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Ausgabe:

1928 Nr. 11

Spalte:

262-264

Autor/Hrsg.:

Bludau, Aug.

Titel/Untertitel:

Die Pilgerreise der Aetheria 1928

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 11.

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tend. empfunden habe. Aber diese Verbindungslinie zum geschichtlichen
Jesus kann doch nur sehr hypothetisch-konstruktiv gezogen
werden, vgl. S. 407ff., 571 ff., 587ff. Die Imitatio Christi als treibendes
Motiv paulinischer Ethik zu erweisen, gelingt F. nicht, vollends
nicht durch so gezwungene Exegese wie S. 328 f. oder S. 582. Daß
das Vorbild der Liebe, der der Hymnus 1. Kor. 13 gilt, für das Bewußtsein
des Paulus die geschichtliche Person Jesu gewesen sei (S.
303. 400), ist mir selbst bei isolierter Betrachtung des Kap.s zweifelhaft
. Die Betonung des historischen Jesusbildes als ethischer Norm
des Paulus hängt bei F. zusammen mit seiner Überzeugung, daß Paulus
in Jerusalem in ausgiebigem Malle persönliche Eindrücke von
Jesus empfangen habe. Aber der Beweis hierfür aus A. G. 22, 1 ff.;
26, 2ff.; Gal. 2,13ff.; 3,1 u. 1. Kor. 2, 2 (von dem „Jüngling"
A. G. 7, 58 lieber zu schweigen) und aus dem umstrittenen frühen
Datum der Bekehrung des Paulus steht auf so schwachen Füßen, daß
er das Gewicht der Schlüsse des Verfassers nicht zu tragen vermag.
— Schließlich ein Wort zu dem theologiegeschichtlichen Anfangskapitel
. So lehrreich und dankenswert dieser Überblick über die
Paulusforschung ist, so wenig befriedigt er in der gebotenen Gestalt.
Anstelle der Kette von Namen und Eiiizelcharakteristiken, Büchertiteln
und -inhaltsangaben, die weder vollständig noch gleichmäßig
gearbeitet ist — es fehlen Namen wie Heinrich Ewald, der leidenschaftliche
Bekämpfer der Tübinger Kritik, Hofmahn, Gräfe, A. Seeberg
und Werke wie O. Moe, Apostelen Paulus (1923), überhaupt allerlei
bemerkenswerte Arbeiten des Auslandes [Gh. A. Anderson Scott,
Ghristianitv aecording to St. Paul (1927) ist inzwischen hinzugekommen
!, während andere rein bibliographisch vermerkt sind —, die
auch in der Gruppierung und Kritik Anfechtbares enthält, wünschte
man eine wirkliche Einführung in „das Ringen um das geschichtliche
Verständnis des Paulus", eine Entwicklung der Probleme der Paulusforschung
seit dem Aufkommen der historischen Betrachtungsweise,
einen an dem wissenschaftlichen Objekt, nicht an den Forschersubjekten
orientierten Aufriß der Fragestellung, die F. vorfand, aufnahm
oder anders wandte. Dies Verfahren hätte neben dem Reiz des
genetischen Nachweises wichtigster biblisch-theologischer Problematik
der Gegenwart vielleicht auch den Vorzug gehabt, daß die wirklich
neuen Gesichtspunkte in F.s eigener Betrachtung der Dinge noch
heller ans Licht getreten wären.

