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Ausgabe:

1928 Nr. 11

Spalte:

250-254

Autor/Hrsg.:

Bousset, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter. 3., verb. Aufl. hrsg. v. H. Greßmann 1928

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 11.

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sion des Sprechers (S. 66). Aber das hat seine Schwierigkeiten
. Entweder man nimmt an, daß Jesus real
erscheint, wie etwa bei den im Ginza bekämpften
Gnostikcrn, denen Jesus im hl. Feuer der Parsen erscheint
, oder aber, man betrachtet die Erscheinung Jesu
als eine literarische Reminiszenz. Dann legt sich wieder
die Erinnerung an Paulus nahe. Ich halte die zweite
Vermutung für wahrscheinlicher. Die „Gliedhymnen",
deren Zwölfzahl jetzt feststeht (S. 68), werden von
W. L. einleuchtend als individuelle Erweckungshymnen
interpretiert und daher wird die Reitzenstein'sehe Deutung
auf eine „Totenliturgie" ebenso abgelehnt, wie sein
Versuch ein „Erlösungsmysterium" zu rekonstruieren (S.
69). Der Sprecher bezeichnet sich im 5. Glied (s. S. 113
Blatt III Verso Z. 3 b und 5 b) als monuhmed der
klagenden Seele. Ich glaube, daß auch hier W. L. im
Recht sind, wenn sie in dem Sprecher Jesus sehen, der
die monuhmed, d. h. die yvdaig, oder wie es auf S. 45
vortrefflich heißt: „Die rechte Unterscheidung zwischen
den beiden Prinzipien Licht und Finsternis" bringt. Ich
erinnere in diesem Zusammenhang an Ginza S. 30, 6 ff.,
wo Enos den Juden zeigt: „es gibt Tod und es gibt
Leben, es gibt Finsternis und es gibt Licht, es gibt Irr-
tum und es gibt Wahrheit". Beinahe dieselben Formulierungen
kehren dann im Buch des Denanucht wieder
(Ginza S. 206, 22 ff. S. 207, 14 ff.). Dieses Buch ist
möglicher Weise aus einer älteren Sekte von den Man-
däern übernommen worden. Leider wissen wir nicht,
wer der rätselhafte Disai ist, der diese Sätze spricht, nur
das ist deutlich, daß auch er eine ähnliche Stellung wie |
Jesus und wie Enos einnimmt, zumal wenn man bedenkt,
daß er eigentlich nur die Verkörperung des aus dem
Himmel gefallenen Offenbarungsbuches ist.19

Auf S. 78 sprechen W. L. davon, daß die Gestalt
des Manda d'Haije im Mandäismus von der der Monuhmed
im Manichäismus ebenso abhängig sei, wie der
Hibil Ziwä der Mandäer vom Jesus-Zlwä der Mani-
chäer. Das Verhältnis des Mandäismus zum Manichäismus
zu bestimmen, ist eine schwierige Aufgabe. Was
wir heute Mandäismus nennen und was aus der Sammlung
der mandäischen Literatur zu uns spricht, ist das
Ergebnis einer längeren Entwicklung, die, wie ich glaube
, den Zusammenschluß einer Reihe von älteren Sekten
in Babylonien und Mesene voraussetzt. Es gibt im
mandäischen Schriftencorpus einzelne Stücke, die stark
zum Manichäismus konvergieren; auf das Ganze gesehen
, ist es mir aber zweifelhaft, ob wir den Mandäismus
als vom Manichäismus genetisch abhängig betrachten
dürfen.20 Daß hinter Manda d'Haije die konkrete Gestalt
eines Kultus steht, ist mir stets gewiß gewesen; die Vermutung
von W. L. daß diese Gestalt auf Jesus und die
Monuhmed zurückgeht, hat etwas Verlockendes. Es ist
aber vielleicht gut, wenn wir unser Urteil in dieser
Frage zunächst noch zurückhalten. Dasselbe würde auch
für die Identifizierung von Hibil-Zlwä mit Jesus-Zlwä
zu gelten haben. Wir dürfen einerseits nicht vergessen,
daß Manichäismus und Mandäismus, geographisch betrachtet
, derselben Landschaft entstammen, und wir dürfen
daneben nicht übersehen, daß das Sektenwesen in
dieser Landschaft weit differenzierter war, als daß es
uns erlaubte, die einfache Fragestellung: Mandäismus
oder Manichäismus? auf zuwerfen. Was uns not tut ist,
daß wir zunächst einmal die ganze Fülle der Phänomene
im Auge behalten und nicht zu einer konstruierenden
Vereinfachung uns verleiten lassen. Das ist das Erfreuliche
an der Arbeit von W. L„ daß der Wille zu einer

dem „Baum der Lobpreisung" identifiziert) geltende Aussage: „wir
schauten dein Licht und werden dich nicht mehr vergessen". II Bch.
T 2. und 3. Stück scheinen mir Stücke zu sein, die dem Manichäismus
nahestehen.

19) Beachte auch, daß bei den Barbelognostikem Adamas, der
• tvÜQmnos tiXaos xai <(4r/.»r/c mit der rvümc t»Xllä verbunden auftritt
. Iren. I 29, 3 (resp. Theodoret I 13.)

