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Ausgabe:

1928 Nr. 12

Spalte:

275-277

Autor/Hrsg.:

Krüger, Gustav

Titel/Untertitel:

Bemerkungen zum zweiten Clemensbrief 1928

Rezensent:

Harnack, Adolf

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275

Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 12.

27G

Aber in einer bereits abgeschlossenen Abhandlung, deren
Drucklegung uns jedoch bisher erspart ist, will R.
zeigen, daß Tertullians Referat über Markions Römerbrief
„eigenes Fabrikat frei nach dem kanonischen Text
ist, ähnlich wie er sich selbst eine Gestalt des Markionevangeliums
frei nach Lukas schuf, ohne einen echten
Markiontext zuhänden zu haben oder gar den Markus
als solchen zu erkennen. Tertullian ist das Irrlicht der
ganzen neueren Markionkritik geworden" (S. 128 f.).
Also ist Epiphanius völlig schwachsinnig und Tertullian
schwindelt, offenbar ohne zu bedenken, wie leicht er von
jedem Markioniten zu überführen war. Indessen
Schwachsinn oder Schwindel sind dies Mal nicht bei den
Kirchenvätern. Es wird auf R. kaum Eindruck machen,
wenn ich ihn darauf verweise, daß sich sogar die eigentümliche
Textform der lateinischen Paulusübersetzung
der Markioniten von der dem Tertullian als katholisch
geläufigen präzis scheiden läßt (vgl. H. v. Soden,
Der lateinische Paulustext bei Markion und Tertullian,
Festgabe für Adolf Jülicher 1927 S. 229—281). Wer
bei Epiphanius Kamele verschluckt, wird bei Tertullian
nicht Mücken seien. Die Rekapitulation der wesentlichen
Thesen seines Buches über das Markion-Evangelium
(das R. im kanonischen Markus sieht), die er u. a. auf
ähnliche Umdeutungen der Epiphaniusscholien stützt
(vgl. die Anzeige von Martin Dibelius, ThLZ.
1924, 379 f.), zeigt, daß er für alle Kritik an seinen
Konstruktionen taub ist. Somit sind nur diejenigen nachdrücklich
zu warnen, die von R.s Abhandlung für die
Markionittsche Textform des Römerbriefes oder für
dessen Kritik überhaupt irgend etwas zu gewinnen meinen
könnten. Es handelt sich um Vergeudung unverächt-
lichen Fleißes und eines gewissen Scharfsinns an einen
willkürlichen Einfall, dessen Veröffentlichung ein Quänt-
chen methodischer Zucht und Selbstkritik hätte verhindern
müssen.

Marburg. _ von Soden.

Krüger, Gustav: Bemerkungen zum zweiten Clemensbrief.

Reprint from Studie? i" early Cliristianity. ed. by Shirley Jackson
Case, presented to Frank Chamberlin Porter and Benjamin Wisner
Bacon bv friends and fellow-teachers in America and Europe.
New York:' Century Co. [1928]. (S. 419 -439.)

Als getreuer Ekkard mahnt der Verfasser die Fachgenossen
, die viel sündigen, zu einer gesunden, vorurteilslosen
Methode. Solche Mahnung darf nicht überhört
werden; aber ich kann nicht finden, daß die bisherige
kritische Behandlung des 2. Clemensbriefs ihre Einschärfung
besonders nahe legt. Auch die Hypothese,
die ich für den Brief als die gebotene verteidigt habe,
soll nach Krüger durch die gesunde Methode ausgeschlossen
sein. Wie steht es hier? 1. Die Überlieferung
kennt den Brief ohne Schwanken und einstimmig als ein
römisches, nach Korinth gerichtetes Schreiben, 2. sie
kennt ihn als ein Schreiben des römischen Bischofs
Clemens, ordnet ihn daher dem berühmten Clemensbrief
zu, bringt ihn dadurch auf die Höhenlage einer semika-
nonischen Schrift [um mich kurz so auszudrücken] und
realisiert in einem der drei Zeugen, dem syrischen, diese
Position auch, indem sie den Brief in die Lektionsordnung
der Kirche einordnet. 3. Die Zuordnung ist ausdrücklich
zuerst von Eusebius bezeugt, aber sie darf
(mit Lightfoot) um ein Jahrhundert hinaufgesetzt
werden, da der Archetypus der uns erhaltenen Handschriften
bis auf diese Zeit hinaufgeführt werden darf;
um das J. 200 also schon stand das Schreiben in enger
Verbindung mit dem römischen 1. Clemensbrief (mit
der vornehmsten Urkunde, die wir nach dem N. T. besitzen
), und zwar als Schreiben nach Korinth. 4. Der
korinthische Bischof Dionysius um das J. 170 berichtet
(bei Eusebius), daß der alte Clemensbrief regelmäßig in
seiner Gemeinde am Sonntag verlesen werde und fügt
hinzu, daß sie es mit einem zweiten Schreiben
, das sie jüngst von Rom (unter Bischof
Soter) erhalten haben, ebenso halten würden
und zwar für immer. Wer muß bei dieser Zuordnung
zum 1. Clemensbrief nicht an das Schreiben denken,
das in den Handschriften nachweisbar wenig später neben
diesem Brief in gleicher Würde steht und verlesen
wurde? Soll man an einen Doppelgänger
glauben? Und wer kann sich wundern, daß der Name
„Clemens" nunmehr auch auf das zweite römische
Schreiben übertragen worden ist, zumal wenn dieses
nicht den Namen des Schreibers, sondern nur den der
j römischen Gemeinde enthielt? 5. Dionysius sagt von
diesem zweiten römischen Brief: r;v eSo/.iev aei icove
i avayivway.ovTeg vovd-ertlcsltai und nennt ihn toaavTi]
voviteaia, der 2. Clemensbrief ist eine einzige große
vov&eola und braucht selbst dieses Wort (c. 17,3) an
j wichtiger Stelle. 6. Wenn der 2. Clemensbrief ein rö-
l misches Schreiben ist, so liegt die Frage nahe, ob nicht
[ das große Aufsehen in ihm nachwirkt, das das römische
I Offenbarungsbuch des Hermas hervorgerufen hat. Zitiert
ist es nicht; aber es gibt kein Schriftstück aus der
i ältesten Kirche, welches dem „Hirten" näher steht als
j der 2. Clemensbrief. 7. In dem 1. Clemensbrief wird
aus einer sonst ganz unbekannten Apokalypse ein längeres
Zitat angeführt (c. 23); eben dieses" Zitat findet
sich auch im 2. Clemensbrief (c. 11); aber es ist nicht
dem 1. Brief entnommen, denn es enthält einen Satz
I mehr als dieser. Die nur für Rom nachgewiesene Apokalypse
war also auch dem Verfasser des 2. Clemens-
1 briefs bekannt.

