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Ausgabe:

1928 Nr. 10

Spalte:

230-231

Autor/Hrsg.:

Schlatter, Adolf

Titel/Untertitel:

Die Geschichte der ersten Christenheit 1928

Rezensent:

Lohmeyer, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 10.

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Täufers. Damit sind wir zum Nerv der Stellungnahme
Behms gekommen. Wäre diese die einzig mögliche oder
auch nur die wahrscheinlichste, so wäre ein neuer Bundesgenosse
gewonnen für den Kampf gegen Geister wie
Drews. Dann ist aber auch eine Beeinflussung der Mandäer
auf dem Wege mündlicher Tradition begreiflich

braucht man wirklich nicht auf die Bergpredigt zu rekurrieren
. Sonst müßte man gleich darauf für den
Eunuchen bei einer Jungfrau Z. 31 f. auch wohl auf
Sirach 30,20 und 20,4 verweisen, vgl. Sprüche 11,22.
Das von Behm beigebrachte Material läßt sich einerseits
noch vermehren, andrerseits bedarf es der Sichtung,

Im Uebrigen zeigen die mandäischen und die neutesta- : wenn der Beweis der Abhängigkeit vom N.T. damit er
mentlichen Schriften darum viele Ähnlichkeiten, weil t bracht sein soll.

beide Zweige aus derselben jüdischen Vorstellungswelt Goslar. Hugo Duensing.

und demselben aramäischen Idiom sind. Jetzt erscheint
auch die Polemik des Johannesevangeliums gegen Johannes
den Täufer in noch etwas anderm Lichte, als Balden-

Schlatter, Prof. D. A.: Die Geschichte der ersten Christenheit
. Gütersloh: C. Bertelsmann 1926. (V. 387 S.) gr. 8°.
sperger seiner Zeit darauf fallen lassen konnte. Das Ev. I rm 12 ; geb. 14-.

macht Front gegen eine Verherrlichung des Täufers und 1 Dieses letzte Werk Schlatters als ein Neues und
seiner Taufe, wie sie von jener jüdisch-heidnischen Tauf- ! Unbekanntes anzuzeigen und es im Einzelnen oder auch
sekte betrieben wurde. Nicht überraschend, daß der i im Ganzen kritisch zu prüfen, ist schon durch die
Evangelist von der Begriffs- und Gedankenwelt des ge- äußere Tatsache verwehrt, daß es einen weiten Leserkreis
fährlichen Konkurrenten beeinflußt wurde, daß er ihm längst gefunden hat; aber es bedeutete auch eine Ver-
die Waffen entwindet und mit gnostischen Ausdrücken j kennung seines sachlichem Gehaltes, wollte man dieses
das christliche Heil beschreibt. Ausgezeichnet knapp | Werk, das sein Verfasser sichtlich als den schlichten
und schlagend legt B. schließlich den Unterschied bei- j und würdigsten Abschluß seiner reichen Lebensarbeit

der Bewegungen in dem Verständnis der leitenden Idee,
der Erlösungsidee dar: auf der einen Seite eine physiche
, die Lösung der Seele aus den Ketten der Materie,
auf der andern Vergebung der Sünden. Der Kampf
zwischen Mythus und Geschichte als Trägern der Erlösungsreligion
läßt sich so bis in die jüdisch-palästinensische
Heimat der ersten Christen zurückverfolgen.
— In dem Kardinalpunkt der Beeinflussung der Man-

gedacht hat, anders als aus dem Gesamten seiner geistigen
und religiösen Haltung betrachten.

Es ist in einem ganz einfachen Sinne zunächst „Geschichte
", d. h. Folge einmaliger Geschehnisse, die das
Buch verheißt und gibt. Sie beginnt mit den Osterereig-
nissen und endet mit der Entstehung des neutestament-
lichen Kanons; und von jenem Anfang zu diesem Ende
führen zahlreiche größere oder kleinere Abschnitte der

däer durch christliche Stoffe und Gedanken kann ich Darstellung, die ohne den Versuch und wohl auch ohne

mich dem Urteil Behms nicht bedingungslos anschließen
Zwar teile ich seine Ansicht insofern, als auch ich mündliche
Oberlieferung der evangelischen Stoffe als den
Weg annehme, auf dem sich der Verkehr vom Chri-

die Absicht weiter zu gliedern, einfach aneinandergereiht
sind. Dieses Äußerliche ist ein tiefes Zeichen für die
ganze Art dieser Darstellung; denn nun stellt sich diese
Geschichte der ältesten Christenheit als ein einheitlicher

stentum zum Mandäismus hin abgespielt hat. Aber der und mächtiger Zusammenhang dar, dem jede Dar-
Ausgangspunkt dieser Mitteilung ist auf Seiten des Chri- j Stellung im strengsten Sinne nur zu folgen vermag; er
stentums eine literarisch fixierte Vorlage. Am klarsten j aber hat von sich aus alle Einteilung und Gliederung
ist das bei den lukanischen Vorgeschichten, bei denen j seines nie stockenden Stromes überwunden. Weil diese
■wohl niemand ernsthaft eine mündliche Weitergabe nicht j Geschichte solcher Zusammenhang ist, aus dem alle ihre
fixierter Erzählungen annehmen wird. Aber auch bei einzelnen Funktionen wie aus gemeinsamem Grunde
andern Stoffen ist dieser Weg samt dem bezeichneten hervorwachsen, so kann sie erzählt werden. Erzählen

