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Ausgabe:

1927 Nr. 7

Spalte:

162-163

Autor/Hrsg.:

Frick, Heinrich

Titel/Untertitel:

Das Reich Gottes 1927

Rezensent:

Althaus, Paul

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1G1

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 7.

162

von dem die zweite Bitte des Vaterunsers spricht" (383).
Daraus sieht man schon, daß nicht bloß gut und böse nur
der Ausdruck für die Beziehung zum Urtrieb sind (386),
sondern auch daß Gott selbst hier eine rein systematische
Bedeutung haben wird. Er ist entweder der Wille der
reinen Handlungen und der reinen Synthese oder aber
das „Material, das unseren rationalen Formungen zugrundeliegt
". Beide Arten von Geistesbegriff können
erlebt werden; und beide sind irgendwie auf das Ganze
der reinen Synthese bezogen. „Natürlich wäre es nicht
nötig, diese Begriffsbildung mit dem Namen Gott zu
belegen" (396); aber der Verf. sagt sich mit Recht,
daß er einen solchen Abschluß seiner Arbeit nicht zu
verschmähen braucht, wenn es auch „in der traditionellen
Auffassung.. des Nachdenkens bedarf, um Gott
zu erkennen" (397). — Daß auf diese Weise der „Primat
der Philosophie" sich wieder gewinnen läßt, wird man
nach diesen Eröffnungen nicht glauben können. Die
Zeit der Konstruktion ist für die Philosophie dahin; und
wenn sie nicht dahin wäre, würden wir uns lieber an
den deutschen Idealismus halten, als an das hier verkündete
Dogma.

Bremen. H. Knittermeyer.

Alt haus, Prof. D. Paul: Die Krisis der Ethik und das
Evangelium. Berlin : Furche-Verl. 1926. (40 S.) gr. 8°. Rm 1 -
Von einer „Krisis" der Ethik kann man in verschiedenem
Sinne reden. „Aller Ethik ist eine doppelte
Aufgabe gestellt: sie hat n a c h d e n sittlichen Nor-
men und nach dem sittlichen Willen zu fragen
. „Was sollen wir wollen?" und „Wie wird das
Sollen zum Wollen?" das sind ihre Probleme. In beiderlei
Beziehung ließe sich von einer „Krisis der Ethik"
sprechen." Heutzutage scheint vielen das zweite Problem
das interessantere; diesem vor allem wenden sich die
Geister zu: wie viel ist von dem Ausbau einer „Sozialethik
" die Rede. Der Verfasser aber will sich zunächst
nur mit dem ersten Problem befassen. Die „Krisis", von
der dieses speziell redet, ist „wurzelhafter, zudringlicher,
persönlicher als die andere und gerade, weil sie zu keiner
Zeit mehr drängt als zu einer anderen, unerhört drängend
, mit der Allgegenwart der Ewigkeit." Freilich um
dem Problem gerecht zu werden, muß man darüber
sich klar werden, was echte Sittlichkeit eigentlich sei:
nach Luther: ein guter Wille, der in Freiheit und Freude
mit Gottes Willen eins ist; oder, was dasselbe ist: ein
Leben des ganzen Menschen in Gottes Liebe, ein Leben
aus der Freude heraus, aus dem Danke, von heiliger
Unbewußtheit. Wer sich das vergegenwärtigt, dem leuchtet
eben damit auch ein, wieso es zu einer „Krisis" im
Menschen kommt, worin sie besteht, und daß sie nicht
durch die „sittlichen Kräfte des natürlichen Menschentums
", nicht durch die Kraft der guten Naturanlage, die
Kraft der Erziehung, die Kraft der Geschichte überwunden
werden kann, so wertvoll diese Kräfte an sich
sein mögen, sondern allein durch das Evangelium, die
Sündenvergebung. Das Geben Gottes begründet ein
neues Leben. „Wir treten in die sittliche Welt nicht
durch Geben, sondern durch Nehmen ein."

Das alles wird in dem Vortrag des Verfassers unter
ständiger Auseinandersetzung mit Kant und dem „sittlichen
Idealismus", unter fortwährender Fühlungnahme
mit Luther, ohne jede Spur von Phraseologie, in beberedter
, weil einfacher und sachlich schlichter und darum
umso beweiskräftigerer Dialektik dargelegt.
Schließlich weist der Autor noch darauf hin, daß die
Lösung des ersten Problems zugleich die des zweiten
vorbereitet: die gesuchten Normen der Sozialethik
sind implicite bereits gefunden.
Gieß«n. E. W. Mayer (Straßburg).

Schulz, Georg: Vom Sinn der Kirche. Gütersloh: C. Bertelsmann
1926. (3i s.) 8°. = Hefte d. Sydower Bruderschaft, 2.

Rm. 1.60.

