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Ausgabe:

1928

Spalte:

273-274

Autor/Hrsg.:

Loewe, Hugo

Titel/Untertitel:

Der Römerbrief des Apostels Paulus 1928

Rezensent:

Windisch, Hans

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273

274

Praedestinatie en Inconsekwentie, d. i. die Anerkennung
eines freien Willens; Historisch Oodsbesef gegenüber
philosophischem Oottesbegriff; Paulus' Personalisme.
(lerne hätte man hier auch eine Auseinandersetzung mit
Karl Barth eingeflochten gesehen, bei dem Paulus doch
wohl stark kalvinisiert erscheint (um von Kierkegaard
zu schweigen).

[>n Übergang von ,Paulus' zu ,Rome' macht die feinsinnige
Studie über Qallio, Paulus' rechter, ergänzt durch: Seneca's Romein-
sche regentenwisheid (beide aus Stemmen des Tijd's VIII übernommen
). Nach den wenigen direkten Überlieferungen über üallio
und seine Person und nach den ihm gewidmeten Schriften seines
Bruders Seneca gibt de Zw. hier eine fesselnde Schilderung des
Milieus, in dem Oallio lebte, und eine im ganzen wohl zutreffende
Üharaktcrskizze; vgl. Statins Silv. 11 7, 24 ff. dulceni . . Oallionem;
Seneca Consol. ad Helviam 18, Tac. Ann. 15, 73 morte pavidus;
Cassius Dio 60, 35 unco in caelum raptus (Witz über Claudius).
Darnach war üallio ein gewöhnlicher Mensch, ziemlich egoistisch und
bequem, liebenswürdig im Umgang; ob er auch wie sein Bruder ein
Mann von strengen philosophischen Grundsätzen gewesen, ist m.E. nicht
beweisbar. Das Amtsjahr in Korinth stellt de Zw. auf 52/53 (nicht
51/52 wie Deißmann und Plooij.) In De vita beata hat Seneca seinem
Bruder für seine Reise nach Achaja eine Art praktischen Hedonismus
mitgegeben.

Drei kleinere Aufsätze über Seneca's Verhältnis zum Christentum
schließen sich an. Der erste handelt über Romcinsche humaniteit
en Christendom, d. i. über die Verschiedenheit der von Seneca übernommenen
stoischen und der synoptischen Eschatologie (vgl. die
TtaXiyytveomu Mt. 19, 28). Der zweite, Seneca een evangelist?,
sammelt einige Anklänge an das Evangelium, die sich bei Seneca finden
, zeigt aber, daß der Oottesglaube hier durch den stoischen Kausalitätsbegriff
zu sehr gebunden war, um zu wirklicher Religiosität zu
führen. Endlich weist er die tiefen Unterschiede in der Lehre von
der Verlossing by Paulus en bv Seneca auf.

Der dritte römische Charakterkopf ist Hermas, de romeinsche
Christen (aus Stemmen des Tijds XV). de Zw. gibt von ihm ein
fesselndes Porträt, das zugleich für den römischen Durchschnittschristen
typisch sein soll. Im Vorbeigehen wird Dibelius' Hypothese, daß die
geschichtliche Einleitung (Vis. I) eine romanhafte Einkleidung sei,
sehr schroff als Produkt von Stubengclehrsamkcit abgewiesen, ohne
tlaß die Gründe von Dibelius recht gewürdigt werden (ich halte übrigens
diese Hypothese auch nicht für sehr wahrscheinlich).

Den Schluß macht ein Aufsatz über Rijksreligie en Christendom
, d. i. über den Kaiserkult, seine Ursachen und seine verhängnisvolle
Bedeutung für die Kirche. Indem der Staat seine Organisation
in einer Art Staatskirche vollendete, war die Kirche gezwungen,
die Formen eines Staates im Staate anzunehmen. Damit ist viel
unterchristlicher Orientalismus in die Kirche eingedrungen, wogegen
vor allem die Reaktion der Reformation sich wendet. Richtig wertet
de Zw. hierbei Kyrios als religiösen Titel.

So lose die Skizzenreihen auch aneinander hängen
und so wenig der Vf. irgendwie etwas Ganzes
gibt, einige leitende Gedanken geben ihnen doch einen
gewissen Zusammenhalt: so die Abwehr jeder philosophierenden
Erklärung des Evangeliums und die Herausarbeitung
des Gegensatzes des Evangeliums gegenüber
Orientalismus und Levantinentum.

Leiden. H. W indisch.

Loewe, Dr. Hugo: Der Römerbrief des Apostels Paulus.

Köln: Roemkc ft Cie. 1927. (XII, 119 S.) gr. 8". RM 5—.

Der Verfasser dieser Schrift ist einer großartigen
planmäßigen Verfälschung der Texte des N.T.s auf die
Spur gekommen, die er zunächst am Römerbrief nachweist
, in der Hoffnung auch für die weiteren Untersuchungen
einen Verleger zu finden, „so daß die Christenheit
sich alsdann durch Gottes Gnade wieder des
Besitzes der ursprünglichen unverfälschten Fassung
ihrer heiligen Schriften erfreuen kann". Es muß trotz
allen Scharfsinns, den der Verfasser aufbringt, unser
Wunsch sein, daß dieser Verleger sich nicht findet.

