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Ausgabe:

1928 Nr. 14

Spalte:

332-333

Autor/Hrsg.:

Fischer, Ludwig

Titel/Untertitel:

Die natürliche Ordnung unseres Denkens und der Zusammenhang der Weltanschauungen 1928

Rezensent:

Winkler, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 14.

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dualistisch deutet, und daß sie andererseits Schiller aus I
der zeitgeschichtlichen Verflochtenheit herausnimmt und I
ihn selber zum idealen Kriterium der Geschichte er- :
hebt. Aber gerade von hier aus erschließt sich auch der [
große Wert der Arbeit. Das Entscheidende in der gegeschichtlichen
Leistung eines Menschen wird immer J
nur dann in seiner wirklichen Bedeutung heraustreten, |
wenn dieser Mensch mit auszeichnender Liebe in den
Mittelpunkt des Verstehens gerückt ist. Das ist hier für
Schiller geschehen; und die Klärung, die dadurch für die |
Charakteristik des deutschen Idealismus erreicht ist,
überwiegt weit den Schaden, der durch einige Seitenblicke
angerichtet wird.

Bremen. H. Knittermeyer.

Freiherr von Soden, Prof. D. Hans: „Was Ist Wahrheit?"

Vom geschichtlichen Begriff d. Wahrheit. Rede bei Antritt des Rektorats
der Univ. Marburg. Marburg: N. O. Elwert 1927. (27 S.) 4». =
Marburger Akademische Reden Nr. 46. RM !•*■<

Diese mir ohne vorherige Nachfrage zur Besprechung
zugegangene Rektoratsrede würde ich nicht anzuzeigen
wagen, wenn nicht ihr philologischer Ausgangspunkt
sich zu einer philosophischen Erkenntnis bestimmte
, die mir für das Selbstverständnis einer christlichen
Philosophie geradezu ausschlaggebend zu sein
scheint. Von Spengler her wird ein Widerstreit zwischen
Wahrheit und Wirklichkeit in Erinnerung gebracht, der
nicht zugunsten der Wahrheit ausfällt. Daran knüpft
sich die Frage, ob nicht in der Geschichte des Wahrheitsbegriffes
sich Sinnbestandteile nachweisen lassen,
die heute durch den sehr jungen Begriff der Wirklichkeit
vertreten und dann gar dem entsprechend abstrakter gefaßten
Wahrheitsbegriff entgegengesetzt werden. In der
Tat zeigt sich nun, daß in Jesus und Pilatus sich „zwei
verschiedene Wahrheitsbegriffe" gegenübertreten, die
der jüdischen und griechischen Grundhaltung entsprechen
. Der griechischen dkrfteta steht das hebräische
Amen zur Seite, das nicht „einen bloßen Sachverhalt
als solchen und das Wissen um ihn" bezeichnet, sondern
das „Stützen", „fest sein lassen", „Bestand, Dauer
haben" in seiner Wurzel bewahrt. „Für den hebräischen
Wahrheitsbegriff ist es daher vor allem charakteristisch,
daß die Wahrheit nicht nur wie bei uns gewußt, gesagt,
gehört und gegebenenfalls verkannt, verhüllt, verleugnet
werden kann, sondern daß sie getan wird, daß sie geschieht
". Damit ist eine primär geschichtliche Bestimmung
gegeben. „Wahrheit ist die als Geschichte gesehene
Wirklichkeit". Das Amen will nicht sagen:
„Wahrlich, so ist es, sondern: wahrlich, es soll also
geschehen". Nun hat sich zwar auch in der griechischen
Philosophie die Wahrheit noch nicht zu etwas
so Gleichgiltigem abgeschliffen, das neben der Wirklichkeit
herliefe. Die aArfteia verweist auf das eigentlich
Seiende, als Wissen ist auch sie „Wissen vom Sein".
Und dies Sein ist gegenüber „Schein . . . Irrtum . . .
Vorstellung . . . Nachahmung . . . Dichtung" zugleich
das eigentlich Wirkliche. Aber während hier die Wirklichkeit
durch die Wahrheit verbürgt wird, scheint im
Hebräischen die umgekehrte Sachlage vorzuliegen. „Für
den Griechen ist der Begriff des Seins der Maßstab für |
den Gedanken Gottes, für den Hebräer das Sein die |
von Gott geschaffene Wirklichkeit". Die hebräische
Sprache ist hier von der Spannung der geschichtlichen
Zukunft, von der Sorge um das künftige Heil erfüllt,
die Wahrheit ist hier die Hilfe in der Not des geschichtlichen
Lebens, des zwischen den Menschen sich abspielenden
Geschehens. Dieser in der Geschichte stehende
Mensch, der von dem Mitmenschen sich in Anspruch
genommen findet, wird nicht dadurch frei, daß sein
Selbst Anteil an der ewigen Ideenwelt gewinnt, sondern
dadurch, daß er aus der Sünde erlöst wird und aus dem
Beisichselbstbleibenwollen herausfindet und der Autorität
einer wirklichen, nicht seienden, sondern helfenden
und erlösenden Wahrheit begegnet. Die Auseinanderhaltung
dieser beiden Wahrheitsbegriffe scheint insbeson- i

dere auch mit Rücksicht auf die immer noch besinnungslos
befolgte antike Tradition der Philosophie von Bedeutung
. Das Christentum hat seiner wirklichen Kraft
nach eine Krisis der antiken Philosophie im Gefolge,
die bis in die Elemente des Denkens hinabreicht.

