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Ausgabe:

1928 Nr. 9

Spalte:

201-206

Autor/Hrsg.:

Mingana, A.

Titel/Untertitel:

Barsalibi‘s Treatise against the Melchites. - Genuine and apocryphal Works of Ignatius of Antioch. - A Jeremiah Apocryphon. - A new Life of John the Baptist. - Some Uncanonical Psalms 1928

Rezensent:

Strothmann, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 9.

202

Sehr interessant für die nationaltürkische Auffas- |
sung sind hier die Rede Mustafa Kemal Pascha's bei j
der Beseitigung des Sultanates (Discours sur les qu<r
stions du Sultanat ei du Khalijat. Lausanne [ 1923]) und
die Rede des türkischen Justizministers Sejjid Bey
(Oriente Modernd IV [1924], 172 f.) bei der Abschaffung
des Kalifats. Mustafa Kemal spricht hier ]
nicht mehr von der bekannten Legende, daß der letzte
Abbaside in Kairo das Kalifat an Selim L, den Eroberer i
Egyptens, übertragen habe; sondern es heißt hier wörtlich
: „Jugeant [sc. Selim] que c'etait un deshonneur
pour l'Islam que le tröne du Khalifat soit occupe par
une personne sans autorite, il s'attribua le pouvoir
religieux, soutenu par la puissance de 1'Empire Otto- !
man." — Und nachdem Sejjid Bey dargelegt hat, daß im |
Koran das Kalifat in keiner Weise erwähnt werde und
daß das „wahre" Kalifat mit 'Ali beendet gewesen sei, !
weist er auf eine Äußerung des hanafitischen Juristen
'Adud al-Din hin (starb genau 100 Jahre nach der Ver- I

nichtung des Abbasidenkalifates durch die Mongolen;
schrieb also noch unter dem Eindruck dieses Ereig- ;
nisses): „Wenn sich kein Imäm [d.h. Kalife] findet, j
der die erforderlichen Eigenschaften besitzt, so besteht j
keine Pflicht, einen Imäm zu wählen"; es wird hier i
also eine Lehre herangezogen, die den Consensus nicht j
gefunden hat. [Tie Ernennung der Vorbeter, Prediger
und Pilgerfahrtsleiter, sagt Sejjid Bey ferner, sei |
eine Verwaltungstätigkeit des Kalifen gewesen und
stehe daher jetzt der türkischen Regierung zu. Das [
Kalifat sei also eine Frage der Politik und der [
Verwaltung; es sei eine politische Angelegenheit,
zu entscheiden, ob in der Jetztzeit ein Kalife nötig sei j
oder nicht. Die Lösung dieses Problems stehe aber der !
Großen Türkischen Nationalversammlung zu. — Nach j
zwei Jahren schon (1924) sahen die Türken die Unmög- I
lichkeit der von Mustafa Kemal proklamierten geist- |
liehen Kalifengewalt ein und — schafften das Kalifat j
konsequenterweise ganz ab.

Es sei mir noch eine Bemerkung gestattet über die
Entstehung der Vorstellung vom „Kalifen Gottes auf j
Erden". Wenn auch die Omajjaden beim Volke schon |
allgemein als Chaltfat Allah bezeichnet werden (vgl. |
Horovitz im Islam XV [ 1926], 80), so kommt dieser
Titel, soweit ich sehe, in offiziellen Dokumenten und
auch auf den Münzen nicht vor; *von Bedeutung
wird er erst nach der Vernichtung des Abbasiden-Kali-
fats durch die Mongolen mit dem Aufkommen der neuen
Kalifatsidee als eines Ehrenanspruchs des Sultanats, j
Und hier scheint mir die mongolische Tradition mitgewirkt
zu haben. Den Mongolen war eine Vorstellung
der von Gott verliehenen Herrschaft schon früh geläufig
. Auf Münzen des heidnischen Mongolenchans
Hulagu, des Eroberers von Bagdad, findet sich schon
der Koranvers MI, 25, der besagt, daß Gott die Herrschaft
gibt und nimmt, wem er will. Auch der zum j
Islam übergetretene Mongolenchan Ghazanchan (1295
bis 1304) betrachtete sich als Herrscher von Gottes
Gnaden; auf seinen Münzen heißt es vor seinem Namen
(in mongolischer Sprache): „durch die Kraft des Himmels
" (vgl. Barthold in Eftzykt. d. Islam II, 158). Auf
den Münzen seiner Nachfolger finden sich Legenden
wie: „Gott steht die Herrschaft zu, vorher und nach- |
her" (vgl. Lane-Poole, Catalogue of the oriental coins
o/ British Museum, VI, 8, 34, 44, 46, 48, 65, 74). Ich
möchte hiermit die bisher in der Kalifats-Literatur über- !
sehenen Münzlegenden der Mongolenchane zur Dis- j
kussion stellen.

Bonn. W. Hcffening.

