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Ausgabe:

1928

Spalte:

13-15

Autor/Hrsg.:

Muller, James Arthur

Titel/Untertitel:

Stephen Gardiner and the Tudor Reaction 1928

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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derer Meinung als H. Er irrt sich, wenn er meint, die
Anerkennung der Notwendigkeit einer gr. act. sei etwas
spezifisch Thomistisches; sie wird von den älteren Fran-
ziskanern ,(vgl. z. B. Bonaventura Brevil. V2; in seilt.
II dist. 27 duh. 1) auch gefordert. Darum und weil sich
aus der übrigen Debatte in Tricnt ersehen labt, daß die
Thomisten eine geringe Minderheit darstellten, sehe ich
auch in den Verfechtern der gr. praev. zum größeren
Teil Anhänger der franziskanischen Theologie. (Für
Salmeron, den H. S. 15 ff. zum Thomisten stempelt,
läßt sich z. B. die franziskanische Herkunft seiner Theologie
mit aller Sicherheit nachweisen; vgl. meine unten
zitierte Arbeit S. 123 f. 134 ff.). Daß sie in diesem
Funkt den älteren Theologen ihres Ordens folgen und
nicht der späteren nominalistischen Entwicklung, geht
auf lutherischen Einfluß zurück: Eine verdienstliche
Disposition auf die Rechtfertigungsgnade ex puris uatu-
ralibus bzw. ein meritum de condigno der in der Kraft
der gr. inhaerens getanen Werke ließ sich nach der reformatorischen
Polemik gegen diese Sätze nicht mehr
vertreten. Auf die Position dieser Männer hat sich dann
von der anderen Seite her auch noch der linke Flügel der
Thomisten gestellt. Die strengen Schüler des Aqui- j
naten verstehen unter gr. praev. keine besondere Gnadenwirkung
Gottes, sondern die rechtfertigende Gnade
selbst, soweit sie den motus liberi arbitrii Vorangeht, und
leugnen dementsprechend überhaupt die Möglichkeit einer
aktuellen Disposition des Menschen auf die Rechtfertigung
. Das sind die ,,lutherisch beeinflußten Kom-
promißtheologen", van denen H. im 2. Teil seines l.Ab- j
Schnitts (S. 39 ff.) redet. Er verweilt vor allern bei den j
4 Theologen der Summa sententi trinn vom 28. VI. 1546
(C. T. V 280), bei Sanfeliee, Gontarini, Bandini von
Sienn, Pate mii Worcester und Seripando. Daß in dem
zur Rede stehenden Punkt noch eine ganze Reihe anderer
Väter derselben Meinung ist, ist ihm entgangen, wie 1
überhaupt die Beratungen nach dem 1. Dekretentwurf
(2. Abschnitt, S. 64—76) bei ihm nur sehr oberflächlich
behandelt werden. Für die Belege für meine eben skizzierte
Auffassung muß ich auf meine Arbeit über „Die ,
Rechtfertigimgslehre auf dem tridentinischen Konzil"
Bonn 1925 verweisen.

An Einzelheiten notiere ich: S. 3 Farnesc wurde nicht in
Trient, sondern in Rovcreto krank. S. 10 und S. 80 lies Badajoz
statt Bajadoz. — S. 11 Daß sich die Terminologie der tridentinischen [
ünadenlehre an Thomas anlehne, ist eine Behauptung, die durch 1
nichts bewiesen ist. Die a. a. O. hervorgehobene Eigentümlichkeit
findet sich genau so an den oben zitierten Bonaventura-Stellen. —
— S. 34 Z. 12 in Verbindung mit dem Nachtrag auf S. 87 ist durch
einen Irrtum und einen Druckfehler unverständlich geworden. S. 34
ist im Text mercari zu lesen und als Anmerkung hinzuzufügen: .,(.;.
117 mereri". — S. 37 Daß von katholischen Historikern die unglaublichsten
Mißverständnisse lutherischer Theologie den Vätern des
fridentinums kritiklos nachgesprochen und als Spuren „genauer Kenntnis
Oer refonnatorischen Lehre" hervorgehoben werden, ist man
nächstens schon gewohnt. Vgl. daz.u die Ausführungen auf S. t04
meines Buches, von deren Unrichtigkeit mich St. Ehses (Hist. Jahrb.
13, 1925, S. 5b9f.) nicht überzeugt hat.

Berlin. Hanns Rückert.

Muller, James Arthur: Stephen Oardinerand theTudor Reaction.

London: S. P. C. K. 1926. (XVI, 429 S.) gr. 8».

Der Verf. ist Professor der Kirchengeschichte an
der Episcopal Tbeological School in Cambridge Mass.,
den Stoff zu seinem' Buche hat er während zweier
Aufenthalte in England (1913 und 1923) gesammelt.
An gewissenhaftem Sammlerfleiß kommt er dem, was
wir von besseren Biographien zu erwarten gewohnt
sind, gleich: alle Schriften, Briefe und Akten Gardiner's,
auch sonst alle gedruckten und manche ungedruckte
Urkunden, sind verarbeitet, die englischen Forschungen
und Darstellungen zur Geschichte des Zeitalters sind
gründlich benutzt. Die Zielsetzung entspricht englischem
Geschmacke: Gardiner's Leben Taten und Meinungen
werden Jahr nach Jahr, Monat nach Monat, Tag nach
Tag aneinander gereiht; dabei wird auch das Kleinste

und Unbedeutendste nicht verschmäht. Schwächer als in
den wirklich großen Biographien dieses Stils ist Schilderung
der Umwelt und der großen Geschichte: hier bleibt
es meist bei Wiedergabe des von andern erarbeiteten
Wissens. So hat man es im allgemeinen nicht nötig, die
Biographie zu benutzen außer für Gardiner selbst und
seinen Anteil an den Ereignissen. Was dies beides betrifft
, so wird man allerdings bis ins einzelne genau
unterrichtet. Auch die Urteile, die die zahlreichen Menschen
, mit denen Gardiner während seines Lebens zu
tun gehabt hat, über ihn fällten, sind fast vollständig
wiedergegeben.

