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Ausgabe:

1927 Nr. 5

Spalte:

103-105

Autor/Hrsg.:

Plooij, Daniël

Titel/Untertitel:

A Further Study of the Liège Diatessaron 1927

Rezensent:

Dibelius, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 5.

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geistigen Sonderdasein; er ergibt sich aus der Tatsache,
daß Israel als Volk Jahwes Eigentum, religiöses Volk
sein sollte. — Hoseas Weib ist nach Kittels Meinung
erst im Lauf der Ehe zur Dirne geworden und Kp. 3
sei nur Dublette zu Kp. 1; vielleicht gelingt es der
jüngst erschienenen Monographie von Allwohn, der
gegenteiligen Meinung, die sich auf den exegetischen
Bestand von Hos. 1, 2 stützt, zum endgiltigen Sieg zu
helfen. M. E. bedenkt man zu wenig, dal? Hosea an
Arnos anknüpft, und daß er dem Geriehtsspruch des
Arnos folgend nun die das Gericht begründende Schul d
des Volkes in symbolischer Predigt darstellen will. —
Bei der Schilderung Jesajas wird man 22, 1 —14 nicht
unterdrücken dürfen. Ob man dieses Wort als Jesajas
letzten Spruch ansieht oder nicht, auf alle Fälle erhebt
sich anläßlich dieses Wortes die Frage, ob für Jesaja die
augenblickliche Errettung aus der Sanheribnot das Letzte
war, was er über Jerusalem schaute und dachte. Mit
Recht vermeidet Kittel Behauptungen der Art, daß der
Zion für Jesaja sakrosankt gewesen wäre. — Dem Josia
schreibt auch Kittel eine doppelte Reform zu, sofern
nämlich schon 627/6 beim Regierungswechsel in Assur
die ersten Maßregeln getroffen worden seien. Bei Jer.
11, 1 — 14 unterstützt Kittel meine Vermutung, daß
Jojakim die Reform Josias wieder aufgehoben habe
(S. 371 u. ist der Druckfehler „Demut" stehen geblieben
). — Die Ausführungen über den Ebed als den
„großen Blutzeugen" S. 414—430 wird man mit besonderem
Interesse lesen. Der Ebed wird als geschichtlicher
Zeitgenosse Dtjesajas und als ein Mann geschildert
, der wie ein Messias Israel und alle Völker
aus dem Kerker der Knechtschaft führen soll und will,
und der wegen dieses Tuns von der babylonischen
Obrigkeit zum Märtyrertod verurteilt wurde. Indem Dtjes.
das Geschick seines großen Zeitgenossen überdenkt und
darstellt, wird er zum Theologen und erfaßt diese Tragödie
als stellvertretendes Sühneleiden. Diese These ist,
ähnlich wie die von Rudolph aufgestellte, sehr beachtenswert
; nur bleibt daneben für Dtjes. selbst wenig
Raum und Bedeutung mehr übrig; auch ist nicht genügend
berücksichtigt, daß der Ebed außerhalb Jes. 53
vorzugsweise als Licht der Heiden geschildert ist und
daß ihm aktive Missionsarbeit zugeschrieben wird. —
Endlich noch zwei allgemeine Fragen. Genügt es, die
Religion. Israels als „die Blüte und die Krone aller antiken
Religionen" zu bezeichnen? Tritt nicht vielmehr
gerade durch den Vergleich mit Ägypten, Babylonien
oder Griechenland heraus, daß durch Mose und die
Propheten eine grundsätzlich andersartige Religion geschaffen
worden ist? Und kann von prophetischer
„Mystik" gesprochen werden? Sie unterscheide sich,
sagt Kittel, von jeder anderen im Altertum darin, daß
diese „im Aufgeben des Selbst im Nichts endet, während
jene in stärkster Aktivität, die von der Gemeinschaft mit
Gott ausgeht, erst ihr wahres Wesen und mit ihm ihre
größten sittlichen Aufgaben und Leistungen findet". Ist
die prophetische Frömmigkeit nicht der Gegensatz zur
Mystik, und wäre es nicht besser, den Ausdruck
„Mystik" für die Frömmigkeit des Alten Testamentes zu
vermeiden ?

Das Buch wird seinen Zweck erreichen und im
gebildeten Leserkreis neues Verständnis für die Größe,
die Kraft und die Schönheit des Alten Testamentes
wecken. Tis wird ebenso die Fachwissenschaft in vielen
Punkten anregen und weiterführen.

Tübingen. P. Volz.

Ploolj, Dr. D.: A Further Study of the Liege Diatessaron-

Leyden: E.J. Brill 1925. (XI, 92 S.) gr. 8°.

