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Ausgabe:

1927 Nr. 8

Spalte:

171-172

Autor/Hrsg.:

bin Gorion, Micha Josef

Titel/Untertitel:

Sinai und Garizim. Forschungen zum Alten Testament auf Grund rabbinischer Quellen 1927

Rezensent:

Galling, Kurt

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171

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 8.

172

Sch.'s Ausführungen anregend und fruchtbar. — Jensen,
unter dessen Augen diese Arbeit entstanden ist, hat in
den Anmerkungen einige sehr wertvolle lexikalische
Beiträge geliefert.

Zeuthen in M. Bruno Meissner.

bin G o r i o n , Micha Josef: Sinai und Garizim. Forschungen z. A. T
auf Grund rabbin. Quellen. Aus d. Nachlaß hrsg. v. Rahel u.
Emanuel bin Gorion. Berlin: Morgenland-Verlag 1925 u. 1926.
(XVI, 549 S.) 4°. Rra. 85-; Hldr. 95-.

Die in Einzellieferungen erschienenen und jetzt
vollständig vorliegenden Studien „über den Ursprung
der israelitischen Religion"' haben den bekannten Sagensammler
bin G o r i o n zum Verfasser. Den Herausgebern
ist die Verdeutschung der gesamten Zitate, die
den wesentlichen Teil des Werkes ausmachen, zu
danken, die dadurch die Lektüre des an sich schwer
lesbaren Buches dem breiteren theologischen Fachforum
möglich gemacht haben. Die Anlage des Ganzen mutet
zunächst merkwürdig an und ist am ehesten dem rabbi-
nischen Schrifttum selbst, das es ja auch ausführlich
benutzt, zu vergleichen. Der überaus kurze Text wird
durch Belege und Anmerkungen bereichert, ja eigentlich
von diesen getragen, bin Gorion will über den
Ursprung der israelitischen Religion auf Grund rabbi-
nischer Quellen handeln, und er tut das in der Weise,
daß er die kritischen Stimmen der Rabbiner zu Worte
kommen läßt. Allein dadurch wird das Buch seinen
großen Wert behalten, daß es zu sehr vielen Stellen
des Hexateuch bisher in christlichen Kreisen unbekannte
text- und quellenkritische Bemerkungen der in lebendiger
alttestamentlicher Tradition stehenden Rabbinen
aufzeichnete. So scheinen mir, um nur einige Beispiele
zu nennen, die Beobachtungen über die P .-Schichten in
Genesis I und XVII, und die These über die Opferung
Isaaks der genauen Beachtung wert. Der Plan des
Buches orientiert sich an den Hexateuchgesetzen, die
nach Personen und Orten verschieden eine Reihe von
„Gesetzesstationen" darstellen. Die Titel der einzelnen
Abschnitte zeigen das deutlich: Adam, Noah, Abraham,
die Genesis-Thora, Vom Auszug aus Ägypten zum Sinaibund
, Jethro, Die zwei Sintibündnisse, die weiteren
Stationen. Der zweite Teil führt den Obertitel: Der
Garrizimbund, und S. 403 ff wird dann die These des
Verf. deutlich, wo von der Priorität des Garrizim-Bundes
und der Bedeutung Josuas gehandelt wird. „Nachdem
wir uns durch das Labyrinth der verschiedenen Meinungen
und Auslegungen, die wohl tastend das Problem
streiften und manche richtige Erkenntnis in sich bargen,
hindurchgearbeitet haben, wollen wir unsere These aufstellen
, die alle diese Schwierigkeiten zu lösen versucht
. Sie besteht in der gewonnenen Einsicht, daß
der Bund Josuas, der als Schlußakt in den mosaischen
Bündnissen angesehen wird, in Wahrheit den
Anfang bedeutet und zu allererst abgehalten
worden ist." (S. 405) Sinai und Garrizim,
ist eine Alternative; historisch ist nur eins: der Garrizim,
und nur einer: Josua1. Spätere Tradition hat den Sinai
und Mose dagegengestellt, sodaß die Tatsache zwar
verdunkelt ist, aber noch jetzt an den Rissen erkannt
werden kann. So ist die Gesetzesstation in 'Arbot Moab
als eine Vordatierung des Josua-Garrizimbundes zu verstehen
. Für die Priorität des Garrizim spricht der Vergleich
von Deutn 27 und Ex. 20. Hier positive und
negative Sätze durcheinander, von verschiedener Länge
und allgemein gehalten, dort eine einfache Reihung von
Fluchworten mit Einzelvorschriften. [ Beispielsweise ist
das generelle Tötungsverbot jünger als der Satz: Verflucht
sei, wer seinen Nächsten im Verborgenen
erschlägt]. In Ex. 20 zwei beschriebene Gesetzestafeln,
dort mündliche Verkündigung. Die scharfe Gegenüberstellung
gerade dieser beiden Texte ist wertvoll, und es

1) Das ist die Konsequenz der These, bin Gorion sagt vorsichtiger
: „in gewissem Sinn ist also der Schüler an die Stelle
des Meisters getreten" (S. 406).

