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Ausgabe:

1928 Nr. 9

Spalte:

211

Autor/Hrsg.:

Baumgarten, Paul Maria

Titel/Untertitel:

Römische und andere Erinnerungen 1928

Rezensent:

Schmidt, Kurt Dietrich

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211

Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 9.

212

Kirche von England und der Protestantismus (NKZ 1916). — 4. Zum j
Jubiläum der Oesellschaft Jesu (NKZ 1914). — 5. Die Laienbewegung
in der katholischen Kirche (AELKZ 1924). — 6. Thomas Müntzer
und das jüngste Deutschland (AELKZ 1923). — 7. Der Zusammen- |
bruch der modernen Apokalyptik (AELKZ 1923). — 8. Die Revolution
in der Wissenschaft und die Theologie (AELKZ 1926).

Das Verzeichnis selbst ist die Kritik. Diese Sammlung ist kein
richtiges Denkmal H. Boehmers. Denn a) Es steht einiges drin, das fehlen
sollte. Manche Aufsätze sind durch spätere Bücher überholt (Nr. 1 und
vor allem Nr. 4, den H. Boehmer selbst so nicht hätte wieder
drucken lassen); manche sind leicht geschürzte Zeitungsartikel (Nr. 7
und Nr. 8). Vor allem aber b) Es fehlt vieles, das drin stehn sollte.
Ich greife willkürlich ein paar Beispiele: Das Eigenkirchentum in
England (Festschrift F. Lietzmann 1921); Studien zu Thomas Müntzer
(Leipz. Univ. Programm 1922); Luther und der 10. XII. 1520 (Lutherjahrbuch
1921); A. Hauck, ein Charakterbild (Beitr. Sachs. Kir-
chen-gesch.). Auch die beiden separat zu habenden kleinen Schriften ;
Loyola und die deutsche Mystik 1921 und: Luthers erste Vorlesung
1924, müßten in einem posthumen Sammelbande mit erscheinen.

Nachdem so der Schein der Unbilligkeit, als ob dieser Band
hier ein Bild von Heinrich Böhmer geben könnte, abgewehrt ist, darf
ich der Freude Ausdruck geben, daß er auch einige mit Unrecht übersehene
wertvolle Aufsätze Böhmers bequem zugänglich macht und ihnen so
die verdiente Beachtung bringen wird.

Göttingen. E. Hirsch.

Baumgarten, Paul Maria: Römische und andere Erinnerungen.

Düsseldorf: Neue Brücke Verlag 1927. (421 S.) gr. 8°.

geh. RM 12—.

Dieser Band mit Lebenserinnerungen des bekannten Diplomatikers
und früheren päpstlichen Hausprälaten, zu dem weitere Ergänzungen
geplant sind, gehört in die Reihe der Selbstbiographien, die nur über
das eigene äußere Schicksal und die eigene Arbeit berichten. Von einem
Eingehen auf die innere Entwicklung ist völlig abgesehen. Trotzdem
nimmt das Buch auch persönlich in steigendem Maße den Leser
gefangen, der weiß, wie große Schwierigkeiten B. auf katholischer
Seite in den letzten Jahren erwachsen sind. Denn von Seite zu
Seite steigert sich das Staunen darüber, daß ein Mann, der mit solcher
Tatkraft sich der katholischen Sache angenommen hat, nur auf
Grund seiner ernsten wissenschaftlichen Arbeit schließlich dahin hat
kommen können, daß er von der Liste der päpstlichen Hausprälaten gestrichen
wurde. Daß im übrigen B.s Weg äußerlich nicht erfolgreicher
gewesen ist, führt er selbst auf die große Ehrlichkeit seiner Urteile
zurück, die er immer deutlich ausgesprochen habe. An Deutlichkeit
lassen diese in der Tat nichts zu wünschen übrig. Ob sie alle immer
gerecht sind?

