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Ausgabe:

1928

Spalte:

195-198

Autor/Hrsg.:

Reitzenstein, Richard

Titel/Untertitel:

Studien zum antiken Synkretismus aus Iran und Griechenland 1928

Rezensent:

Dibelius, Martin

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195

Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 9.

tigen ... bringe" (S. 35). Das Bild des Aristophanes (S.
46—53) — verkannt hat Aristophanes in Socrates den
Ernst (S. 51) —, das Bild Xenophons (S. 53—70), das
die geheime Absicht des großen Mäeuten verkennt, aber
indirekt die Darstellung der platonischen Apologie bestätigt
(S. 76), das Bild, das die übrigen platonischen
Dialoge von Socrates zeichnen (S. 76—165) beweisen
unserm Verf., daß hier das Entscheidende nicht gesehen
worden ist, — das die Apologie deutlich werden
läßt — das Bewußtsein der göttlichen Beauftragung,
„daß er sich seine Wirksamkeit von dem Gott aufgetragen
glaubt und sie im Vertrauen auf den Gott durchführt
, der sie ihm, wenn er sie doch von ihm verlangt,
auch ermöglichen wird — solange es ihm gutdünkt"
(S. 165). Und welches war die göttliche Mission des
Socrates? Es war eben die, „einerseits die Zeitgenossen,
sofern sie ein Wissen um die höchsten Dinge zu haben
glaubten, ihrer tatsächlichen Unwissenheit zu überführen
, andererseits sie dazu zu bestimmen, daß sie die
Sorge für ihre Seele wichtiger nähmen als jede andere
Sorge..." (S. 179). So erklärt sich die Infragestellung
alles festen Wissens, aller geglaubten Religion, aller
staatlichen Institutionen, die Opposition des Socrates
gegen die objektiven, objektiv gewordenen Mächte, die
er die Seelen beherrschen sah. Er war der Auflöser, der
darum nicht selbst Lehre verkünden, Systeme errichten
und Schule begründen, nicht auf etwas verpflichten konnte
— den sein Schicksal ereilen mußte. Das Große seines
Lebens, seiner Erscheinung ist, daß er ein Leben in der
Existenz, in der Bewegung vorgelebt hat, unbedingt, daß
er niemals einen Frieden geschlossen hat mit einem
irdisch Entgiltigen, das die ewige Bestimmung des
Menschen in Frage stellt.

Immer wieder, im Leben der Einzelnen, der Völker
und Kulturen müssen solche Mahner, solche Auflöser
und Beweger aufstehen. Daß Socrates uns als einer
dieser einmal wieder eindringlich dargestellt wurde, ist
wohl dankenswert.

Leipzig. Joachim Wae Ii.

Reitzenstein, Richard, u. Hans Heinrich Schaed er: Studien
zum antiken Synkretismus aus Iran und Griechenland.

Leipzig: B. G. Teubner 1926. (VII, 155 S. u. Taf.) gr. 8°. =
Studien d. Bibliothek Warburg, 7. RM 18 — ; geb. '20-.

Seit über einem Lustrum wird die hellenistische
Religionsgeschichte durch einen erheblichen Zufluß aus
den Gefilden der Iranistik bereichert; in den letzten
Jahren hat dieser Zufluß an Umfang und Bedeutung
noch zugenommen. Die Begründung der These vom
iranischen Einfluß geschah zuerst ideengeschichtlich, indem
die Verwandtschaft des Manichäismus und des Man-
däismus mit der Gnosis und zwar gerade mit angeblich
hellenistischen Bestandteilen der Gnosis durch Reitzenstein
nachgewiesen wurde. Der philologische Nachweis
der Textverwandtschaft konnte nicht ohne weiteres als
geglückt gelten, obwohl Reitzenstein, der Führer der
ganzen Forschungsrichtung, sich von Anfang an auch
darum gemüht hat. Aber die ideengeschichtliche Voraussetzung
der These, die Annahme, daß in späten Texten
eine altiranische Religion nicht orthodox-zarathustrischer
Art sichtbar werde, hatte noch mit Zweifeln zu kämpfen.
So muß jeder Beitrag zur philologischen Sicherung
(oder Abgrenzung) des iranischen Einflusses willkommen
geheißen werden, wenn er von kundiger Hand geliefert
wird. Unter diesem Gesichtspunkt begrüße ich
die vorliegende Arbeit, zu der sich Philologe und Orientalist
, Lehrer und Schüler, zusammengetan haben.

Es handelt sich nicht um einen weiten für die
wissenschaftliche Allgemeinheit bestimmten Ausblick,
sondern um eine Sammlung von bestimmten Einzelbeobachtungen
an den Texten, an die höchstens einmal
grundsätzliche Erwägungen angeknüpft werden. Aber
gerade dergleichen ist wichtig; denn die Warnung Reit-
zensteins im Vorwort besteht durchaus zu Recht: „aufzuhalten
sind die dahin gehenden Bestrebungen nicht

mehr; es handelt sich nur noch darum, ob die Untersuchung
mit den Fachmännern oder ohne sie geführt
j wird."

