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Ausgabe:

1928

Spalte:

7-9

Autor/Hrsg.:

Spikowski, Ladislas

Titel/Untertitel:

La doctrine de l‘Église dans Saint Irénée 1928

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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In der Darstellung lies Evangeliums Jesu geht K. vom tnessia-
nischen Selbstbewußtsein aus, da nur so die Einheit heraustrete. Hier
finden sich naturgemäß viel problematische Gedankengänge, vor
allem hätte ich gegen den Schlußsat/, starke Bedenken: das Evangeliuni
Jesu habe keinen anderen Inhalt als ihn selbst (S. 30). Auch
wenn man mit einem iiberprofetischen Selbstbewußtsein Jesu rechnet,
darf man seine Verkündigung unter keinen Umständen so charakterisieren
; das ist unerlaubte Johanneisierung der synoptischen Überlieferung
. Im Evangelium vom Reich ist das Gegen« artsnioment sicher
viel zu stark betont. Im synoptischen Evangelium wird ja überhaupt
die Heilsgegenwart viel weniger stark empfunden als etwa bei Paulus.
Daß das Evangelium Jesu in weitem Maße vormessiaiiisch und vorchristlich
ist, kommt bei K. nicht zur Geltung.

Für die urchristliche Frömmigkeit gilt vor allem Paulus als
Zeuge. Sein besonderes ist nach K. der Gedanke, daß der Kreuzestod
das Ende der gegenwärtigen Welt bedeutet, weiter die Wendung
des Heilsgedankens (insbesondere des Geistbesitzes) ins Ethische, endlich
das Übergewicht, das er der inneren Zugehörigkeit zu Christus,
die er mit dem Geistbesitz zusammenfallen läßt, über der Hoffnung
der nahen Wiederkunft gibt. Hier fällt auf, daß K. nicht auch den
Sakramentalismus nennt und auf das damit gegebene religionsgeschichtliche
Problem nicht näher eingeht. Aber er bezeichnet es ja
als einen Unfug, die ureigensten Gedanken der christlichen Frömmigkeit
des Anfangs aus zeitgenössischen Faktoren abzuleiten, in der
Meinung sie damit „erklärt" zu haben (S. S7). Daß mit solch einem
Satz die Forschungen Reitzcnsteins und Bousset's nicht abgetan sind,
sei, da es sich um einen Toten handelt, hier nur eben festgestellt.

Das paulinische Christentum will auch K. (im Prinzip hier mit
C. Holsten einig) von dem Bekehrungscrlehnis aus verstehen. Ich
kann auf die lehrreichen, oft freilich auch zum Widerspruch reizenden
Ausführungen nicht näher eingehen. Aus der lichtvollen Darlegung
der Rechtfertigung hebe ich zweierlei hervor: daß K. als
Schüler Ritschl's das tznorrjpzuc von der Kapporeth versteht und daß
er das Vorhandensein einer Opfertheorie leugnet: das Opfer braucht
nicht erklärt zu werden, sondern aus ihm wird erklärt. In der
„Christologie" wird Rom. 5 die Apologie auf Christus bezogen,
was der Rhythmus des Satzes jedenfalls zuläßt.

Nur für Hebr. und Job. gestattet K. „hellenistischen" Einfluß
; doch will er bei Joh. nur von hellenistischen Ausdrucksformen
reden. Daß das nicht genügt, sei auch hier nur eben bemerkt. In
der Erklärung des Christuszeugnisses des Job. stellt er uns vor das
Dilemma: entweder hat Job. zeigen «ollen, daß Jesus nicht ein
Mensch, sondern der Eingeborene Gottes war (antiebionitische Tendenz
), oder daß der Sohn Gottes wirklicher Mensch war (antido-
ketische Tendenz) und entscheidet sich für die zweite Alternative.
Das Dilemma ist falsch gestellt und auch die erstgenannte Tendenz
für Joh. anzuerkennen. Irrig ist auch die Auffassung, daß Joh. ein
ausschließlich positives Verhältnis zum Alten Testament einnehme;
die von K. bestrittene Meinung von Baur und Köstlin kommt dem
Richtigen näher. In der Christologie des Job. gebraucht K. zu viel
paulinische Ausdrücke. Daß man die moderne religionsgeschichtliche
Würdigung des johann. Christus hei K. nicht erwarten darf, ist nicht
zu verwundern.

K. verwirft jede Deutung; der neutestamentlichen
Theologie, die das Christentum als eine synkretistische
Religion erscheinen lassen könnte. Was Holl (in: Urchristentum
u. Religionsgeschichte) darüber ausgeführt
hat, ist ihm wie aus der Seele geschrieben. Nur das
apokalyptische Judentum will er als einen entscheidenden
Faktor (neben der profetischen Religion Israels) im
Werden der neutestamentlichen üottesoffenharung anerkennen
. Ihm hat Jesus den Ausdruck seines himmlischen
Sen du ngsbewu ßtse i n s entnommen.

K.'s Buch ist eine „neutestamentliehe Theologie" im
alten Sinne und doch eine Bearbeitung des Stoffes, die
auch die religionsgeschichtliche Behandlung der Disziplin
, wie sie Wrede fordert, befruchten kann. Vor
allem enthält sie Fingerweise für jene neue Disziplin
der theologia biblica, die neben der „Religionsgeschichte
des Urchristentums" gefordert werden muß. Durch die
klare Herausarbeitung gewisser Grundgedanken, die
nicht nur historische sondern auch theologische Bedeutung
haben, hat er für diese eine wertvolle Vorarbeit geleistet
.