1 kann hier nicht der Ort sein, diese evolutionistische

! Theorie im Einzelnen durchzuprüfen. Es geht vielmehr
um das Ganze. Und da ist zu sagen, daß der Historiker
seine stärksten Bedenken wird äußern müssen. Es ist

! bin Gorion schließlich zum Verhängnis geworden, daß
er von Texten und immer wieder von Texten ausging

! und nicht dazu gelangte, nun eine wirkliche Geschichte

j der Ursprünge der israelitischen Religion zu schreiben.

| Das aut-aut bei Mose (Sinai) und Josua (Garrizim)
kann nur als et-et gesetzt werden, ja ohne,1 die „Priorität
" der ägyptischen Knechtschaft und des Mose ist die
israelitische Religion unverständlich, was ganz unab-

! hängig von der Mosaizität des Dekalogs behauptet
werden muß. Andererseits wird der Historiker, ohne die
Bedeutung Josuas für die Eroberung zu leugnen, doch
die Frage stellen müssen, ob der Garrizim-Bund tatsächlich
so denkbar ist, wie er nach Deutn. 27 und

j Josua 24 erscheint. Es ist jedenfalls auch hier mit
der Möglichkeit einer Traditions vord atie ru ng zu
rechnen, wie sie bin Gorion für den Sinai-Bund ansetzt.
Greßmann hat in der O.L.Z. 1926 S. 246 f die
Garrizim-Texte als Vorläufer des Deuteronomiums etwa

I aus der Zeit Elias gedeutet, wofür in der Tat mancherlei
spricht.

.Wenn auch die Geschichtskonstruktion des Werkes
von bin Gorion in sich unwahrscheinlich ist, so ist doch —
| abgesehen von dem Wert der exegetischen Einzelbemer-
j kungen — auf ein anderes mit Nachdruck zu verweisen,
i Durch bin Gorion ist von neuem erkannt, daß uns die
Hexateuchüberlieferung in einer spezifisch judäisch-mosa-
ischen Form vorliegt, die ein einseitiges Bild gibt,
und daß diese Form sich gegen eine andere Tradition
! durchgesetzt hat. Da „der Ursprung der israelitischen Re-
I ligion" für den Historiker in vielfacher Hinsicht ein
[ Rätsel ist und bleiben wird, da das Quellenmaterial
| unzureichend, so ist es einem Buch wie dem von bin
i Gorion zu danken, daß er uns hier einen wichtigen
Weg, den der Traditionsf orschung, gewiesen hat.
Das Ringen der Traditionen dann nach ihren geistigen
! Hintergründen zu verfolgen, wird zu wertvollen Beob-
i achtungen der innerisraelitischen Religionsgeschichte
| führen. In diesem Sinne möchte ich in dem Werke
J bin Gorions eine wertvolle Bereicherung der alttesta-
1 mentlichen Literatur sehen.

Berlin. Kurt Galling.

! Schulz, Prof. Dr. Alfons: Das Buch der Richter und das Buch Ruth.

Übers, u. erkl. 1.—3. Tsd. Bonn: P. Hanstein 1926. (XII, 129 S.)
gr. 8°. = Die Heilige Schrift, II. Bd., Abt. 4 u. 5.

Rm. 4.20; geb. 5.80.
Wiewohl das Bonner Bibelwerk eigentlich für wei-
j tere Kreise bestimmt ist, beruht doch dieses Heft gleich
den früheren auf so gründlicher Arbeit und hat so selb-
! ständigen wissenschaftlichen Charakter, daß es auch
i die Beachtung der Fachkreise verdient. — Für das
j Richterbuch bestreitet Sch. die Zusammenarbeitung
verschiedener Quellen und glaubt mit der Ausscheidung
kleinerer und größerer Zusätze auszukommen. Er unterscheidet
den Rahmen — wenn er auch diesen Namen
nie gebraucht — und die darin eingelegten älteren Erzählungen
. Der Verfasser der Othnielgeschichte ist zugleich
der Verfasser des ganzen Ri-Buches, der bei
Ehud und Debora stärker eingriff als bei Gideon, Jefta,
! Simson. Entstanden ist es wegen 19,12 (Jerusalem
noch in der Hand der Jesuiter) und 1,21 („bis auf
diesen Tag" unerobert) unter David und Salomo. Die
Zahlen, mit denen der Verfasser rechnet, sind für die
i wirkliche Chronologie unbrauchbar. Die Bedeutung von
Ri liegt weniger auf weltgeschichtlichem als auf reti-
I giösem Gebiet. Wie sehr diese in der Einleitung ent-
j wickelten Anschauungen sich — bis auf den zeitlichen
Ansatz — mit der allgemeinen modernen Anschauung
berühren, brauche ich nicht auszuführen. — Weiter ab
steht seine Auffassung von Ruth (S. 112ff.):Von der
ursprünglichen Stellung hinter dem Richterbuch, die es