Wie darf man daher die Methode schelten, nach der
man — m. E. zwangsweise — urteilen muß, der sog.
| 2. Clemensbrief sei jenes zweite römische Schreiben,
| von welchem Dionysius um d. J. 170 berichtet? Es
I stimmt ja alles außer dem Namen „Clemens", den jede
i über den Brief aufzustellende Hypothese als unrichtig
preisgeben muß, dessen Eindringen sich aber bei keiner
j anderen auch nur annähernd so leicht erklärt als bei die-
! ser, da sie beide Briefe als römische Schreiben nach
Korinth anerkennt. Wirklich kann auch nur e i n Argu-
| ment gegen die Identifizierung geltend gemacht werden
— denn daß eine Predigt als „Brief" bezeichnet ist, ist
keine Schwierigkeit, sondern eine question du fait —:
Aus c. 7 folge mit Evidenz, das Schriftstück sei in Ko-
i rinth geschrieben. Die Worte lauten: „Meine Brüder,
I laßt uns kämpfen in der Erkenntnis, daß wir im Kampf
j stehen und daß zu den vergänglichen Wettkämpfen
Viele gesegelt kommen, aber nicht alle gekrönt werden,
sondern nur die, die es sich große Mühe haben kosten
! lassen und rühmlich gekämpft haben. Wir aber wollen
mit dem Ziel, daß Alle gekrönt werden, kämpfen. Laufen
wir also die rechte Bahn — den unvergänglichen
| Wettkampf! — und alle wollen wir zu ihm gesegelt
kommen und wettkämpfen, auf daß wir auch gekrönt
I werden, und wenn wir auch nicht alle gekrönt werden
können, doch wenigstens nahe an den Kranz heran-
I kommen. Wir müssen aber wissen, daß, wer sich am
vergänglichen Kampf beteiligt und dabei Unehrliches
sich zu Schulden kommen läßt, durchgepeitscht, gestrichen
und aus dem Stadion ausgestoßen wird. Was
meint ihr nun? Was wird der erleiden müssen, der
! den unvergänglichen Kampf unehrlich kämpft?"

Diese Worte sollen es gewiß machen, daß das
Schriftstück in Korinth abgefaßt ist. Aber hat nicht
| auch Paulus seine parallele, unserem Verfasser gewiß
j bekannte Ausführung nach Korinth und nicht von Ko-
j rinth geschrieben? Daß hier aber Spezialitäten sich fin-
I den, die, wie Krüger und sein Kollege Herzog be-
' haupten, nur einem Korinther geläufig sein konnten, da-
| von sehe ich schlechterdings nichts. Es handelt sich um
eine Ausführung, die jeder Rhetor im Reich schreiben
konnte. Auch ist die 1. Person in dem Satze: „Alle
wollen wir zum Kampf gesegelt kommen", für einen i n
; Korinth schreibenden Verfasser nicht die nächstliegende.
I Das Argument für die Abfassung i n Korinth ist also un-
| brauchbar und deshalb bleiben die oben gegebenen Beweise
in Kraft. Ich gestehe dabei, daß mir die Notwen-
| digkeit, das Schreiben, bez. die Homilie, als ein römi-