Leiden. H. W indisch.

Spikowski, Ladisias: La doctrine de P£g1ise dansSaint Irenee.

Th£sc pour lc doeforat en theologie. Strasbourg (Librairie Union,
31 Place de la Cathedrale) 1026. (XVI, 161 S.) gr. 8°.

Diese Straßburger Dissertation gibt die in modernem
Sinne katholische Anschauung über das Wesen der

Kirche bei Irenaeus und ihre Bedeutung für die Geschichte
der Kirche wieder. Nicht als ob der Verfasser
sich nicht bewußt wäre, daß Irenaeus seine Anschauungen
von der Kirche im Gegensatz zur Gnosis und im
Kampfe mit ihr gewonnen hätte, im Gegenteil, der
Gegensatz gegen die Gnosis wird überall hervorgehoben;
aber Irenaeus hat nur systematisiert, was schon vor ihm
vorhanden war und schon Vorhandenes zur eindrucksvollen
Gestaltung gebracht. Irenaeus darf darum nicht als
Begründer des Katholizismus angesehen werden in dem
Sinne, in dem ihn die neuere wissenschaftliche Theologie
als solchen bezeichnet; das Christentum ist von
Anfang an katholisch, und in des Irenaeus Kirchenbegriff
fehlt nur noch die Übertragung von der römischen Gemeinde
auf den römischen Bischof und die Hervorhebung
des heiligen Petrus, um ihn zu dein modern
katholischen zu machen, wie ihn das Lehramt der Kirche
heute vertritt. Der Verfasser hat sich im Wesentlichen
von Batiffols Urkirche und Katholizismus führen lassen.
Er handelt nach einem Überblick über Leben und Werke
des Irenaeus und nach der Bibliographie im 1. Kapitel
von der Notion de l'eglise bei den Gnostikern und bei
Irenaeus, im 2. und 3. Kapitel von Role doctrinal und

| sanetificateur, im 4. und 5. Kapitel von der Constitution,
der Lokalgemeinde, der Universalkirche; im 6. Kapitel
von den charakteristischen Eigentümlichkeiten der Kirche
; im 7. Kapitel bestimmt er den Platz, den Irenaeis

j in der Geschichte der Kirche einnimmt; im 8. Kapiel
spricht er von dem Einfluß, den die Anschauung von d«
Kirche bei Irenaeus auf die Folgezeit ausgeübt hat, alle-

■ stark antiprotestantisch und sehr überlegen; von protestantischen
Vorurteilen ist öfter die Rede; der Verf. lu
sich aber doch auch in der protestantischen Literatur gu
umgesehen; Bonwetsch, die Theologie des Irenaeus 1Q21
ist ihm nicht bekannt; er hat sich aber nicht die Müht
gegeben, sie nach ihrem inneren Gehalt zu prüfen; und
so bleibt seine Arbeit zwar ein lobenswertes speeimen
eruditionis. aus dem man mancherlei lernen kann, z. B.
über die Ausgaben des Irenaeus, wobei stark der konfessionelle
Charakter hervorgehoben wird. Aber eine
Förderung unserer Erkenntnis bedeutet sie nicht. Wie
soll das auch sein, da ja das kirchliche Lehramt die
Deutung des Irenaeus vorgeschrieben hat.

Einen großen Raum nimmt die Besprechung und
Interpretation der berühmten Stelle adv. haer. 3, 3, 1 ein,
von der es nur zu bedauern ist, daß der griechische Text
nicht erhalten geblieben ist. S. schließt sich in der
Hauptsache an die Deutung von Gerhard Esser an, die
von H. Koch in den Theologischen Studien und Kritiken
93, 1920/21, S. 54—72 bekämpft worden ist. Ich möchte
doch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß unsere
älteste Handschrift, was S. nicht erwähnt, nicht liest
a Petto et Paulo Romae fundatae, sondern a Paulo el
Petro Romae fundatae. Mit Recht wird die Konjektur,
die das zweite undique durch undeeim ersetzen will, abgelehnt
, und ebenso die Streichung des ab vor his, qui
sunt undique, als sollte es heißen, daß die Tradition
nicht von allen, die überall sind, aufrecht erhalten würde,
sondern für alle, was ja den katholischen Sinn gut verstärken
würde. Will man an dieser Stelle mit Konjekturen
arbeiten, so müßte man bei dem einzigen Worte

I einsetzen, das kritisch anfechtbar ist, dem Worte poten-
tiorem in der Formel propter potentiorem (potiorem)
principalitatem. Die bisherigen Erklärungen des Komparativs
sind unbefriedigend. Ich möchte die Frage aufwerfen
, ob nicht in dem potentiorem (potiorem) eine
Verlesung etwa für populi Romani vorliege. Das würde
zu principalitas gut passen. In der Deutung des con-
venire schließt sich S. der jetzt fast allgemeinen Auffassung
an, daß es übereinstimmen heißen soll. Ob nicht
doch wenigstens der Gedanke mit anklingt, den K.

: Müller, Kirchengeschichte 1, 2. Aufl. 1924, S. 213 in die
Worte kleidet: Und immer wieder helfen Christen aus

! aller Welt, die infolge der Stellung Roms im Mittelpunkt
des Reichs dort zusammenströmen, die Reinheit der