Die erste Abhandlung Reitzensteitis nimmt ihren Ausgang bei
Albrecht Goetzes viel zu wenig gewürdigtem Nachweis (Zeitschrift
für Indologie und Iranistik 1923), daß die Makrokosmos-Mikrokosmos-
Parallele der pseudohippokrateischen Schrift De hebdomadibus eine

I verlorene Schrift des Avesta, den Damdas d-Nask, benutzt, der uns,
auszugsweise im Bundahisn erhalten ist. In Anlehnung daran ver-

j sucht R. auch für den Poimandres iranische Einwirkung wahrscheinlich
zu machen. Er vergleicht die Urmenschvorstellungcn im Nask
und in dem hermetischen Text, behandelt den Verfasser des Poimandres
als Zeitgenossen oder Vorgänger Philos und gewinnt neuen Anlaß
, die Frage zu stellen, inwieweit Piaton von iranischem Gedankengut
beeinflußt gewesen sei. Von den Anhängen gehört zu diesem

| Kapitel eine neue Ausgäbe des Poimandres mitsamt dem bekannten
Berliner Papyrus, der das Schlußgebet enthält. Die neue Edition
von Scott hat R. in den Anmerkungen eben noch benutzen können. —
Eine zweite Abhandlung geht vom sogenannten Töpferorakel aus; ge-

j leitet von der sich dort findenden Bezeichnung der Feinde als
„Gürtelträger" entdeckt R. die entsprechende Parallele im Brahman-
Yast: eine persische Vorlage ist für griechischredende Ägypter um-

j gestaltet, und zwar wieder von einem Verfasser, der die jüdischen
heiligen Schriften kennt. Von den Zeichen des letzten Jahrhunderts
in dem iranischen Text wird der Faden zu den Zeichen in Mark. 13

I und weiter zu Hesiods Lehre von den Weltzeitaltern gesponnen. R.
bemüht sich, bei Hesiod zwei Anschauungsweisen zu scheiden, die

I orientalische mit ihrer Behauptung von 4 Zeitaltern und die griechische
, die nur den Gegensatz von herrlicher Vergangenheit und entarteter
Gegenwart kennt. — In ähnlichen Bahnen geht die dritte Abhandlung
, die in dem orphischen Fragment 168 Kern Zevc nQwroi
yeveTo, Ztvt tatatot «pyrxt'prau'nc xi'k. eine Elemcntenlistc nachweist
, wie sie sich ähnlich in zahlreichen orientalischen Texten, auch
in der Gnosis, findet. An der orphischen Dichtung kann man erkennen
, wie dergleichen umgestaltet wurde. — Von größerer Bedeutung
für einen theologischen Leserkreis ist die vierte Studie, die
sich mit der von R. schon einmal untersuchten Naassenerpredigt bei
Hippolyt befaßt. R. läßt im ursprünglichen Text jetzt einige der alt-
testamentlichcn Zitate stehen. Zur Erklärung der Predigt kann er
eine erst neuerdings ans Licht gezogene arabische Schrift aus dem
8. Jahrhundert verwenden, deren Beginn sich mit dem Anfang des
Poimandres aufs engste berührt und deren Fortsetzung eine Lehre
von der Parallelität des Makrokosmos und des Mikrokosmos bringt.
Über Goetzes schon genannte Arbeit und über die mittelalterliche
Mystik gelangt R. dann am Ende zu grundsätzlichen Betrachtungen.
Die Art und Ausdehnung des iranischen Einflusses auf den Westen
wird noch einmal festgestellt; es wird aber auch betont, wie der
eigenartige Lehensimpuls des griechischen Menschen sich beim Zusammentreffen
mit der iranischen Spekulation aufs deutlichste zeige.

Ein Nachwort zu R.s Arbeit bringt eine polemische
Auseinandersetzung mit Karl Holls „Urchristentum und
Religionsgeschichte", geschrieben, wie ausdrücklich betont
sei, vor des Bekämpften frühem Tode. Es handelt
sich dabei einmal um wirklich große Fragen wie um die
nach den Ursachen des christlichen Sieges über die
Antike und um die andere nach dem Verhältnis des Paulus
zu Judentum und Hellenismus; zum andern Teil
aber auch um Dinge kleineren Formates. Und es trägt
ganz gewiß nicht zur Freude des Lesers und zu seiner
Bereitwilligkeit, sich von R. führen zu lassen, bei, daß
R. in dieser vielleicht notwendigen Polemik wie auch
sonst in diesem Buch allerlei Nebengedanken, die für
die Jüngeren längst erledigt sind, nicht unterdrückt oder
wenigstens in den Hintergrund gedrängt hat. Es ist
wirklich kein Aufhebens mehr von der Frage zu machen,
ob ein synkretistischer Text „den Philologen" interessiere
oder nicht, und wohl auch nicht von der Frage,
ob die religionsgeschichtliche Heranziehung von Parallelen
die Originalität des Christentums oder des Griechentums
verletze. Auch die Alternative: „Judentum oder
Hellenismus" hat in der Form, wie sie bei Holl und
Reitzenstein eingeführt wird, kein Recht mehr, seit uns
klar geworden ist, wievieles im Judentum der Zeit bereits
hellenistisch, wievieles im Hellenismus aber auch
orientalisch war, und wieviele den Weg über das „gottfürchtende
Heidentum" zum Christentum gefunden haben
. Die eigentlich methodischen Fragen aber, die zwischen
Holl und R. stehen, können nicht im Vorbeigehen
inmitten von Textanalysen gelöst werden, sondern be-
I dürfen gesonderter Behandlung.