In vier knappen Abschnitten stellt Schulz antithetisch
und thetisch den Kirchengedanken Luthers dar:

Die Kirche der Welt (=der moderne idealistische Kirchengedanke
: Gesamtgeist, Autorität, Form, Gemeinschaft),
die Weltkirche (=die katholische Kirche), die Welt der
Kirche ( das Wesen der Kirche), die Kirche in der Welt.
Es steht viel auf den 25 Textseiten, und es ist eigen,
kraftvoll und schön gesagt. Der Verfasser lebt in Luther
und lebt mit großem Ernste in unserer kritischen Stunde.
Wir wünschen seinem Worte, daß es weithin gehört
werde — gerade weil es nichts „Neues" sagt, sondern
die reformatorische Wahrheit, die einer in sich ruhenden
Kirchlichkeit immer wieder das Neue ist. Man wird
manchem Satze lange und gern nachdenken. „Die Kirche
ist eine Pforte, die vergessen wird, wenn sie durchschritten
ist. Aber sie ist immer wieder zu durchschreiten,
damit sie vergessen werden darf." „Die Trostlosigkeit
der Geisteslage der Gegenwart besteht.. darin, daß die
Kirche heute für das Zeitganze nicht die Botschaft
hat.... Es ist Simeonszeit für die Kirche. Sie muß
,warten auf den Trost Israels'. In der Demut ihrer Erwartung
liegt die Tat ihres Glaubens."

Nur zwei Fragen habe ich dem Ganzen gegenüber
vorzubringen, eine den Inhalt und eine die Form
betreffende. Im dritten Abschnitte S. 23 ff. stellt Schulz
im Anschlüsse an Luthers Tesseradekas die Kirche als
Gemeinschaft der Heiligen dar. Mir scheint, die Stellvertretung
als Lebensgesetz der Kirche, als solches
nicht nur Trost, sondern auch Beruf für den Einzelnen,
hätte noch ausdrücklicher und eingehender zu Worte
kommen sollen. Luthers Abendmahlssermon von 1519
und die Predigten von 1522 bieten darüber Herrliches.
Dort wird auch klar, daß die „Leiblebendigkeit" der Kirche
nicht nur in der Fürbitte ihr Wesen hat, sondern
in dem Opfer füreinander. Das kann man bei Sch. gewiß
implicite alles auch finden, z. B. S. 29, Z. 8 v. u.
ff., aber man muß gerade dieses heute ausdrücklicher
und eindringlicher sagen. Denn hier rührt man an eine
Antwort auf die Frage, warum die Kirche „heute für
das Zeitganze nicht die Botschaft hat" (29). Der Kirche
ist im großen das Außer-sich-sein stellvertretender
Liebe, die mit den Schwachen schwach wird, zu sehr verloren
gegangen. Das schweigende Wort des Armwerdens
(im umfassenden Sinne) fehlt, trotz der inneren Mission
— damit hängt die Nichtaktualität und Unkräftigkeit des
Wortes der Kirche ganz wesentlich zusammen. Hier
hätte ich also gerne etwas mehr ausgesprochen gewünscht
.

Was dann aber die Gestalt des Ganzen anlangt, so komme ich
über die Frage nicht hinweg, ob die Form nicht zu „schön" ist.
Die gewählte Prägung der schwer wiegenden Sätze, das geistreiche
Wortspiel, die glänzende Antithese schenken zuviel Genuß, als daß
Wucht und Ernst der Botschaft nicht für viele Hörer gelähmt
werden müßten. Sollte nicht das Wort von der Kirche in unserer
„bösen Zeit" selber seiner Gestalt nach ärmer, kunstloser, ja „formloser
" sein? Das gilt insbesondere von dem sehr anspruchsvollen
Drucke und der hochfestlichen Ausstattung des Heftes. Gerade
weil wir dieses Wort von der Kirche mit ganzer Freude bejahen
und weitergeben möchten, hätten wir seine Form schlichter gewünscht.
Erlangen. p. A 11 h a u s.

Fr ick, Prof. D. Dr. Heinrich: Das Reich Gottes. In amerikan.
u. in deutscher Theologie d. Gegenwart. Gießen: A. Töpelmann
1926. (22 S.) gr. 8°. = Vorträge d. theol. Konferenz zu Gießen,
43. Folge. Rm. j_

Fricks gedankenreicher und prägnanter Gießener
Vortrag stellt zunächst das „social gospel" amerikanischer
Theologie kurz dar, geht dann auf die deutsche
Theologie der Gegenwart ein, soweit sie, in der Rechtfertigungslehre
wurzelnd, „zugleich einer Ergänzung des
reformatorischen Erbes durch moderne Reich-Gottes-
Ideen" das Wort redet; in kritischer Auseinandersetzung
mit ihr und mit den Amerikanern gibt Frick schließlich
eine eigene Lehre vom Gottesreiche im Verhältnis zu
Geschichte und Ethik, wobei lutherischer Tiefblick und
amerikanischer Enthusiasmus ihre Synthese finden sollen.

Am wertvollsten scheinen mir die letzten Seiten zu
sein. Frick prägt hier vorzügliche Formeln für das