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Ausgabe:

1928 Nr. 10

Spalte:

238-239

Autor/Hrsg.:

Lilje, Hanns

Titel/Untertitel:

Der neue Mensch. Gedanken zum evangelischen Jugendwerk 1928

Rezensent:

Rendtorff, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 10.

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genauer bestimmt zu haben, — in dem Verzicht des
Ordens darauf, den Preußen das Christentum in ihrer
Sprache nahezubringen. Die eigentliche Kirchengeschichte
Ostpreußens beginnt nach ihm deshalb erst mit
•der Reformation, die durch einen Sprachenerlaß von Po-
lentz eingeleitet wird, und mit der Begründung der Kö-
nigsberger Universität, insofern sie der Kirche den heimischen
Nachwuchs lieferte; bis dahin hatte sie in der
Hauptsache nur von Anleihen im Reiche gelebt. Von
dieser Kirchengeschichte aber weiß nun Blanke zu
berichten, — und damit dürfte ein zweites wertvolles
Ergebnis seiner Studie umrissen sein — daß in ihr sich
das eigentliche Luthertum reiner erhielt, als in den wesentlich
durch Melanehthons loci communes bestimmten Provinzen
des Luthertums im Reich. Briessmanns flosculi
vom Jahre 1523, deren Geschichte und dogmatischer
Gehalt deshalb genauer gekennzeichnet werden, enthalten
nichts von katholischer Schulddogmatik, und sie
stehen am Beginn einer Reihe von Zeugen echtlutherischen
Wesens, die Blanke zum Beweis solcher fortlaufenden
Tradition schärfer heraushebt: es sind Osian-
der, Simon Dach und der wichtigste in dieser Reihe, der
daraufhin Blanke immer noch nicht genügend gewürdigt
erscheint, Hamann, der Magus des Nordens. In ihm,
so schließt Blanke diesen Teil seiner Studie ab, „hat das
ostpreußische Christentum nicht nur die Kraft erwiesen,
sich selbst zu erhalten, sondern es zeigt noch überschüssige
Kräfte, die es abgeben kann an die übrige
evangelische Christenheit". Den Schluß seiner Ausführungen
bildet nach einem kurzen Überblick über die
Geschichte des katholischen Ermlands die Würdigung
von Koppernikus als religiöser Persönlichkeit. Auch
dieset große Revolutionär, der erfolgreiche Verteidiger
von Heilsberg gegen die Polen, blieb immer der demütige
und kindlich fromme Jünger Jesu, der bei aller
Gebundenheit an die überlieferte kirchliche Autorität
sich des persönlichen Verhältnisses zu seinem Erlöser
bewußt blieb.

Kowalewskis Beitrag zu dem Hamann-Problem bedarf
nur weniger Worte. Wie Hamann zu der Lehre gelangte
, die ihn auszeichnet, bleibt auch nach ihm noch
eine offene Frage für den Religionspsychologen. Seine
Lehre aber von der Ganzheit mit ihrer Verwurzelung in
der Liebe zu dem ungeteilten Organon wird nach allen
Seiten unter Würdigung der Besonderheiten und Absonderlichkeiten
des Magus eingehend dargelegt.

Ostpreußen ist das deutsche Land, das die deutschen
Volksgenossen am wenigsten kennen, und die
Klage über diese ostpreußische Not, nach der Abtrennung
von Deutschland besonders schwer empfunden,
kommt auch in dieser Festschrift zu starkem Ausdruck.
Wie wenig sich sogar Männer, die ihr Beruf mit Ostpreußen
in nächste innere Beziehung brachte, in die
Eigenart ostpreußischer Geschichte einzudenken vermögen
, verrät— nebenbei bemerkt — eine kleine, nebensächliche
Bemerkung Blankes, des Süddeutschen, die
hier aber doch richtig gestellt werden muß. Er reiht die
alten Preußen S. 13 mit Littauern und Letten den „übrigen
Slawen" ein. Dabei gehört es zu den grundlegenden
Tatsachen ostpreußischer Geschichte, daß alle die
3 genannten Stämme mit den Slawen nichts zu tun haben
; sie bilden vielmehr eine indogermanische Völkerfamilie
für sich. Wenn wir Deutschen in deren Raum
vorstießen, so nahmen wir den Slawen also nichts,
worauf sie einen Anspruch hatten. — Je weniger nun
aber Ostpreußen wirklich gekannt wird, um so mehr
haben alle Deutschen Anlaß, ein Werk wie das vorliegende
freüdigst zu begrüßen. Denn abgesehen von
alledem, was hier von den Werken deutscher und zwar
höchst eigenartiger kirchlicher Kultur festzustellen war,
in seinem Mittelpunkt steht der ostpreußische Mensch,
<ler wie nur irgend einer an die größten Ergebnisse
deutscher Geschichte anknüpfte und sie sich, nun allerdings
unter Hinzufügung eines eigenen Charakters, zu
eigen machte. Männer wie Koppernikus und Kant gaben

' von der Peripherie deutschen und abendländischen Le-
: bens aus tausendfältig zurück, was sie der deutschen
Kulturgemeinschaft zu danken hatten. Der Ton, der
durch alle Aufsätze hindurchklingt, ist der, daß dieser
Mensch mit seiner derben Schlichtheit, mit seiner an
j Hartnäckigkeit grenzenden Starrheit, mit seinem Streben
nach Ganzheit und Abgeschlossenheit und seiner darauf
begründeten entschlossenen Tatkraft ein wie überhaupt
so grade auch kirchlich besonders wertvoller Teil unsers
Volksganzen ist. Möchte diese Schrift diese Überzeugung
in recht breite Volksteile hineintragen!