Außer stände, den Stoffreichtum des großen Buches und die
daran gewandte Mühe hier in vollem Maße zu würdigen, verzichte ich
auf Hervorhebung von Zügen, an denen ich mich mit F. in Übereinstimmung
befinde (etwa S. 594 ff. oder S. 336ff. 621 ff.), und vermerke
nur noch einige in meinen Augen verbesserungsbedürftige oder
fragwürdige Einzelheiten. S. 67 A. 1 1.: Sinyly in den Cunningham
Memoirs 1921, n. XII. S. 75 A. 1 ist in dem Trostspruch des Attis-
priesters „Mystcn des geretteten Oottes" schwerlich richtige Wiedergabe
des Textes. S. 86 ist der Hinweis zu 1. Kor. 15,29 auf außerhalb
der christlichen Gemeinde in Korinth vorhandene Strömungen
unverständlich. S. 105 Z. 19ff., S. 147 Z. 14 ff., S. 162 Z. 13ff. sind
die Sätze nicht in Ordnung. S. 129 Z. 26 durfte nur „Totenbuch" gesagt
werden. Die Ginzä-Zitate S. 132 sind fehlerhaft. S. 175 falsche
Anführung eines eigenen Aufsatzes von F. Der Schlußsatz S. 203
wäre umgekehrt richtiger, da die 2. Auflage von Seebergs Dogmengeschichte
, die schon alle wesentlichen Gedanken der 3. Auflage
enthält, die Priorität vor F. hat. Was soll wohl die auch inhaltlich
recht fragwürdige Besprechung von K. Barth S. 204 ff. in der Übersicht
über die Bemühungen um ein geschichtliches Paulusverständnis?
S. 214 letzter Absatz steht im Widerspruch mit Gal. 3, 28; Rom.
10,12; 1. Kor. 12,13; Kol. 3, 11. Eigentümlich berührt, wenn F.
Holl's Verständnis der Gottesverkündigung Jesu S. 236 als „dogmatisches
" brandmarkt — sein eigenes S. 236 f. verdient diese Bezeichnung
mit größerem Recht; und seine Korrektur an Holl S. 234 f.
trifft einen Mißverstandenen. In dem Abschnitt „Der Christusglaube"
S. 240 ff. geht die Mannigfaltigkeit der Ausdrucksformen in der
Einheit des urchristlichen Glaubens stark verloren; es ist bei dem reli-
gionsgeschichtlichen Weitblick F.s überraschend, wenn der johanneische
Logosbegriff kurzweg unter den Satz gestellt wird: „Das Wort Gottes
ist für die biblische Betrachtung etwas durchaus Einheitliches" (S.
247). Für den kühnen Satz, daß Gal. 2, 16 eine Paulus und der
judenchristlichen Gemeinde gemeinsame Glaubensüberzcugung ausspreche
(S. 257), fehlt der exegetische Beweis. Die Verwendung von
Aussagen des Johev. und der Didache S. 270. 279 u. ö. als Quellen
der gemeinchristlichen Qcistidee ist ebenso bedenklich wie die schiefe
Erklärung von 1. Kor. 12 ff. S. 280 f. 300 f. 315 ff. wird nicht
deutlich, inwiefern das Material aus der jüdischen Eschatologie konstitutiv
gewesen sein soll für die paulinische Pncuma-Lehre, auch S. 516
nicht. Die Darlegungen über die Ethik des Jak. S. 322 ff. gehen an
der Frage ethischer Tradition vorbei. Die Ausführungen über den
neuerdings so viel erörterten urchristlichen Kirchenbegriff S. 332 ff.
552ff. 586 sind der Ergänzung fähig; die kraftvolle paulinische Idee
vom oälu« Xqwzov wird kaum berührt. Die Erklärung der Formel
„taufen auf den Namen Christi" S. 324 f. 376 f. ist recht prekär.
Ob der Satz S. 378: „Die Verleihung des Heiligen Geistes . . ist
nach einlvelliger neutestamentlicher Lehre das spezifische äußerlich erkennbare
Merkmal der christlichen Taufe" nach den Arbeiten von A.
Seeberg, Baron Stromberg und anderen noch aufrecht erhalten wer-
J den kann, wage ich zu bezweifeln. Daß der Schriftbeweis 1. Kor.
15, 44 f. die Rabbinenschulbildung des Paulus verrate (S. 396), hat
an dem uns bekannten rabbinischen Material kaum einen Anhalt, vgl.
| Strack-Billerbeck z. St. Der Kampf gegen die Differenzierung zwischen
I Jesus und Paulus und gegen das „doppelte Evangelium" in der
I S. 401 ff. angewandten Form ist eine geschichtswissenschaftliche Un-
1 möglichkeit. Dagegen, daß Gal. 1,12 eine Offenbarung Jesu Christi
. an die älteren Apostel andeute (S. 404), vgl. Zahn z. St. Die Anschauung
, daß Paulus zur Zeit seiner Bekehrung eine volle geschichtliche
Kenntnis der Grundlage des Evangeliums besessen habe (S. 406),
läßt sich aus dem Gal. nicht begründen. Was F. nach 1. Kor. 2,16
j unter „Sinn Christi" versteht (S. 413 vgl. 571), beruht auf offenbarer
I Verkennung der Gleichung vi>7$ - nvev/xn in dem Zusammenhang.
| Der zusammenfassende Satz zu Anfang des 1. Absatzes S. 431 enthält
doch wohl eine starke Übertreibung. Bei einem Gelehrten, der wie
! F. mit Recht die Gotteslehre in den Mittelpunkt der paulinischen Theo-
J logie rückt, berührt die Auffassung der Rechtfertigungslehre als erst
später ausgebildeter Kampfeslehre S. 517 f. 540 ff. wie ein Überbleibsel
einer vergangenen Forschungsepoche; ich kenne keinen ge-
! nuineren Ausdruck des paulinischen Gottesglaubens, der der Glaube
eines in seinem Pharisäismus Zerbrochenen ist, als die Rechtfertigungslehre
. Daß das Wort Anathema aramäisch sei (S. 525), ist wohl nur
ein lapsus calami. Berechtigt A. G. 19, 9 dazu, von dem heidnischen
Redner Tyrannos zu sprechen (S. 527) ? Die Betonung „heilsgeschicht-
I lieber und damit objektiv göttlicher Veranstaltungen" (S. 575) soll
I mystische Vorstellungen bei Paulus abwehren helfen — mit welcher
Logik, ist nicht ersichtlich. Die Aufgaben, die F. der Dogmen-
: i schichte der Zukunft S. 610f. stellt, sind nicht neu und z. B.
| von R. Seeberg längst erfüllt. Der Satz: „Nur in der Sakramentsichre
hat Paulus stärker eingewirkt" (S. 616), sc. auf die altkirchliche
Dogmenbildung, erscheint bei F. inkonsequent, nachdem er so
viel Mühe darauf verwandt hat zu zeigen, daß Paulus keine eigene
Sakramentslehre gehabt hat.

