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Ausgabe:

1927 Nr. 5

Spalte:

117-118

Autor/Hrsg.:

Brunstäd, Friedrich

Titel/Untertitel:

Reformation und Idealismus 1927

Rezensent:

Heckel, Theodor

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Seite 1

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117

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 5.

118

Brunstäd, Prof. Dr. D. Friedrich : Reformation und Idealismus.

Vortr., geh. bei d. Tagung d. Luther-Gesellsch. in München am
18. Juli 1925. München: Chr. Kaiser 1925. (35 S.) gr. S».

Rm. 1.20.

Das Thema, das die Luthergesellschaft in das Programm
der Münchener Tagung 1924 aufgenommen
hatte, greift eines der wichtigsten Probleme im Geistesleben
der Gegenwart auf. Schon die Entscheidung und
die Art der Entscheidung, die dem deutschen Idealismus
allein gegenüber fällt, bestimmt einmal die geschichtliche
Würdigung, ist aber darüber hinaus maßgebend für
die erkenntnismäßige Haltung der Geisteswissenschaft im
ganzen. Noch viel eingreifender ist das Problem, das
in der thematischen Verbindung angesagt wird. Ein
Symptom für den Ernst der Frage bildet die Diskussion,
die positiv und negativ in der evangel. Theologie darüber
geführt wird. Daß die Theologie hier auf den Plan
tritt, ist nicht zu verwundern. Denn auch die leidenschaftliche
Ablehnung der „idealistischen" Theologie,
die Angst vor der „Svnthese" entbindet nicht von der Bewältigung
des Erkenntnisproblems, so gewiß Pistis und
Gnosis keine verkehrslosen Inseln sind. Die bloße
Trennung von Reformation und Idealismus zu vollziehen,
weil anders das Gespenst des Kulturprotestantismus
wieder beschworen werde, ist Kurzschluß. Diese Reaktion
hat Recht, soweit sie die Entartung des Idealismus
, den objektiven I. und seine metaphysischen Abwandlungen
trifft, aber sie hat Unrecht, wenn sie damit
den Idealismus überhaupt verwirft. Es ist vielmehr von
einem mißverstandenen I. an einen recht zu verstehenden
Berufung einzulegen. Hier setzt Br. ein. Am Erkenntnisproblem
und am kulturellen wird der positive Wert des
I. dargetan. In gedrängter Kürze erseneint hier, was in
der Rel.-Phil. und in „Deutschland und der Sozialismus
" ausführlich dargestellt ist. Die kopernikanische
Wendung, die Kant dem Erkenntnisproblem gibt, bedeutet
die Überwindung aller ontisch begründeten Metaphysik
, aller Misch- und Mißgebilde von Glauben und
Wissen, Wahrheit und Irrtum, Religion und Kultur.
Piatonismus und Aristotelismus kommen zu Fall. Wir
haben im Erkennen nicht eine absolute Realität zu erreichen
, sondern werden des Unbedingten inne in der
Apperzeption, d. h. im Glauben. Das Wissen ist also
nicht erstes Stockwerk, der Glaube zweites, nicht begründet
das Wissen den Glauben, sondern ist eine
Funktion des GL; auch wird der Glaube nicht aus der
seelischen Kontinuität abgeleitet, sondern umgekehrt begründet
der Glaube die Kontinuität, das Subjektive bekommt
sein Recht, wird aber weil es sich um „s y n t h e-
tische" Einheit handelt, weder vergottet noch nur negiert
noch subjektivistisch säkularisiert. Wer nur dualistisch
Gott und Mensch gegenüberstellt, wacht nicht
über, sondern verneint die Schöpferhoheit Gottes. An
der Ej-örterung des kulturellen Problems bringt Br.
gleichsam die Probe aufs Exempel. Wer hier besonders
den Abschnitt über Religionismus (Nr. 25) lesen will,
der kann sich der Einsicht nicht verschließen: die Religion
ist bei Br. nicht am Kulturbegriff, sondern der
Kulturbegriff ist an der Religion orientiert. Das Gewicht
des Vortrags ruht auf diesem l.Teil; der zweite, die Verbindungslinie
zwischen Reformation und L, schließt such
an die Forschungen: Holl, Luther; Hirsch, L.s Gottesanschauung
; Theod. Harnack, L.s Theologie und R. Seeberg
, D. G. IV an. Die Reformation ist Absage an den
Gott der Metaphysik. Gegen Substanz und Natur steht
Persönlichkeit und Wille. Der Idealismus führt im
Reich des Gedankens hinaus, was L. im Glauben und
Jeugnis des Geistes begonnen hat. Das Gleiciie gilt für
O'e Kultur. Keine Vereinerleiung von Religion und
Kultur, auch keine Absonderung, sondern Begründung
und Richtung des Dienstes an der Kultur in Erwartung
«es Reiches Gottes. Br. kommt zu dem Schluß: Idealismus
und Reformation gehören nach Geschichte und
Aufgabe zusammen. Der 2. Teil ist mehr thetisch gehalten
und wird erst von dem Theologen die theologische
Ausgestaltung und Sicherung erfahren. Die Problemstellung
ist von einer eigenen Vision des deutschen
Idealismus und der theologischen Aufgabe getragen.
Der Doppelansatz der Reformation Pistis und Gnosis
Religion und Kultur soll ausgerechnet werden und zwar
gerade von dem erneuerten Glaubensbegriff der Reformation
aus. Die theologische und philosophische Lösung
soll einen Thomismus in evang. Gewände ebenso unmöglich
machen wie eine gnostische Theosophie überwinden
, positiv aber die systematische Neubildung einer
reformatorischen Theologie schaffen — ein weiter Blick!
Erlangen. Theodor He ekel.

