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Ausgabe:

1928 Nr. 10

Spalte:

236-238

Titel/Untertitel:

Flothow, Bilder aus dem religiösen und kirchlichen Leben Ostpreußens 1928

Rezensent:

Stolze, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 10.

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sondern um Werturteile über Bücher und Menschen.
Leider kann man nicht sagen, daß V. dabei stets objektiv
ist. Eine starke Tendenz, die englische Arbeit zu
loben, führt zu ausgesprochenen Fehlurteilen. Nimmt man
zu dem Allen hinzu, daß einzelne Teile des Kapitels,
auch abgesehen von Einzellücken, was ihr Gesamtniveau j
betrifft, einen überraschend dürftigen Inhalt bieten —
teilweise wird nicht einmal der Stand einschlägiger Par-
tieen in Knopfs Einführung in das N. T. erreicht — so
ergibt sich das Bild einer nach Form wie Inhalt mangelhaften
und fehlervollen Information, die noch dazu j
weithin unselbständig kompiliert ist. —

Was die Behandlung der übrigen Disziplinen angeht
, so kann ich hier ein präzises Urteil über das
Ganze nicht geben, gestehe jedoch zu fürchten, daß
auch diese Teile unter ähnlichen Mängeln leiden. Ich
notiere einige Beobachtungen, die mich mißtrauisch
machten.

Kapitel V wird (S. 136) mit einer Begrenzung des Stoffes eingeleitet
, die methodisch unmöglich ist und dazu führen muß, daß
eine zutreffende Beurteilung der kirch.-hist. Forschung in England
von vornherein unmöglich gemacht wird. Die natürlich notwendige
Auslese hätte nur eine sorgfältige Auswahl von Werken aller kirchenhistorischen
Objekte auf Grund umfassender Kenntnis der G e -
s a m t forschung sein dürfen. — S. 153 ff. findet sich ein Exkurs ]
„Zur Rezeption Luthers in England". Wieder eine sehr dankens- |
werte Absicht, die leider wieder völlig unzulänglich durchgeführt
ist. V. giht teils die Ergebnisse bereits vorliegender Darstellungen i
wieder, teils nennt er Titel einiger von ihm im Britischen Museum ge- |
fundenen Übersetzungen von Schriften Luthers. Neues kommt da- j
bei so gut wie nichts zu Tage. So finden sich z. B. sämtliche von V. S. 162ff. |
angeführten älteren Übersetzungen, die eine schon veröffentlichte Liste j
ergänzen sollen, im Katalog des Britischen Museums, der ja bekanntlich
auch in Deutschland jeder Zeit zugänglich ist. Dafür werden j
aber offene Fragen weiter ungelöst gelassen (vgl. S. 15° Anm.3; 165 |
Amn.4). Die Behandlung des 17. Jh.'s (S. 167) ist unerlaubt summarisch
. Ist es, um nur ein Beispiel zu nennen, wirklich kein erwähnenswertes
„Denkmal einer Lutherbekanntschaft", wenn Bunyan von
sich bekennt, daß Luthers Galaterkommeutar von der größten Bedeutung
für ihn sei (vgl. The Works of J. B. Lond. 1860 Vol. I,
22 Offor)? Auch dieser Exkurs also ist eine unzuverlässige Kompilation
ohne jedes eigene Ergebnis.

Beispiele jener sonderbaren Abhängigkeit der Referate
V.'s von Vorlagen, wie wir sie für den N.T.lichen |
Abschnitt feststellten, finden sich auch sonst.

Vgl. Vollrath S.237 und Else Wentscher „Englische Philosophie
" S. 129—132; Vollrath S. 234f. und Otto Pfleidercr „Die
Entwicklung d. protest. Theol. seit Kant" S.424 u. 426ff.; Vollrath
S. 240ff. und Pfleidercr a. O. S. 430ff.; Vollrath S. 324 ff. und W.
Dibelius „England" Bd. II. S.34 — 59 passim. —

Die in dem N.T.lichen Teil festgestellte System-
losigkeit im bibliographischen Verfahren zieht sich durch
das ganze Buch. — Auch Beispiele tendenziöser Konfrontation
englischer und deutscher gelehrter Arbeit fin- |
den sich in andern Partieen des Buches. — Und endlich
muß ich noch auf ein auffallendes Merkmal des Buches
hinweisen. Der Verf. schiebt hier und da eigene Be- |
trachtungen in sein Referat ein, die so oberflächlich im I
Gedankengehalt und so leichtgeschürzt in der Form- j
gebung sind, daß ich sie nicht anders denn als Feuille- i
tonschriftstellerei bezeichnen kann.

Das erschreckendste Beispiel hierfür ist die umfangreiche Einleitung
, die V. auf S. 1—28 unter den pretenziösen Überschriften .
„Wissenschaft und Leben" „Deutscher und englischer Geist" gibt.
Hier werden aus Impressionen, die der Verfasser bei seinem Aufent- ,
halte in England gewann, Urteile abstrahiert, die eine erstaunlich
geringe systematische Kraft zeigen. Was soll man dazu sagen, wenn I
die ausführlich beschriebene Form des Visitenkartenwechsels in Eng- i
land als wichtiger Beitrag zur „Dramatik" des gesellschaftlichen
Lebens, ja, als „Sakrament" bezeichnet wird? (S. 10) Wie ist es ,
möglich, aus der Tatsache, daß es in England keine Doppeltüren j
und Doppelfenster gibt und die Gartentüren mit ihren Flügeln j
meistens nach außen aufgehen, allen Ernstes Schlüsse auf das Ver- j
hältnis „des'' Engländers zu „Raum und Zeit" zu ziehen? (S.20f.)
Ist es wirklich nicht lediglich komisch, wenn der Handkoffer, den der
englische Student statt der in Deutschland gehräuchlichen Aktenmappe
benutzt, als „Symbol einer spezifischen Geistigkeit" bezeichnet
wird? (S.25)