20) Das Umgekehrte, den Manichäismus vom Mandäismus abzuleiten
, ist erst recht unmöglich.

solchen Betrachtungsweise sich in ihr allenthalben zu erkennen
gibt und darum scheint mir diese Arbeit zu den
wichtigsten neueren Publikationen über den Manichäismus
zu gehören. Eine Bitte muß freilich zum Schluß ausgesprochen
werden, daß sowohl die Turfantexte als auch
die chinesische Rolle möglichst bald vollständig der
Öffentlichkeit übergeben werden. Die Erforschung des
Manichäismus ist nicht nur für die Geschichte des Christentums
, sondern ebenso für die des Islams von größter
Bedeutung. Schon jetzt ist aber deutlich, daß mancher
Irrweg in der Forschung hätte vermieden werden können
, wenn die seit mehr als 23 Jahren in Berlin ruhenden
Texte in größerem Umfang publiziert worden
wären.

Bousset, weil. Prof. D. Wilhelm: Die Religion des Judentums
im späthellenistlschen Zeitalter. In 3., verb. Aufl. hrsg. v.
H. Greßmann. Tübingen: J. C. B.Mohr 1926. (XII, 576 S.) 4°.
= Handbuch z. N.T., 21. RM 15-; geb. 16.50.

Boussets Buch ist in der neuen durch den nun auch
verstorbenen H. Greßmann besorgten Auflage in allem
Wesentlichen das alte geblieben und hat nur wenige
stärkere Änderungen erfahren. Abgesehen von der Glättung
des Stiles, des Ersatzes vieler Fremdwörter und
der Nachprüfung von Zitaten war der Herausgeber bestrebt
, „die wichtigste neuere Literatur nicht nur nachzutragen
, sondern auch zu verarbeiten und für die vorliegende
Darstellung fruchtbar zu machen". Für das
Negative wie für das Positive wird man dankbar sein,
und man freut sich, daß B.'s unentbehrliches Buch (diesmal
im Rahmen des Handbuchs zum N.T. und mit leicht
geändertem Titel, es hieß früher „Die Religion des Judentums
im neutestamentlichen Zeitalter") wieder
vorliegt, — aber befriedigt ist man nicht.

1. In der Glättung des Stiles erweist sich der Herausgeber
taktvoll und geschickt. Auch im Ersatz der Fremdwörter ist er
nicht so riguros verfahren, wie ich gefürchtet hatte. Jedoch hat er
hier m. E. des Guten zuviel getan. Ob es schöner ist, wenn Jerusalem
als „fast unbestrittene Mutter des ganzen . . . Judentums" (S. 3)
erscheint, denn als das „Zentrum", mag man fragen; auch ob man
wirklich lieber „Neigung" als „Tendenz" sagen soll (S. 3) und lieber
„Zubehör" als „Korrelat" (S. 142). Daß „sich eine Entwicklung
zeigt" (S. 3) ist schon nicht mehr das Gleiche wie, daß „sich ein
Prozeß vollzieht". „Gesetzliche Richtung" (S. 202) ist etwas anderes
als „gesetzliche Observanz"; „Verzicht" (S. 386) etwas anderes
als „Resignation"; „Triebkräfte" (S. 410 vgl. 413) etwas völlig anderes
als „Motivation"; „Einrichtungen" (S. 469) sind nicht „Institutionen
" und „Glaube ans Jenseits" (S. 474) ist nicht „Interesse am
Jenseits". Daß es „reizvoll" ist in der Umwelt des Judentums
messianische Stimmungen zu beobachten (S. 225), bedeutet etwas anderes
, als daß es „interessant" ist; denn „interessant" soll hier doch
besagen: „von Interesse"; also müßte es mindestens „bedeutsam"
heißen (vgl. S. 246 die „fesselnde" Jahrwochentheorie des Daniel).
Daß man statt „forensisch" „richterlich" sagt (S. 263) trägt nicht
zur Klärung des Sachverhalts bei; und wenn man die „distributive,
forensische, interesselose" Gerechtigkeit durch die „vergeltende, richterliche
, unbeteiligte" ersetzt (S. 381), so gibt man den durch jene
Termini angedeuteten theologiegeschichtlichen Zusammenhang preis.
Und wie kann man gar die stoisch-kynische „Diatribe" durch die
stoisch-kynische „Verkündigung" ersetzen wollen (S. 474) I — Da
meine scherzhafte Äußerung über Windischs allzureichlichen Fremdwörtergebrauch
(ThLZ. 1927 Sp. 200) vielfach mißverstanden wurde,
erlaube ich mir ernsthaft zu bemerken, daß mir die Übertreibung nach
jeder Richtung hin komisch vorkommt. Wirklich sehr ernsthaft!
Denn daß die konsequente Eindeutschung die wissenschaftliche Sprache
bestimmter Ausdrucksmöglichkeiten beraubt, und daß sie die Hinweise
auf Zusammenhänge wissenschaftlicher Fragekomplexe raubt, scheinen
mir Greßmanns Eindeutschungen deutlich zu zeigen. Man erwäge
auch, daß, wenn man ein deutsches Wort wie etwa „Neigung" zum
wissenschaftlichen Terminus macht, es in Gefahr gerät, seine Lebendigkeit
in der gesprochenen Sprache zu verlieren wie z. B. das
Wort „Zeitung". Und endlich bedenke man, daß es gar kein Ideal
ist, wenn wissenschaftliche Werke für Hinz und Kunz lesbar sind.
Man sollte also endlich die Nervosität gegen die Fremdwörter fahren
lassen und Instinkt und Takt walten lassen!

2. Die Nachprüfung der Zitate ist verdienstlich
, aber sie ist leider nicht konsequent durchgeführt
. Doch freute ich mich über die uerrenswürdige
Bemerkung des Herausgebers, daß der freundliche Leser