Ich muß mich in dieser Anzeige damit begnügen, ganz kurz die
Prinzipien der von Dr. L. entdeckten „unheimlichen" Fälschungsarbeit
ZU kennzeichnen. Der Fälscher — nebenbei: es ist Aristion! — wollte
verhüten, daß neben dem A.T. ein N.T. entstände, daher hat er den
Text des N.T.s, speziell des Röm. vollkommen verdreht und verwirrt.
Er hat allerdings nichts gestrichen und nichts hinzugefügt, aber die
Bestandteile des Röm. willkürlich zerfetzt und durcheinander gewürfelt,
'm Einzelnen Partikeln, Tempora, Kasus vertauscht, auch negative
Sätze in positive verwandelt und umgekehrt. Das Schlimmste, sogleich

Beweis für sein Raffinement und für den Scharfsinn des Entdeckers,
ist, daß er Reste und Fragmente von Satzteilen, die er nicht brauchen
konnte, zu neuen Sätzen „zusammengekleistert" hat. Der Verf. untersucht
nach diesen Grundsätzen Abschnitt für Abschnitt und endet
mit der Rekonstruktion eines neuen Römerhriefs und eines daraus ausgeschiedenen
Epheserbrief s, deren Texte er in neuer Kapitel- und Verseinteilung
abdruckt. Zu Röm. I gehören z.B. Verse aus Röm. 1 und
dazwischen: Röm. 2,16. 6—8. 10. 9, zu Rnm.VIBruchstückeausRöm.ll,
10, 9,15 (er beginnt mit 11, Ha. 12.15. 23, IIb. 10, 19b. 15,10 b. a. 10,
19c. 9,25f. 10,20 a. c. b. 21 u.s.w.). Der „Epheserbrief" setzt sich
i aus Trümmern der Kap. 1, 3, 16, 6, 12, 13, 14, 16 zusammen. Die
Gesetze, nach denen der Verfasser sein Zerstörungswerk vornimmt, sind
natürlich vor allem die der „logischen Gedankenführung". Für die
Zuweisung größerer Bestandteile der Kap. 12—15 an den Epheserbrief
führt er an, daß Paulus unmöglich sich so selbstherrlich in die Angelegenheiten
der ihm fremden römischen Gemeinde eingemischt haben
könnte, eines der wenigen Argumente, über die sich nach/udenken
verlohnt.

Leiden. H. w indisch.

' Raschke, Hermann: Der Römerbrief des Markion nach
Epiphanias. Bremen: C. Schünemann 1926. (S. 128-201.)
gr. 8°. — Abhandlungen u. Vorträge, hrsg. v. d. Bremer Wissen-
schaftl. Gesellsch., Jg. 1, H. 2/3. RM 4-.

Das vorbezeichnetc Heft der Schriften der Bremer
Wissenschaftlichen Gesellschaft enthält neben drei Vor-
| trägen — Richard Wilhelm, Vom Erleben und
j Gestalten des Schicksals; Gustav Krüger, Die
i Theologie der Krisis; Erich Pfalzgraf, Das Gegenwartsproblem
von Theologie und Kirche — eine
| längere Abhandlung von Pastor Hermann Raschke
J in Bremerhaven über den Römerbrief des Markion nach
Epiphanius. Nur diese steht hier zur Besprechung. Sie
ist ein Teil einer größeren Arbeit, die den Römerbrief
I des Markion als die ältere Form des Briefes, der durch
eine katholische Überarbeitung unsere kanonische Gestalt
gewann, erweisen will. Dieser ältere Römerbrief
; ist (ebenso wie die anderen Paulusbriefe) ein gnosti-
sches Produkt aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts,
i R. will mit seiner Abhandlung die Überarbeitungsbvpo-
. thesen aus dem Gebiet des bloßen Stil- und Formge-
fühls in die Welt des Faßbaren zurückführen. Faßbar
erscheint ihm der ursprüngliche Römerbrief eben bei
Epiphanius, wenn man sich nämlich von dessen Notizen
über das, was in Markions Römerbrief gefehlt habe,
leiten läßt. Epiphanius habe von seinem katholischen
Römerbrieftext aus eine Auswahl von Stellen in charakteristischen
Beispielen bezeichnet, die bei Markion fehlten
. Aus ihnen als Mustern und Typen sei ein Gesetz
der Textscheidung abzuleiten und eine verhältnismäßig
feste Anschauung zu gewinnen von dem Charakter
dessen, was bei Markion möglieh sei und was nicht.
Diesen Gedanken führt R. durch und versucht zu zeigen,
daß die Kompositionsanalyse des Römerbriefes auf dieselben
Scheidungen führe, wie sie durch die Scholien
des Epiphanius in der Überlieferung selbst faßbar seien.
Das ist im wörtlichen Anschluß an die eigenen Formulierungen
des Verfassers der Inhalt seiner Abhandlung.

Grundlage der ganzen Hypothese des Verfassers,
die ja ähnlich auch sonst vorgetragen worden ist, ist die
Annahme, Epiphanius verzeichne in seinen Scholien zum
Markionitischen Paulus Stellen, die in diesem gefehlt
haben. Nun sagt freilich Epiphanius ^genau das Gegenteil
, daß nämlich die lelxpava rfjg o/LrK>e/ag bei Markion
selbst die Fälschungen seiner Willkür verrieten;
der skeyog, den Epiphanius zu jedem aöhov gibt,
geht stets davon aus, daß die betreffende Textstelle bei
Markion nicht fehlt, sondern geboten wird. Irgend einen
Beweis dafür, daß sich nichtsdestoweniger die Sache
umgekehrt verhält und daß Epiphanius selbst nicht mehr
weiß, daß er fehlende Stellen notiert hat, gibt R. nicht.
Er weiß eben einfach besser, was bei Markion möglich
ist und was nicht, als die Überlieferung. Bekanntlich
hat nun auch schon TeTtullian Markion genau nach derselben
Methode wie später Epiphanius widerlegt, nämlich
aus seinem (Markions) eigenem Text, und weithin
führt er dabei die gleichen Stellen an wie Epiphanius.