Königshcrg/Pr. Wilhelm Stolze.

Kastner, Dr. theol. Karl: Kirchliche Gegenwartskunde.

3., verm. u. verb. Aufl. Breslau: F. Goerlich 1927. (VIII, 129 S.)
Sr- 8°- RM 2-.

Eine sehr stoffreiche, knappe, gut gegliederte Übersicht
über Verfassung, Verwaltung, Gesetzgebung und
kulturelle Betätigung (nicht über Lehre, Kultus usw.) der
katholischen Kirche der Gegenwart, insbesondere in
Deutschland. Über die katholische Kirche hinaus greift
ein Abschnitt, der die orientalischen Kirchen behandelt,
keineswegs nur die linierten; man sieht nicht recht,
warum die „schismatischen" Kirchen des Ostens über-
j haupt geschildert werden. Vom Protestantismus ist nicht
i die Rede. Bei Besprechung der „kirchlichen Kultur"
! wird von Wissenschaft, Kunst, Literatur, Schule, Politik,
| Volksbildung u. a. gehandelt. Das Buch ist 1921 zuerst
erschienen; in manchen Sätzen trägt es aber der Zeit
nach 1918 auch in der 3. Auflage noch nicht ausreichend
! Rechnung. Die Darstellung der Bischofswahl in Preußen
! (S. 16 f.) klingt, als gäbe es dort noch jetzt einen
j Landesherrn; der Absatz über Rußland weiß von der
neuesten Entwicklung nur zu sagen, daß die orthodoxe
: Kirche dort in eine bedrängte Lage geraten ist (S. 35).
Die Ausführungen über den Literaturstreit erwähnen die
jüngsten Kämpfe nur mit knapp 3 Zeilen (S. 102). Pari-
| tätsschmerzen werden geklagt, als ob wir vor dem
Krieg lebten (S. 56 f.); ist es taktisch immer noch besser,
zu klagen als über die neuere Wendung zu triumphieren?
I — Der Standpunkt des Buchs ist streng katholisch, was
sich in Ton und Darstellung deutlich kundgibt. Nach
j K. sind Droste-Vischering und Dunin s. Zt. „wegen
ihrer romtreuen Haltung" zu Festungsstrafen verurteilt
worden (S. 57); in Konkordaten zeigt sich die Kirche
| immer „entgegenkommend", was durch eine Äußerung
Leos XIII. bewiesen wird. Der Bühnenvolksbund wird
empfohlen, aber verschwiegen, daß er interkonfessionell
I ist; es wird nur gesagt, daß er „auf breiterer Basis" als
j die Calderon-Gesellschaft arbeite. So ließen sich noch
| mancherlei Anmerkungen machen. Aller es ist wichtiger,
hervorzuheben, daß das Buch nicht nur für den Katholiken
eine sehr brauchbare Zusammenstellung bietet,
sondern auch für den Protestanten, der den Katholizis-
! mus kennen lernen will, viel Wissenswertes bequem an
die Hand gibt. Nur muß es natürlich mit kritischer Vorsicht
benutzt werden.
Breslau. M. Sc Iii au.

Lilje, Hanns: Der neue Mensch. Gedanken zum evangel. Jugendwerk
. Hamburg: Buchh. des Norddeutschen Männer- und Jünglingsbundes
i. Komm. 1927. (95 S. m. Abb.) 8°. rm 1.20.
Das aus dem Führerkreise des evangelischen Jungmännenvcrkes
• stammende Heft ist keine selbständige Untersuchung zur Jugendfrage.
Den literarischen Anstoß verdankt es offenbar der in Cordiers großer
Jugendkunde gegebenen Darstellung des Jungmännerwerkes, die mehrfach
zustimmend zitiert, aber in wichtigen Zügen berichtigt wird. Di«
Fassung des Hauptthemas „Sinn und Schicksal der evangelischen Ju-
j gend" weist auf fruchtbare Auseinandersetzung mit Stählins gleich-
| namiger Arbeit. Die positiven Grundgedanken dagegen entstammen
' dem Arbeitskreise um Erich Stange, dessen Schrifttum als Quelle
| wiederholt genannt wird. Aber trotz ihrer literarischen Anspruchs-
! losigkeit erscheint mir die Schrift ein wertvoller Beitrag zur Er-
| örterung der Jugendfrage zu sein, weil sie eben nicht sich an einer
j Untersuchung so viel besprochener und umstrittener Begriffe wie
i „Jugendbewegung", „Sendung" oder ähnlicher genug tut, sondern
j als ein Zeugnis aus der Arbeit sich zu allererst an die Fragenden