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Ausgabe:

1928

Spalte:

228-230

Autor/Hrsg.:

Behm, Johannes

Titel/Untertitel:

Die mandäische Religion und das Christentum 1928

Rezensent:

Duensing, Hugo

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einem Gespräch, meint er, gehören zwei „ebenso unversöhnliche wie
unzertrennliche Widerpartner, zwei, die mit einander ringen und sich
ebenso nicht loslassen, ein Wort und sein Gegenwort". Beispiele sind
„der Glaube und der Gehorsam, Heteronomie und Autonomie, . . . das
Reden des hl. Geistes zu uns und in uns, die Fleischwerdung des Wortes und
die Ausgießung des hl. Geistes, Versöhnung und Sünde, Urgeschichte
und Geschichte in der Offenbarung, Gotteswort und Menschenwort in
der Bibel und ebenso in der Predigt. Das Urbeispiel . . . ist . . . Gott
und Mensch in der Person des Versöhners" (S. 457). In dieser Aufzahlung
stehen konträre und kontradiktorische Gegensätze bunt durcheinander
, wie denn B. überhaupt den Unterschied der konträren und
der kontradiktorischen Gegensätze entweder nicht kennt oder jedenfalls
zu ignorieren pflegt. Aber daß ihm überhaupt, wohl weil er Gott als
freien Herrn auch über den Satz des Widerspruchs auffaßt (S. 217),
das Entweder-Oder der kontradiktorischen Gegensätzlichkeit gar nicht
liegt, beweist seine Formel von dem „das eine Wort nicht sprechen,
sondern nur in zwei Worten bezeichnen könnenden Denken" des im
Widerspruch mit Gott und mit sich selbst befindlichen Menschen (S.
460f.). Aber ich kann B. auch nicht zugeben, daß zu einem solchen
dialektischen Denken ein besonderer Mut gehöre (S. 169. 346). Denn
was besagt ein bloß kontemplativer Mut im Vergleich mit dem Mut zu einer
wirklichen Tat? Mit dem Programm seiner Dialektik selbst aber kommt B.
immer wieder auf die Annahme von zwiefachen Wahrheiten
hinaus. Besonders deutlich wird dies bei seiner Behandlung der Frage
nach Jesu vaterloser Erzeugung. Einerseits nämlich erklärt er die
Oberlieferung von der Jungfrauengeburt ganz offen und klar
für einen Mythos (S. 247. 272ff.). Andererseits treibt ihn sein
Wille zu einer möglichst konservativ biblizistischen Haltung dahin, daß
er mit ganz spekulativen Mitteln vielmehr die gegenteilige Ansicht zu
begründen sucht. Danach soll im Widerspruch mit Gen. 2, 6. 12, wenn
auch in Obereinstimmung mit Rom. 5, 12 ff., das männliche Element
in der ganzen Geschichte der Menschheit der Träger des Bösen, das
weibliche dagegen als das an sich empfängliche auch zur Empfängnis
der Person Jesu Christi aus dem hl. Geist befähigt gewesen sein (S.
281 f.). Ein anderes bemerkenswertes Paradigma für B.'s Dialektik
liegt darin vor, wie er den Begriff der Religion, der sogar von „üblem
Geruch" sein soll (S. 303), und die ihn vertretenden neueren Theologen
zuerst erbittert bestreitet, um schließlich doch zu erklären, daß
es eine Rechtfertigung und Heiligung derselben Religion gebe und
daß diese, „die abstrakt in sich selbst betrachtet die Vollendung der
Empörung" des Sünders gegen Gott sei, gleichwohl „Gemeinschaft
mit Gott heißen und sein darf" (S. 317). Luthers und Melanchthons
tiefe und fruchtbare Unterscheidung nämlich zwischen Gottes gratia
und seinem donum in gratia (nach Rom. 5,15) ist B. ebenso fremd,
wie die aus ihr folgende Einsicht, daß dieses donum des heiligen
Geistes sich als das reale Bindeglied zwischen Gottes Rechtfertigungs-
gnade und der subjektiven Religion der versöhnten Gläubigen darstellt.
In derselben Richtung, wenn auch unter anderen theologischen Voraussetzungen
, lehrten Zwingli, Calvin und ihre Nachfolger, daß die
Erwählten als solche zunächst zwar nur erst potenziell im Besitz des
hl. Geistes seien, daß dieser Besitz aber irgendwann einmal in ihrem Leben
durch die Verkündigung des Gottesworts zum leistungsfähigen und unverlierbaren
Glauben umgesetzt werde. Und dieselbe reformierte
Theologie war von Anfang an bis zu Barths und zuvor schon einiger
seiner etwaigen Vorgänger Abfall zu dem heterodoxen Lutheraner
Kierkegaard in der strengen Eindeutigkeit ihres Denkens von der
Zulassung zwiespältiger Wahrheiten noch viel weiter entfernt als
etwa Luther und vereinzelte ältere Lutheraner.