Kattenbusch, Prof. D. Ferdinand: Die deutsche evangelische
Theologie seit Schleiermacher. Ihre Leistungen u. ihre Schäden.
5., weiter neugestalt. Aufl. d. Schrift „Von Schleiermacher zu
Ritsehl". Gießen: A. Töpelmann 1926. (VII, 160 S.) gr. 8°.

Rm. 5—; geb. 6.50.

Das Verdienst, das sich Kattenbusch durch Neubearbeitung
und Weiterführung seines vor dem Kriege
in 3 Auflagen erschienenen Vortrages „Von Schleiermacher
zu Ritsehl" (1892, 18932, 19033) erworben hat,
ist in dieser Zeitschrift bei Besprechung der 4. Auflage
(1924) von Walther Köhler vom Standpunkt des Historikers
aus gebührend gewürdigt worden.

Daß die jetzt vorliegende bis in den Sommer 1926
fortgeführte fünfte Auflage vom Systematiker angezeigt
wird, ist insofern berechtigt, als Kattenbusch im
wesentlichen nur dem Gange der systematischen Theologie
gefolgt ist. Ohne jener Anerkennung im geringsten
widersprechen zu wollen, wird dann aber der Systematiker
die für ihn entscheidenden Gesichtspunkte geltend
machen müssen.

Da ist zunächst zu sagen, daß die übergreifende
Betrachtung und Beurteilung
Kattenbusch's selbst durchaus eine rein historische
ist. Sie fragt und urteilt — allgemein und in Sonderheit
bei Schleiermacher, um den sich letztlich alles dreht —
nach den „Wirkungen", die die Betreffenden bereits ausgeübt
haben, nach den Momenten, durch die sie schon
„wirksam geworden" sind (S. 28 u. o.). Das ist das
Interesse des Historikers. Dasjenige des Systematikers
geht vielmehr darauf, wie die betreffenden Leistungen
rein sachlich zu bewerten sind, ob und was von ihnen
zu lernen ist, wie groß oder gering, wie günstig oder ungünstig
immer die bisherige Wirkung gewesen sein mag.

Und diese Verschiedenartigkeit der Fragestellung
wird dann für Schleiermacher um so bedeutsamer, weil
seine verschiedenen Schriften verschieden gewirkt haben,
speziell 1) die „Reden", 2) die Glaubenslehre, 3) der
philosophische Nachlaß. Kattenbusch's Gesamtbeurteilung
Schleiermacher's ist aber primär fast ausschließlich an
den Schriften der ersten und dritten Gruppe orientiert,
und zwar ganz vorzugsweise gerade an den „Reden",
also an dem Erstlings- und Jugendwerk Schleiermacher's
aus seiner romantischen Epoche. Dabei wird außerdem
der absichtlich apologetische Sonderzweck dieser Reden
und ihre Einstellung auf den in ihrem Titel genannten
Leserkreis kaum berücksichtigt. Der kurze — in der
5. Aufl. eingeschobene — Hinweis auf diesen Sachverhalt
(S. 36) kommt, weil erst nachträglich, zu spät;
er wird weiterhin auch nicht ernstlich in Ansatz gebracht
. So gewinnt Kattenbusch für seine Beurteilung
der Gesamtleistung Schleiermacher's eine Unterlage, die
m. E. völlig unzureichend, ja durchaus schief und irreführend
ist. Es kommt hinzu, daß er den die Reden beherrschenden
Begriff „Universum" nicht einmal streng
in dem spezifischen Sinne dieser Schrift faßt.

Demgemäß gilt ihm Schleiermacher ganz allgemein
als Romantiker und Mystiker; er sei von bloß ästhetischen
Anschauungen und Interessen erfüllt gewesen
und daher im Ästhetizismus befangen geblieben: lauter
mindestens ganz einseitige und daher unberechtigte Urteile
. Bezüglich des „Mystikers" bringt die 5. Auflage
gelegentlich — vielleicht unter dem abschreckenden Eindruck
der doch auch Kattenbusch gar zu gewaltsamen
Ausnutzung dieses Urteils durch Brunner — eine gewisse