Ausgangspunkt wahrscheinlich. Die genaueste geschichtliche
Parallele bietet Muhammed mit seiner Erzählung
alt- und neutestamentlicher Stoffe. Es wird sich, glaube

aus der „selbstlosen Sauberkeit echter Wahrnehmung"
heraus, mit der es uns gelingt, uns selbst samt unserer
Zeit und ihren Wünschen und Bedürfnissen zu ver-

ich, sogar wahrscheinlich machen lassen, daß die Über- i gessen" — das ist die adaequate Form, diese Geschichte
lieferung dieser Stoffe garnicht auf palästinensischem j zu erfassen und darzustellen. Es wird in diesem Buche
Boden erfolgt ist. In dem Nachhall des Wortes Jesu ; viel erzählt, mit schlichten und oft glücklich gefunde-
vom Zerstören und Wiederaufbauen des Tempels ge- I nen Worten, wie eine andächtige Treue gegen die urbrauchen
die Mandäer für Tempel das Wort der syri- christlichen Dokumente sie zu verleihen mag. Diese
sehen Evangelienübersetzung, das sonst bei ihnen einen ' „Geschichte" kennt wohl eine Fülle schwieriger histo-
andern Sinn hat. Soll die Beeinflussung durch die rischer Fragen, die nicht mehr zu erhellen sind, sie
Nestorianer vielleicht sich darauf beschränkt haben, daß j lassen hinter diesem Erzählen auch die immer neue
sie den Sonntag und etwa noch die eine oder andere Mühe und die reichen Mittel des Forschens und Fra-
Äußerlichkeit sich angeeignet haben? Wahrscheinlich gens ahnen; aber hier gibt es zuletzt keine Probleme,
ist vielmehr, daß sie von ihrem Gegner tiefgehend be- 1 denn sie ist „bis in die sie wirkenden Kräfte sichtbar
einflußt sind. Damit daß man die Beeinflussung sich I und verständlich". Fragt man nach den Gründen solcher
auf mesopotamischem Boden abspielen läßt, ist nicht 1 Verständlichkeit, so antwortet eindeutig der erste Satz
ausgeschlossen, daß die Mandäer früher einmal auf j dieses Werkes: „Was wir Geschichte heißen, ist wie
palästinensischem Boden gelebt haben. Das ist bisher 1 alles was in Kraft der göttlichen Schöpferordnung unser
aber nicht mehr wie eine Möglichkeit, für die Einiges i Leben trägt, ein unergründliches Geheimnis und zugleich
ins Feld geführt werden kann. Aber über die Zeit des j ein offenkundiger Tatbestand, der unserer Beobachtung
etwaigen dortigen Aufenthaltes läßt sich garnichts sa- j zugänglich ist." Hier besteht also eine gegenständlich
gen. Das einzige, was einen Anhaltspunkt bieten könnte, gültige große Einheit; ob sie auch von unserem
der Name des Pilatus beweist durch die Form, in der 1 Denken und Wollen und Handeln getragen wird, sie
er auftritt, nur, daß er nicht aus mündlicher Überliefe- j bleibt Geschehen, zwingend „mit kausaler Kraft",
rung, sondern aus einer unvokalisierten semitischen Vor- j lückenlos und notwendig, gleichsam eine Kette, durch
läge aufgenommen ist. Für die Erklärung der johanne- die jeder als Glied unter andern Gliedern gebunden ist.
Ischen Begriffswelt werden wir uns nach wie vor auf Aber eben diese verbindende und zwingende Kraft ist
<Jen breiten Strom orientalischer Gnosis zurückziehen, nichts anderes als das göttliche Wunder der Geschichte.
der durch die ganze damalige Welt zog und der auf I Wohl ist es leicht zu sehen, daß alle solche Be-
palästinensischem Boden die dortige Lokalfarbe erhalten j Stimmungen des Begriffes der Geschichte und der in ihr
haben wird. Im Übrigen beruhen viele Berührungs- | möglichen und notwendigen „Beobachtung" aus dem
punkte zwischen mandäischer Literatur und dem N.T. ; gläubigen Aspekt der Geschichte fließen; für dieses
auf Gleichheit semitischer Ausdrucksweise und Bilder- i Werk ist es bezeichnend, daß es eine andere Möglichkeit
spräche. Für die Perlen für eine Sau (Ginza S. 218,30) der Betrachtung gar nicht kennt. Aus einer starken