wirklich der Sinn der Begegnung von Christentum und
Sozialismus? Th. erwartet das Heil von der Einsicht der
Christenheit: unsere Vorzüge vor dem Sozialismus, unsere
Güter und Kräfte sind nichts vor Gott, entscheiden
nicht über sein Urteil. Im Sinne des Paulus und Luthers
müßte es stattdessen heißen: unsere — wirkliche
— Stärke, Begabung, unser — wirkliches — „Vermögen"
(in jeder Hinsicht) gehört den Enterbten, Verbitterten,

I Gottlosen. Stärke ist gewiß nichts vor Gott (hätte die
Kirche sich das wirklich eingebildet und wäre ihre
daraus folgende Haltung wirklich der tiefste Grund des
Risses zwischen Kirche und Sozialismus?), aber sie ist
etwas von Gott, gegeben für den Dienst. Nicht die
Solidarität der vor Gott Nichtigen, sondern der
Kommunismus der Begabten mit den Enterbten
scheint mir das entscheidende Wort an die Kirche sein
zu müssen. Wirkt nicht in Th.s Formel die oben
hervorgehobene Negativität seines Liebesgedankens

| nach? — Dabei soll gewiß nicht die „Stärke des

, Schwachen" (187) vergessen werden. Ich mache mir

1 Th.s Tiefendeutung des Sozialismus durchaus zu eigen:
„,Der Sozialismus lebt wahrhaftig nicht von den paar
Antworten, da auch er allenfalls auf die wirtschaftlichen
und kulturellen Fragen der Zeit zu geben hat, er lebt
von der großen Frage nach einer ganz andern Antwort,

| als alle diese menschlichen Antworten, seine eigenen und
die der bürgerlichen Welt, es sind". —

Im Vongen sind vielleicht die Bedenken gegen eine

| Reihe von Gedanken Thurneysens lebhafter hervorge-

: treten als die Freude und Übereinstimmung mit dem
Grundton des Buches. So sei am Schlüsse noch ausdrücklich
betont, daß die Bedenken aus, wie ich wenigstens
meine, wirklicher Nähe kommen und daß sie
mir eben um dieser Nähe willen ein wirkliches „Anliegen
" (mit Barth und Thurneysen zu reden) sind.

1 Erlangen. p. Althaus.