Wie viel auch immer an dem besprochenen Werk
zur Kritik Anlaß geben mag — der Aufruf zur Besin-
: nung auf vernachlässigte Aufgaben der Paulusforschung
und die scharfe Herausstellung der Hauptfragen, um die
j es bei dem Suchen nach geschichtlicher Klarheit über
I Glauben und Theologie des Paulus geht, gereichen dem
Verfasser zum Ruhm.

Göttingen. J. Behm.

Bludau, Bischof Dr. Aug.: Die Pilgerreise der Aetheria.

Paderborn: F. Schöningh 1927. (VII, 294 S.) gr. S°. = Studien
zur Gesch. u. Kultur d. Altertums, Bd. 15, H. 1 u. 2. RM 20 — .
Bischof Augustin Bludau von Ermland, der gelehrteste
unter den gegenwärtigen deutschen Bischöfen,

| der neben seinem oberhirtlichen Amte auch wissenschaftlich
unermüdlich tätig ist, vereinigt im 1. Teil des
vorliegenden Buches Aufsätze, die er teils schon 1904,
teils seit 1921 in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht
hatte. Sie behandeln nach einem einleitenden Ka-

I pitel über die Ausgaben der so berühmt gewordenen

I Pilgerreise den Inhalt der Schrift: die Beschreibung der
von Jerusalem aus unternommenen Reisen — der Anfang
des Reiseberichts, der offenbar die Reise über
Konstantinopel nach Jerusalem, die heiligen Orte Palästinas
, die Reise nach Ägypten und der Thebais schilderte
, ist bekanntlich verloren —, sodann die Schilderung
des Gottesdienstes in Jerusalem. Was B. hierzu
bietet, ist geradezu eine aus voller Beherrschung von

i Quellen und Literatur geflossene fest- und liturgiegeschichtliche
Erklärung der capp. 24—49 — ein Gegenstück
zum philologischen Kommentar Löfstedts —, zu
der jeder, der sich künftig mit dieser Peregrinatio beschäftigt
, dankbar greifen wird. Ich möchte nur auf

; die eingehenden Ausführungen über Epiphanie und Weih-

i nachten (S. 68 ff.), die Fastenzeit (S. 94 ff.), Karwoche
(S. 119 ff.), Osterwoche (S. 150 ff.), Himmelfahrt (S.

i 154 ff.), Pfingsten (S. 162 ff.) besonders hinweisen. Da
es sich hierbei vielfach um strittige und noch nicht geklärte
Punkte handelt, wird man natürlich da und dort
anderer Auffassung sein, diese und jene Quellenstelle
anders verstehen können.

Daß die Kirche während der ersten drei Jahrhunderte „ihr ver-

j seheuchtes, verborgenes Dasein in unterirdischen Räumen führen
mußte" (S. 41), bedarf doch sehr der Einschränkung. S. 50 ist der