Mingana, A.: Barsallbi's Treatise against the Melchites. —
Genuine and apocryphal Works of Ignatius of Antioch. —
A Jeremiah Apocryphon— A new Life of John the Baptist. —
Some Uncanonical Psalms. Each fasc. with Introduction by Rendel
Harris. Cambridge: W. Heffer & Sons 1027. (204 S.) 8'. = Wood-
brooke Studies 1, fasc. 1 u. 2. 15 s. 6 d. |

Mingana, A.: The Apology of Timothy the Patriarch before
the Caliph Mahdi. With Introduction by Rendel Harris. In Bulletin
of the John Rylands Library XII. 1028. (S. 137-208.) 8°. = Wood-
brooke Studies, fasc. 3.

Mingana hatte bereits Verdienste um die orientalische
Kirchen- und Dogmengeschichte. Während er
jetzt beschäftigt ist mit der Katalogisierung seiner
großen Handschriftensammlung in Syrisch, Arabisch und
Karschuni, d. h. in arabischer Sprache aber syrischer
Schrift, setzt er die Editionen fort, von denen schon
seine „Sources syriaques", Leipzig 190S, ein gutes Beispiel
boten. Die neuen Veröffentlichungen erscheinen
zunächst einzeln im Bulletin der John Rylands Bibliothek
zu Manchester und werden dann in eigenen Bänden zu
Studien der Woodbrooke-Stiftung von Birmingham vereinigt
. Beigegeben wird eine Übersetzung. Die Anmerkungen
sind auch für die weitere Orientalistik anregend
. Die Schrift des Bar Salibi und das Leben des
Täufers wurden erst durch die Handschriften von Mingana
bekannt. Den Karschuni-Text der letzteren und
der eisten Ignatiusschrift hat M. durch Satzdruck ediert;
von den übrigen, von denen noch das Jeremias-Apokryph
in Karschuni, die anderen in Syrisch geschrieben
sind, wurden die Manuskripte photographiert. Bei der
Timotheus-Apologie wenigstens halten wir das nicht
gerade für glücklich, da es sich dort nur um eine junge
Abschrift des einzigen älteren Ms. handelt und zudem
einige Seiten nicht deutlich herauskommen.

Die unter dem Namen des Ignatius gehenden
Schriften sind ein Mahnbrief an unwürdige und einen
abtrünnigen Priester und ein kurzer Kanon über das
Fasten am Mittwoch und Freitag der Karwoche. Die
Apokryphen gehören sämtlich der Gattung der lückenfüllenden
an, nicht der eschatologischen. Jeremias
holt die Juden unter Esra, Ezechiel und Daniel aus der
Gefangenschaft zurück, und zu dem feierlichen Einzug
mit Palmen wird sein getreuer Ebedmelech von jenem
wunderbaren Schlaf erweckt, durch den er vor den
70jährigen Exilsnöten bewahrt war. Die Schrift ist
christlichen Ursprungs und jünger als das Kindheits-
evangelium und die Letzten Worte Baruchs. Die Vita des
Täufers endet in eine Ätiologie für die Johanneskirche
in Alexandrien und ihre Täuferreliquien. Von den 5
Psalmen war der erste als 151ster bereits ziemlich
bekannt. Er ist entstanden aus dem Bedürfnis, wenn
schon die Überschriften im kanonischen Psalter geringere
Ereignisse im Leben Davids festhielten, dann
erst recht ein Lied auf den Sieg über Goliath zu haben.
Der dritte singt sich in die Dankesstimmung anläßlich
des Ediktes von Cyrus.

In die inneren Verhältnisse der orientalischen Christenheit
führt der Jakobite Dionysios bar Salibi
. Er ist 1171 gestorben als Metropolit von Dijar-
bekr (Amida) am oberen Tigris. Das Sendschreiben eines
bislang glaubensgenössischen, nun aber zu den Melchiten
übertretenden und im Proselyteneifer für das Aufgehen
in die Griechische Kirche werbenden Mönches veranlaßt
diese bittere Verdammung der dogmatischen und
besonders der liturgischen Häresien der Chalcedonen-
sier. In der Sache tiefer, in der Form vornehmer ist
das — oder genauer: die zwei

Religionsgespräch(e) des Katholikos
Timotheus I mit dem dritten Abbasidenchalifen. Das
rührt nicht etwa daher, daß der christliche Kirchenfürst
seinem weltlichen Herrn gegenüber nicht einen
Ton anschlagen kann wie drüben Bar Salibi. Vielmehr
stehen sich die beiden amtlichen Vertreter zweier Religionsgesellschaften
gegenüber, von denen jede sich mit
dem Dasein der anderen abgefunden hat. Wie einst im
Perserreich, als sich das Christentum durch seine Achtung
gebietenden Martyrien durchgesetzt hatte, die zoro-
astrischen Könige von Einzelstörungen abgesehen schon
im Gegensatz zu Byzanz das Nestorianertum förderten,
so erlebte diese führende Christengruppe, in allen inneren
Angelegenheiten eine autonome Minderheit, unter der