Die Bedeutung der Erinnerungen für die wissenschaftliche Arbeit
liegt darin, daß B. in einem langen, fast ganz, in Rom zugebrachten
Leben mit unendlich vielen Männern von wissenschaftlicher
oder diplomatischer Bedeutung zusammen gekommen ist und darüber
plaudert. Zum Teil sind es sicher Episoden, die er berichtet, zum
Teil aber sicher auch Nachrichten, die Berücksichtigung verdienen,
z. B. über die Zusammenhänge Windhorst's mit der Kurie, über den
Besuch Kaiser Wilhelms II. bei Leo XIII., über die Einführung des
Thomismus an den römischen Hochschulen durch Leo XIII. Daneben
mögen manche Einzelheiten, die B. aus dem Leben und Arbeiten der
vielen Personen mitteilt, mit denen ihn sein Lebensweg zusammengebracht
hat, für ihre Biographie wertvoll sein. Ich nenne an Wissenschaftlern
Brom, den Direktor des Holländischen Historischen Jn-
stituts in Rom, Schottmüller, den 1. Direktor des Preußischen Historischen
Instituts in Rom, Finke, Denifle, Krose, de Rossi, de Waal,
Albert Maria Weiß, Wilpert, an Diplomaten Merry del Val, Rampolla.
Revertera, den österreichischen Botschafter und Schlözer, den Preußischen
Gesandten, schließlich vor allem Leo XIII. selbst. Ich gestehe
aber, daß mir die genügende Sachkenntnis fehlt, um darüber im einzelnen
ein begründetes Urteil abgeben zu können.

Göttingen. Kurt Dietricli S c h m i d t.

Heckel, Lic. Theodor: Exegese und Metaphysik bei Richard
Rothe. München: Chr. Kaiser 1928. (VIII, 208 S.) gr. 8°.

RM 7—; geb. 8.50.

Es ist die Aufgabe jeder neuen Generation, ein eignes
Urteil über die Geschlechter vor ihr sich zu erarbeiten
, das den ihr eigentümlichen Erkenntnissen gemäß
ist. Davon, daß dies nicht obenhin geschehe, sondern
in ernstem Ringen mit der Arbeit der Vergangenheit
, hangt es schließlich ab, ob die eigne Arbeit wirklich
Frucht trägt in eignen Erkenntnissen. Überall ist
heute offenbar, wie die Jüngeren von dem Wandel der
geistigen und der theologischen Lage aus das Bild der
Vergangenheit umzuprägen sich mühen. Aber auch das
ist offenbar, daß dabei mit der Freudigkeit des kritischen
Nein nicht überall sich das Verantwortungsgefühl verbindet
, das liebend eindringt, ehe es zu urteilen wagt.

Fi.'s Buch macht hier eine Ausnahme. Es ringt um ein
neues Urteil über Richard Rothe's theologische Arbeit
und zeigt dabei gegenüber dem gang und gebe Gewordenen
Eigenwilligkeit genug. Aber es ringt wirklich.
Der Verf. hat sich die Mühe nicht verdrießen lassen,
Rothe von grund auf zu studieren: hinter den mit Sorgfalt
und ganz individuell ausgewählten Zitaten seines
Buchs steht als Hintergrund eine Vertrautheit mit der
ganzen Lebensarbeit des Manns. Und der Verf. verzichtet
auf den billigen Triumph, Rothe an den vielen
Unmöglichkeiten seiner Theologie abzuurteilen. Er stellt
die Frage gleich von vornherein so: was ist an Rothe
das Ernste, das Lebendige trotz dieser Unmöglichkeiten
? Er glaubt nicht an die flache Auskunft, daß es
allein in seiner Persönlichkeit gelegen habe; ein Theolog
, an dessen theologischer Arbeit im Entscheidenden
nichts Ernstzunehmendes wäre, wäre ihm auch als Persönlichkeit
nicht sonderlich ehrwürdig. Er sucht vielmehr
nach dem Wahren in Rothes theologischer Arbeit.
Und er findet es, indem er zwischen ihren leitenden Absichten
und ihren Ergebnissen einen scharfen Unterschied
macht. Rothes Gesamtweltbild und Rothes Dog-
matik gibt er preis, ohne sich groß mit Einzelkritik aufzuhalten
. Aber er nimmt es gerade als eine fruchtbare
Erkenntnis der gegenwärtigen Theologie auf, daß
nicht das Ergebnis, sondern die Fragestellung und der
Weg zur Antwort über eine Theologie entscheiden. Hier
sucht er in Rothe einzudringen und den Punkt zu bestimmen
, an welchem die große Absicht, von der auch
wir zu lernen haben, und die die Durchführung verderbende
Abbiegung zusammenstoßen.