Alles, was man an dem Buche tadeln muß, beweist |

immer nur das Eine, daß der Verf. des weitschichtigen
Stoffes, zu dem er sich mit Fleiß Zugang verschaffte,,
nicht Herr wurde. Zu seiner Entschuldigung muß man
freilich sagen, daß kein Einzelgelehrter in der V. zur
Verfügung stehenden Zeit etwas Befriedigendes hätte
leisten können. Die Aufgabe wäre auch für einen anderen
zu schwer gewesen. Man fragt sich vergeblich,
warum V. nicht eine Cooperation von Fachgelehrten organisiert
hat, die in derselben Zeit Gründliches hätte
leisten können.

Göttiugen. Helmuth Kittel.

Bilder aus dem religiösen und kirchlichen Leben Ostpreußens.

Festschrift zum Deutschen evangelischen Kirchentag in Königsberg
Pr. vom 17.--21. Juni 1927. Hrsg. i. Auftr. v. Dr. Flothow.
Königsberg/Pr.: Gräfe & Unzer 1927. (191 S.) gr. 8°. kart. RM 4-.
Die Aufsätze, die unter dem oben angeführten
Titel in dieser Festschrift gesammelt sind, verfolgen
einen doppelten Zweck, — was aus dem Titel nicht ohne
Weiteres ersichtlich wird. Sie wollten einmal den Teilnehmern
an jenem Kirchentag eine Art Führer abgeben
durch die Bauwerke, die für sie gewissermaßen an der
Straße lagen. Zu dem Zweck steuerte der z. Zt. beste
Kenner der Marienburg, Oberbaurat Dr. Bernhard
Schmid eine im Wesentlichen nur aus Stichworten bestehende
Skizze über die Marienburg bei, die einen Abriß
der Baugeschichte, das Bauprogramm und kunstgeschichtliche
Erläuterungen dazu gibt, und der Provin-
zialkonservator Professor Dr. Richard Dethleffen ausführlichere
und aufschlußreiche Erörterungen über den
Königsberger Dom. Auch diese Aufsätze haben ihren
Wert. In weit größerem Maße dürfte das jedoch von
der zweiten Reihe von Aufsätzen gelten, die einen Einblick
in die ostpreußische Kirche, ihre Geschichte und
ihre Leistungen in Vergangenheit und Gegenwart vermitteln
wollen. Denn abgesehen von ihrem Eigenwert,
geben sie Kunde von einem Leben, das kraftvoll
und eigenwillig ein Dasein vielfach für sich allein
führte und eben deshalb jenseits seiner Grenzen zumeist
unbekannt blieb; ja, man darf es sagen, sogar
innerhalb seiner Grenzen hatte es dasselbe Schicksal.
Es mag genügen, wenn wir von einzelnen nur eben die
Titel verzeichnen: Friedrich von Baußnern, zur Geschichte
der ostpreußischen Kirchenmusik (—1550),
Eduard Korallus, Ostpreußischer Kirchenbau, August
Borrmann, die evangelische Liebesarbeit in Ostpreußen
(eine Geschichte derselben mit wertvollen Beiträgen namentlich
zur Geschichte des Weltkriegs), Carl Flothow,
Aus der Gegenwart. Ein besonderes Wort beanspruchen
dagegen die beiden ersten Aufsätze der Sammlung, der
von dem Königsberger Privatdozenten Fritz Blanke verfaßte
mit dem Titel: Der innere Gang der ostpreußischen
Kirchengeschichte, und der von Professor Arnold Ko-
walewski gelieferte: Hamann als religiöser Lebensphilosoph
. Denn greifen sie am meisten in die Weite und in
die Tiefe, so schlagen sie auch Akkorde an, die aus den
anderen Beiträgen immer wieder heraustönen. Darüber
wird dann zum Schluß noch zu reden sein.

Blankes Ausführungen sind getragen von dem Gedanken,
daß der Deutschordensstaat kirchengeschichtlich gesehen im
Wesentlichen nur Missionsgebiet war. Trotz des an Bernhard
von Clairvaux gebildeten Ritterordens oder grade wegen seiner
Verbindung von Religion und Politik habe er mit
seiner „Einkirchung" aller vom Schwerte Unterworfenen
geringere Erfolge erzielt, als die von ihm zur Seite geschobene
Arbeit seines unmittelbaren Vorgängers, des
Bischofs Christian, versprochen hätte.1 Den Hauptgrund
sieht Blanke, dessen Verdienst darin besteht
, mit einem für Missionsmethoden geschulten und
geschärften Auge die Quellen daraufhin energisch gemustert
und die einzelnen Missionare in ihrer Eigenart

1) Über dessen Missionsmethode veröffentlichte Blanke danach
einen besonderen Aufsatz in den Altpreußischen Forschungen. Jahrgang
IV. (1927) S. 20 - 42, der mit Hilfe aller Ergebnisse der Missionsforschung
aus dem spärlichen Material möglichst viel herauszuholen versucht.