Bei der früheren genauen Durchforschung des Zeitalters
und bei der Art von Gardiner's Arbeit versteht
es sich von selbst, daß Überraschungen in wichtigen
Punkten kaum herausgekommen sind. Ich beziehe mich,
zur Bequemlichkeit deutscher Leser auf den Artikel von
Th. Kolde R'. E3 VI 365 ff. und gebe zunächst zu ihm
Korrekturen und Ergänzungen, da und dort aber auch
Bestätigungen unsicherer Aussagen.

Stephen Oarcliner ist etwa um 1497 geboren; sein Vater
war der Cloth - maker John ü. in Bury-S. Edmund.;. Seine Cambridger
Studienzeit beginnt 1511; bis 1 324 ist er als Fellow v.
Trinity dauernd in Cambridge gewesen. In seiner Cambridger Zeit ist
er mit allen bedeutenden Persönlichkeiten der Reformpartei (die
lutherische Bewegung in England ging bekanntlich von Cambridge
aus) bekannt geworden; Roberl Barnes, der am 30. 7. 1340 nicht
ohne seinen entscheidenden Eingriff verbrannte evangelische Märtyrer,
ist Studienfreund von ihm gewesen. Evangelische Oberzeugung bat
O. aber niemals geteilt. — Daß, obwohl er Woolscys Sturz, als
Sprungbrett zu benutzen Wußte und Aussicht auf die höchste Ehre
hatte, seine Laufbahn mit der Verleihung des Bistums von Winchester
(Sept. 1531) abbrach und er von 1533 ab durch Cranmer und
Cromwcll aus der königlichen Gunst für lange Jahre verdrängt wurde,
ist seinem scharfen Eintreten für die Rechte der Convocation wider
die Kirchenpolitik des Kölligs 1532 zuzuschreiben; damals zeigte sich
der konservative Mann, der wohl, um nicht Moores, Schicksal zu
teilen, schließlich nachgab, wo sein Gewissen es irgend erlaubte, aber
hemmte so sehr er konnte. ILc berühmte Rede de Vera ohoedientia
— die theoretische Grundlegung altanglikanischen Staatskirchentums
-- vom September 1535 hat er wahrscheinlich tatsächlich schreiben
müssen, um sich von allem Verdacht der Papisterei heim Könige zu
reinigen. Das Gesetz von 1536 ist nur möglich gewesen, weil er
als Gesandter in Frankreich kall gestellt war; das Bündnis mit den
Schmalkaldenern hat er durch briefliches Outachten (1530) dennoch
hintertreiben können. — Von 1539 an ist er die treibende Kraft
in Heinrichs katholischer Politik gewesen. Der entscheidende Schlag
fiel 1540, als er den König mit Katharina Howard kuppelte, ihn
von Anna von Cleve befreite und damit den Bruch mit Crom well's
fraiizösiseh-schmalkaldischer Politik und die Einleitung der kaiserlichen
(spanischen) Politik gewann, gleichzeitig mit dem politischen
Siege aber Cromwcll in die Sache der Ketzerei zu verwickeln und
mit Barnes zugleich zum Tode zu bringen verstand, in gewisser Hinsicht
hat er 1539/40 sein Meisterspiel gespielt. — Sein Ziel, auch
Cfatimer das Schicksal Cromwell's zu bereiten, in den nächsten
Jahren mit Zähigkeit verfolgt, scheiterte an des Königs persönlicher
Zuneigung für Cranmer. Seele der ganzen inneren und äußeren
Politik Heinrichs ist er aber bis an Heinrichs Tod geblieben. (Die
deutsche Mission, gelegentlich der er mit Bucer sprach, fällt
1540 41.) Sein Ausschluß au; der Vormundschaftsregieriing ist ein
plötzlicher und nicht mehr zu erklärender Entschluß des Unmittelbar
vor dem Tode stellenden Königs. — Die Reformei unter Edward VI.
bekamen seine juristische und diplomatische Meisterschaft so stark
zu spüren, daß sie ihn 1547/48 in das Fleet und seit 154S in den
Tower stecken mußten, um die Reform durchführen zu können.
Wahrscheinlich in diesen Jahren ist er von einem Anhänger einer
katholischen Nationalkirche zum Anhänger der Einheitskirche geworden
. Im Tower hat er die meisten seiner theologischen Streitschriften
, darunter auch das große, 800 S. füllende Werk für die
Traussuhstantiation Conjututio CavitlaUongm, gulbus S. Eucharltilae
Saeramtntum ab iiripiis Caperaaltis liripell sola i'i'i'> geschrieben.
— Unter Maria mußte er der verständige Kanzler einer unverständigen
Frau sein. Die spanische Heirat hat er im Interesse gerade seiner
Rcligionspnlitik wie seiner spanischen auswärtigen Politik für falsch
gehalten, schließlich aber nicht hindern können. Seine Religionspolitik
ging auf unauffällige, unblutige Rückführung zur katholischen
Kirche. Durch Drohen zur Flucht reizen und die Flucht befördern,
das war sein Ziel gegenüber dem einzigen Hemmnis, das er hier
fürchtete: den evangelischen Predigern. Ein paar charaktervolle
Männer, die das Martyrium erzwangen, haben ihm einen Strich durch
die Rechnung gemacht. Er selbst ist aber nur noch für die ersten
fünf Martyrien verantwortlich. Die Massenmartyrien geschahen nach