Man wird es mir nicht verargen, wenn ich mich dieser Art, die
Sache anzugreifen freue. Es ist mein bisher nicht übermäßig erfolgreicher
Kampf gewesen, die Frage um die idealistische Philosophie
aus dem Aburteilen über die Sätze dieser Philosophie herauszunehmen
und zu einem Urteil auf grund mitdenkenden Verstehens des idealistischen
Philosophierens selbst hinzuleiten. Das deckt sich etwa mit der
hier Rothe gegenüber angewandten Methode. Nur ist der Verf. leider
zu sehr der Meinung, daß man die Beobachtung des Aktes losgelöst
von der Beobachtung des konkreten Inhalts, der in ihm vollzogen
wird, mitteilen könne. Dadurch bekommt sein Buch etwas Abstraktes
. Wer Rothe nicht kennt, wird seine Mühe daran haben.
Um so mehr, als es in einem gedankenschweren mit den Worten
kargenden und da und dort noch mit dem sprachlichen Ausdruck
ringenden Deutsch geschrieben ist. Der Verf. hätte gut getan, einen
Teil der Sonderuntersuchungen, die er für sich niedergeschrieben haben
muß, ehe er dies Buch vollendete, mit in den Druck zu geben.

So richtet sich H.s Aufmerksamkeit also nicht auf
die bestimmten Aussagen des Systems, sondern auf
Rothes Verhältnis zu seinem Systeme. Er nimmt Rothes
Aussagen über das Verhältnis von Spekulation und Geschichte
, d. h. praktisch Spekulation und Offenbarung, so
ernst, wie sie es tatsächlich verdienen. Das System ist
Rothe nicht Zweck und Ziel, sondern Organon der theologischen
Arbeit. Nicht in seinem Systeme, sondern in
der Wechselbeziehung von System und Schriftwissenschaft
hat Rothe als Theolog seinen wirklichen Standort
. Das System ist aus Schriftforschung geboren und
zielt auf Schriftforschung hin. Darin, daß es der
Schlüssel zu einer Erkenntnis der Schrift als eines eigentümlichen
Lebensganzen werde, hat es sein eigentliches
Ziel. Rothe ist also da verstanden, wo man seine eigenartigen
Aussagen über Spekulation und über Schriftverständnis
von dieser Wechselbeziehung her analysiert und
kritisiert. Wenn diese Stellung der Aufgabe richtig ist,
muß sich aus ihr zugleich die Möglichkeit ergeben,
Rothes Standort innerhalb der Wissenschaft seiner Zeit
nach seiner Eigentümlichkeit zu begreifen.

Wer die Wirkung Rothes auf das unmittelbar vorritschlisehe Oe-
(chlecht noch kennt, wird diesen Einsatzpunkt bestätigt finden,
Rothe's Theologie ist ihm tatsächlich der Wegweiser zu einem aufmerksamen
Studium des neuen Testaments gewesen. Und zwar zu
einem Studium, welches auf das im Ganzen des neuen Testaments bezeugte
eigentümliche Leben, das Wunder der göttlichen Offenbarungstat
in Christus den Blick richtete und jenseits des Gegensatzes des
orthodoxistischen Mißbrauchs der Schrift als eines Beweismittels der
Kirchenlehre und der historistischen Zerstörung der Eigenart der Schrift