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Ausgabe:

1927 Nr. 5

Spalte:

105-106

Autor/Hrsg.:

Reinhardt, Karl

Titel/Untertitel:

Kosmos und Sympathie. Neue Untersuchungen über Poseidonios 1927

Rezensent:

Koch, Hugo

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Seite 1

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105

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 5.

106

er aber in seinem letzten Kapitel die Verwandtschaft
von Tatians Text mit dem Marcions bespricht, so stehen
wir damit mitten in der Debatte über das schwerste Problem
der neutestamentlkhen Textkritik, die Frage nach
der Herkunft des westlichen Textes und nach seiner Art
(Verwilderung oder Tendenz?) — und diese Frage ist
nicht allein mit dem Lütticher Text in der Hand zu
lösen. Die Beziehungen von L zu den altlateinischen
Evangelien sind freilich bemerkenswert genug. Sie werden
von P. in einem eigenen Kapitel registriert.

Wenn Joh. 1,14; 1,18; 3,16 uofoyevb von den Altlateinern
durch unicus (Vulg. unigenitus) und ebenso von L durch „eneg" wiedergegeben
wird, so konnte ein bestimmtes Verständnis des griechischen
Wortes beide Mal die Ursache sein; wenn aber die Beziehung auf
die Gefangennahme des Täufers zwischen Joh. 3,36 und Joh. 4,1
eingeschoben ist in e, der Minuskel 1222, einer Randlesart der Harclen-
sis und unserem Text L, so hat man doch den Eindruck, daß dieser
Einschuß zuerst in einer Harmonie stand. Sehr interessant ist auch die
Lesart „deine convent" bei L in Luc. 12, 32 für grex und noiuriov.
Das Holländische scheint auf conventus im Lateinischen und nvvuymyr
im Griechischen zu deuten. Läßt etwa der Wortlaut die Selbstbezeichnung
einer Gemeinde erkennen? Spricht hier Konventikelgeist? Oder
spielt der alte Gebrauch vonnvi'ttyi«yrj = i/.xlxoia eine Rolle?

Man sieht, wie zahlreich und wie mannigfaltig die
Fragen sind, die der Text und auch die neuen Beobachtungen
des Verf.s an diesem Text der Forschung stellen.
Das nächste, was getan werden müßte, wenn die Diskussion
über den Eklektizismus des ersten Stadiums

Geburt der aus der Sonne stammende Nus sich mit der
aus Mondsubstanz gebildeten Seele verbindet, bei der
zweiten Nus und Seele mit dem erdhaften Leib, so scheidet
sich beim ersten Tod Nus und Seele vom Leibe,
der dann in Erde zerfällt, beim zweiten der Nus von der
Seele, worauf diese in die Mondsubstanz, der Nus aber
in die Sonne zurückkehrt. ,Der heliozentrische Gedanke
dieser Eschatologie ist nicht zuletzt das Zeichen eines
alten, Geist gewordenen Sonnenkults, der, wenn er denn
ein Erbe ist, sich mit dem Syrertum des Bluts vererbt
hat' (S. 365).

München. Hugo Koch.

Premerstein, A. v.: Griechisch-heidnische Weise als Verkünder
christlicher Lehre in Handschriften und Kirchenmalereien
. Sonderabdruck aus: Festschrift der Nationalbibliothek
in Wien. Hrsg. zur Feier des 200jährigen Bestehens des Gebäudes.
Wien; Staatsdruckerei 1926. (S. 647—666.)

Der Aufsatz hat sich die Aufgabe gestellt, die byzantinischen
Sammlungen von apokryphen Orakeln und
Prophezeiungen, die zum Zwecke christlicher Werbetätigkeit
und Polemik erfunden worden sind, in ihrer
Überlieferung, ihren wechselseitigen Beziehungen und in
dem Niederschlag, den sie in der kirchlichen Kunst
fanden, darzustellen. Es handelt sich in der Hauptsache
um eine Materialsammlung und um den Versuch, das
Verhältnis der Texte zu einander zu bestimmen. Theohinauskommen
soll, wäre m. E. eme Untersuchung die j logische und religionsgeschichtliche Untersuchungen ha-

alle wichtigen Besonderheiten des Textes mit lat und syr
vergleicht, aber nicht im Sinn einer bestimmten These,
sondern unter unvoreingenommener Erwägung aller
ernsthaft für die Entstehung in Betracht kommenden
Möglichkeiten. Denn diese sind in P.'s vorliegenden Untersuchungen
keineswegs ausgeschöpft. Aber das mindert
nicht den Dank, den ihm die Wissenschaft für seine
Entdeckung wie für deren kluge und ideenreiche Verwertung
schuldet.

Heidelberg. Martin D i b e 1 i u s.

Reinhardt, Karl: Kosmos und Sympathie. Neue Untersuchungen
über Poseidonios. München: C. H. Beck 1926. (VIII,
420 S.) 8°. Rm. 18—; geb. 20—.