8. Mit der dialogischen Grundlage der dialektischen Denkweise
B.'s steht in eigentümlichem Widerspruch das Gewicht, das er,
vielleicht auch wieder unter W. Herrmanns nachwirkendem Einfluß,
in verschiedenen Beziehungen auf die Resinnung legt (S. 113ff.
120. 228. 414. 426. 439). Zwar behauptet er, daß „aus dem Selbstgespräch
notwendig ein Zwiegespräch und damit erst wirkliche Besinnung
" werde (S. 431). Aber in einem Zwiegespräch, besonders
wenn es nach B. nicht nur aktuell zu führen, sondern notwendig
immer auch ein Drama und Kampf sein soll, gilt es vielmehr schlagfertig
zu sein, damit man nicht von dem „Widerpartner" Hals über
Kopf überrumpelt werde, und da fehlt es doch an Zeit zu einer behäbigen
Besinnung. Jedoch daß B. sowenig anschaulich denkt, um
unversehens aus den von ihm beliebten Bildern herauszufallen, will
ich ihm bei seiner abstrakt intcllektualistischen Denkrichtung nicht
einmal so sehr verübeln. Aber weiß er denn nicht, daß der Ahnherr
der aus der Philosophie in die Theologie eingedrungenen Methode der
Besinnung oder Selbstbesinnung und dadurch mittelbar auch der
ganzen Bewußtseinstheologie niemand anders als Descartes ist? Also
wandelt doch auch er noch in dessen Spuren und beweist dadurch,
daß der im Verhältnis zu seinen Bestrebungen „umgekehrte Weg" der
neueren Theologie seit Schleiermacher für ihn nicht nur, wie er
selbst zugibt, eine „Versuchung" (S. 91), sondern sogar eine Gefahr
geblieben ist, der völlig zu entgehen er eben doch nicht verstanden
hat. Zugleich aber ist die Betonung der Besinnung bei B. wie bei
Herrmann ein Zeichen für die im letzten Grunde kontemplative, auf
deutsch: grüblerische Einstellung ihres Denkens, so verschieden dann
auch die Wege sind, die beide in ihrer Theologie verfolgt haben.

! Besinnen nun zwar soll sich immer der Christ auf Grund der ihm
j dazu in der Predigt widerfahrenden Anregungen, und zum Predigen
gehört außer oratio und tentatio auch heute noch eine gewissenhafte
| meditatio. Aber wenn auch der Dogmatiker sich vorzugsweise auf
Besinnung verlegt, steht er mindestens schon mit dem einen Bein in
der Bewußtseinstheologie. Statt sich zu besinnen, soll er vielmehr
J denken, vergleichend, überlegend, kritisch, analysierend und kombinierend
, circa sacra und in sacris; aber dabei das nötige Wissen
präsent haben und, wenn er etwas nicht mehr weiß, weil er es ver-
j gessen hat, oder noch nicht weiß, weil er es bisher nicht gelernt
| hat, so soll er sich in seinen eignen oder in geliehenen Büchern um-
; sehen und auskennen und sich nur im äußersten Notfall auch be-
j sinnen, da das Gedächtnis sehr viel leichter täuscht, als die aktuelle
unmittelbare Wahrnehmung dessen, was man in zuverlässigen
Büchern liest.