v. Soden deutet im Schlußteil seiner Rede an,
wie sich die beiden Wahrheitsbegriffe im Christentum
verschmolzen haben, wie Bibel und Vernunft, Offenbarung
und Natur zusammengespannt bleiben müssen,
auch wenn sie sich nicht selten feindlich befehdet haben.
Wahrheit und Recht müssen beide Stützen des Dogmas
sein, in dem die Synthese von Vernunft und Offenbarung
ihren folgenreichsten Ausdruck gefunden hat. Es kann
hier nicht zur Diskussion stehen, wie weit dieser von
Harnack eingegebene Schluß das unabwendliche Ergebnis
der geschichtlichen Entwicklung sein mußte. Auch
v. Soden wird es nicht für ausgeschlossen halten, daß
entschiedene Trennung der Elemente in bestimmten Zeitläuften
dringend erwünscht sein kann. Einer solchen
Klarstellung dient ja schließlich der Mahnruf dieser
Rede, für den wir nicht dankbar genug sein können.
Bremen. H. Knittermeyer.

Fischer, Ludwig: Die natürliche Ordnung unseres Denkens
und der Zusammenhang der Weltanschauungen. Leipzig:
F. Meiner 1027. (XI, 359 S.) er. 8°. == Beihefte zu den Annalen
d. Philos., 7. RM 16 ; geb. 19-.

Der Verf. hat zunächst das Wort. Philosophie ist
das Streben, alles menschliche Denken, alle unsere
äußere und innere Erfahrung in die einfachste und beste
Ordnung zu bringen (S. 9). Es ist dies die natürliche
Ordnung unseres Denkens, die sich ergibt, wenn
das Grundgefüge der Allgemeinbegriffe und des Denkens
überhaupt aufgedeckt wird (S. 16). Der Verf.
führt es zurück auf eine Urform, die er induktiv aus der
Erfahrung gewinnt und aus der er dann deduktiv das
Ganze unserer Begriffe von den einfachsten bis zu den
kompliziertesten ableitet. Die Urform, in der wir das
Grundgefüge alles Denkens und Seins zu suchen haben,
ist die „Beziehungsform", die sich an der „Bestimmtheit
" in ihren Gegensatz spaltet und in der zugleich die
Gegensätze zusammenfließen (S. 39). Was das heißt,
wird deutlich gemacht an konkreten Beziehungsformen,
von denen ich die Wissens- oder Bewußtseinsform herausgreife
. Die Gegensätze sind hier das Denken (subjektiv
) und der Gegenstand (objektiv), die zwar als
Entgegengesetzte einander ausschließen, aber dennoch
identisch Eins sind. Dem Grün des Baumes als Gegenstand
meiner Vorstellung entspricht meine Empfindung
Grün, und diese beiden, das objektive und das subjektive
Grün sind tatsächlich dasselbe Eine (wie die beiden
Seiten der Fläche vollkommen in eins zusammenfallen
S. 27). Die einzige Bestimmtheit „Grün" spaltet sich
also auf in zwei Gegensätzliche, ein Subjekt und ein
Objekt (S. 31). Die Urform ist demnach ein kompliziertes
Gefüge. In jedem ihrer Elemente ist sie jedoch ganz.
Daher kann sie in jeden Punkt ihres Beziehungsnetzes
hineinprojiziert gedacht werden (S. 57). Dieses Gesetz
der Projektion ist der heuristische Grundsatz, mit Hilfe
dessen das ganze Gefüge der natürlichen Ordnung aufgedeckt
wird. Wird auf das Moment der Bestimmtheit
im Beziehungsnetz der Urform projiziert, dann entstehen
, da diese Bestimmtheit eine vielfache ist, eine
Vielheit von Projektionen. Es offenbaren sich uns darin
zwar alle Beziehungen des Weltganzen, aber gleichsam
verzerrt (S. 103). Die natürliche Ordnung wird „umgeformt
", unter einem bestimmten Gesichtswinkel gesehen
, von einem bestimmten „Standpunkt" aus (S.
137). So wird in allen philosophischen Systemen ein
und derselbe Zusammenhang der natürlichen Ordnung
dargestellt, nur von verschiedenem Standpunkt aus,
unter Voraussetzung verschiedener axiomatischer Systeme
(S. 139). Die wissenschaftlichen Weltanschauungen
sind im wesentlichen Sonderdarstellungen der
natürlichen Grundordnung, die bedingt sind durch die