Diese Untersuchungen gehen zum Teil auf Anmerkungen
und Exkurse zurück, die R. seinem Buche
über Poseidonios (1921) beigeben wollte aber, der Not
der Zeit gehorchend, fallen lassen mußte. Das Opfer hat
mm den Lohn eingetragen, daß R. seine Ausführungen
in weiterer Fassung vorlegen und zugleich auf Einwände
antworten kann, die teils gegen die Methode, teils gegen
die Ergebnisse seines Buches erhoben wurden, wobei
die dort gegebene Darstellung von Poseidonios in einigen
wesentlichen Punkten eine Ergänzung erfährt. In den
Mittelpunkt rückt der Begriff der ovuicdireiu, des ovu7cdo%uvas
Schlüssel zum tiefsten Wesen alles Geschehens im Weltall
. Aus seinem Gebrauch bei Cicero, bei Strabo und bei
Philo ist zu erschließen, daß erstmals Poseidonios ihn
,aus der Beschränktheit astrologischer Gleichungen
einerseits, aus medizinischen, prognostischen und mira-
bilienartigen einzelnen Beobachtungen andererseits zu
einem physikalischen, das ganze Weltbild ganz und gar
durchdringenden, bestimmenden, erleuchtenden Begriff
erhoben hat'. Er hat ,darauf eine neue Theologie, eine
neue Lehre von der Mantik, eine neue Physik, eine neue
Erkenntnislehre und eine neue Theorie des Schicksals
aufgebaut' (S. 53 f.). Das sucht nun R. mit einer Fülle
von Gelehrsamkeit, Scharfsinn und Verknüpfungskraft
aus Stellen und Bruchstücken nachzuweisen, die er
mittelbar oder unmittelbar von Poseidonios herleitet,
^dann gewinnt er erstmals (S. 308 ff.) aus Sextus adv.
Pnys. I, 71—74, Plutarchs Schrift über das Gesicht im

Monde, Macrobius' Saturnalien 1, 23, dem 16. Traktat i gefunden. Doch hat Delatte a.a.O. S. 107ff. eine neue

ben dem Herrn Verfasser ferngelegen. Premerstein
unterscheidet folgende Hauptgruppen der Überlieferung.

A. Vorstufe: Tübinger Theosophie und Eiuipiovtu.

B. Die Orakel und Gotteslehren griechischer Philosophen
: Bentley'sche Sammlung. Johannes Malalas.
Vielleicht auch Text L. des Martyriums der hl. Katharina
u. a. C. Die Prophezeiung der sieben Weisen in
vier verschiedenen Rezensionen. Die „Prophezeiung der
sieben Weisen" ist, wie v. Premerstein S. 659 ff. ausführt
, für die Kirchenmalerei des Ostens bedeutsam geworden
. Die Untersuchungen von Bees und Goecu erfahren
durch den Herrn Verfasser wertvolle Ergänzungen
. Endlich wird noch eine (unedierte) Pariser
Spruchsammlung in ihren Beziehungen zum Walbuch
vom Athos behandelt. Auf die Abhängigkeitsverhältnisse
der einzelnen Sammlungen zu einander gehe
ich hier nicht ein. Der Verfasser vermutet, daß die Urform
der Sammlung am Ende des 5. Jahrhunderts entstanden
ist. Premerstein hat durch die Registrierung der
handschriftlichen Überlieferung für alle künftige Arbeit
an diesen apokryphen Literaturwerken die Grundlage geschaffen
. Vielleicht dürfen wir eine kritische Ausgabe
der Texte von ihm erwarten. Leider hat der Verfasser
den Aufsatz von A. Delatte in Le Musee Beige Bd. 27
(1923) S. 97 ff. übersehen (Le deelin de la legende des
sept sages et les propheties theosophiques). Auf Grund
des Aufsatzes von Delatte ist folgendes zur Ergänzung
von Premerstein's Artikel anzuführen. Zu den yo/jf/,«ot
■ml irtokoyuti 'Eü.pviov rpi'/.oaöcpwv stellt Delatte
a. a. O. S. 99 die Socpwv Ekkrjvwv ägyakov drögiuv
7cq0<pr]Ttica tlg tiv ado/.waiv, Nat. Bibliothek Athen
nr. 373 ff. 145 v—147 r. Da der Text aber kaum mehr
lesbar ist, wird die Zuweisung von Delatte, wie ich vermute
, unsicher bleiben. Zum Text der „Prophezeiung
der sieben Weisen" führt Delatte a. a. O. S. 100 noch
den Text Athen nr. 701 ff. 252v. an. Überschrift:
JirfOrjolg rtvog (ptXoaocpov /ceol tiöv beza 'E/lkr-
vwv zwv (pih)od<piov diu rrp> avatrcQOVOiav. Für das
Athanasios-Apokryphon, Premerstein a. a. O. S. 657
hat Pr. nur Bodl. gr. 251 herangezogen, Delatte hat noch
Athen nr. 431 kollationiert, aber keine wichtige Variante

9ys permes Trismegistos und der Rede Julians auf den l Ausgabe des Textes gegeben und damit die Ausgabe der

Kom? Helios eine auf Poseidonios zurückgehende, spä- i Mauriner (Patrol. Gr. 28 Sp. 1428 ff.) überholt. Delatte

ter eklektisch durchsetzte und neuplatonisch gefärbte j hat wohl Recht, wenn er vermutet, daß die Ps. Athana-

Lenre vom Ende des Menschen: wie bei der ersten | sianische Schrift nur ein Kapitel aus einem größeren