Noch manches andere hätte ich zu B.'s Buch zu bemerken, teils
um allerlei Irrtümer und Fehlgriffe im einzelnen zu berichtigen, teils
auch um meine Argumente noch zu vermehren und zu verstärken.
| Dazu aber fehlt es an verfügbarem Raum. Immerhin glaube ich die
Hauptgründe vorgebracht zu haben, die B.s Dogmatik in sehr wichti-
| gen und grundsätzlichen Stücken als überaus fragwürdig in ihrem theo-
i logischen und kirchlichen Wert erscheinen lassen.

Bonn. O. Ritschi.

Behm, Prof. D. Johannes: Die tnandäische Religion und das
Christentum. Leipzig: A. Deichert 1927. (IV, 34 S.) 8°.

RM 1.50.

Das Problem „Mandäismus und Christentum", so-
J weit es ein Problem neutestamentlicher Wissenschaft
darstellt, ist dadurch entstanden, daß man neuerdings
| gemeint hat, den Urmandäismus in örtliche und zeitliche
I Nähe des palästinensischen Urchristentums rücken zu
i können. Dieser veränderten Anschauung und den daraus
; sich ergebenden Fragen verdankt die vorliegende Schrift
j ihre Entstehung. Behm faßt das sehr heiße Eisen herz-
' haft und geschickt an. Nach einem gedrängten Überblick
über die Mandäer, ihre Literatur und die neuesten
Versuche ihrer Bearbeitung und Verwertung kommt B.
auf das Zentralproblem des Mandäismus, die Befreiung
der Seele aus diesem Erdendasein und ihre sichere
Heimkehr in die himmlische Heimat. Der heidnisch-
! synkretistische Charakter wird festgestellt. Mit Wucht
wird in einem zweiten Abschnitt die Unabhängigkeit
j des Mandäismus vom Christentum trotz Kenntnis des-
| selben aufgezeigt. Auch aus christlicher Gnosis ist der-
l selbe nicht erwachsen (Abschnitt III). In Abschnitt IV
kommt B. auf den eigentlich brennenden Boden. Die
ursprünglichen Sitze der Mandäer müssen in Palästina
| gesucht werden, „etwa im Osten des (Jordan) Flusses
auf das Haurangebirge zu". Zu letzterem darf ich bemerken
, daß eine gnostische Sekte, die fast täglich Taufen
im Jordan vollzog, unmöglich ihren Wohnsitz so
weit vom Jordan entfernt haben konnte; nur die Jordansenke
selbst käme in Betracht. Der Genius Hauran
beweist übrigens für den Urwohnsitz nicht mehr und
I nicht weniger wie der gleichfalls vorkommende Kar-
I mel, den man aus literarischer Abhängigkeit erklärt.

Die folgende Darlegung will den Mandäismus als einen
j feindlichen Bruder des Judentums in Palästina noch
vor dem Jahre 70 dartun. Er ist ein häretisches Judentum
, die palästinensisch-jüdische Gnosis des neutesta-
[ mentlichen Zeitalters; ein Judenheidentum. Das in dra-
J matischer Steigerung daran geschlossene Problem ist
das Verhältnis der Anfänge des Christentums zu dieser
jüdisch-gnostischen Bewegung. Die Verknüpfung beider
Geistesbewegungen durch das vereinzelte „Nazoraios"
in Mt. 2, 23 lehnt Behm m. R. sowohl vom Mandäis-
! mus wie von den Evangelien her aus geschichtlichen
! Gründen ab. Desgleichen die direkte Verknüpfung Jo-
j hannes des Täufers mit der täuferischen Gnosis. Johannes
ist vielmehr von den Mandäern annektiert um
i seiner Taufe willen. „In das Gewand des mandäischen
j Offenbarers gehüllt, wurde er so zum Konkurrenten
; Jesu." Offenbare Züge der Gestalt Jesu sind von den
i Mandäern auf ihren Erlöser übertragen. Diese Erlöser-
I gestalt kann sich Behm deshalb nicht anders entstanden
denken als unter der lebendigen Nachwirkung der ge-
I schichtlichen Erscheinung Jesu sowohl als auch des