In Jahrgang 1924 dieser Zeitschrift, Sp. 174 habe
ich die erste Studie des Verfassers über die mittelniederländische
in Lüttich befindliche Evangelienharmonie angezeigt
. Plooij hat bekanntlich nicht den Text entdeckt,
der schon publiziert war, wohl aber die von den übrigen
Zeugen abweichende Gestalt dieses Textes und nat

seine Bedeutung für das Tatianproblem zuerst gesehen.
Es darf als anerkannt gelten, daß dieser mittelniederlän-
dische Text L auf eine lateinische Form der Evangelienharmonie
zurückgeht, die vor dem Text des Victor von
Capua (Codex Fuldensis) anzusetzen, also nicht an
die Vulgata angeglichen ist. Eine starke Beziehung
von L zu den altlateinischen Evangelien ist damit gegeben
,; eis fragt sich nur, ob die Africana oder die Itala
im engeren Sinn in Betracht kommt.

Aller Eifer der Forschung hätte sich meines Erachtens
nun darauf zu richten, von L aus unter Zuhilfenahme
der anderen Zeugen für die mittelniederländische
Harmonie die altlateinische Form zu rekonstruieren, die
dann an der Tatian-Überlieferung durch Ephraem und
Aphrahat zu messen wäre. P. hat aber, in dem begreiflichen
Bestreben, zunächst mit seinem Text weiter zu
arbeiten und dessen Bedeutung darzutun, schon in seiner
ersten Studie allen Nachdruck darauf gelegt, von diesem
Text aus die These Zahns, das Diatessaron sei syrisch,
nicht griechisch, abgefaßt gewesen, aufs neue zu beweisen
. Zu diesem Zweck hatte er schon damals den
Nachweis versucht, daß der lateinische Vorfahr von
L direkt aus dem Syrischen übersetzt sei. Diesem Nachweis
ist auch ein erheblicher Teil der neuen Studie
gewidmet.

Ich habe bereits damals die drei von P. mitgeteilten Syriasmen
aufgezählt. Lietzmann hat indessen auf einen vierten aufmerksam gemacht
, Mt. 6,19 f. „En legt uwen Schat nit in d' erde"; der Singular
findet sich auch in Syr cur; anscheinend ist er durch Weglassung der
Pluralpunkte im Syrischen entstanden. Immerhin könnte der Skeptiker
darauf verweisen, daß der Singular in beiden Texten auch spontan
entstanden sein könnte durch Angleichung an das Folgende „daer
dyn schat es daxs dyn herte". P. selbst bringt nun im der neuen Studie
eine Menge von Syriasmen bei, zu deren Beurteilung ich mich nicht
durchweg zuständig fühle. Ich registriere darum einige Beispiele, die
mir wichtig zu sein scheinen. Häufig und auffallend ist zunächst in
L der Gebrauch von „begint, began, begonsten", wo die von der Vulgata
abhängige Überlieferung diesen „Semitismus" meidet. In der
Perikope vom Hände waschen ist in L „ghebode" gesetzt, wo ein
Äquivalent für traditio stehen müßte; das entspricht weder dem lateinischen
noch dem griechischen Text, wohl aber Syr sin und syr cur!
Mt. 10, 12 hat „vrede si in dit hus", wo Griechen und Lateiner
den Dativ haben; nur die Ferrargruppe der griechischen Handschriften
und die beiden alten Syrer bieten Analoges. Aber in diesen letzten
Fällen müßte man zunächst einmal wissen, wie im mittelalterlichen
Latein und im Mittelniederländischen die Ausdrucksmöglichkeiten
waren; erst dann wäre zu bestimmen, ob der Ausdruck in L wirklich
nur aus dem Syrischen zu erklären ist. Vollends ist es kein Beweis
für Herkunft aus dem Syrischen, wenn etwa die Satzkonstruktion Joh.
11,2 „dire Bruder was dese Lazarus die dar sik was" mit Syr sin
(Syr cur fehlt) übereinstimmt. Denn hier kann auch die sachlich befremdliche
und wohl literarkritisrii zu erklärende Satzkonstruktion im
griechischen Original der Anlaß für Syrer wie Lateiner gewesen sein,
aus eigenem Antrieb zu bessern. Dagegen wäre die Übereinstimmung
von „begerdc minen dach te sine" Joh. 8,56 mit Syr sin, pesch, Tat.
arab. wieder ein Beispiel anderer Art, das jedenfalls Aufmerksamkeit
verdient, während die Einsetzung des Possessivums in Luk. 2,47 „won-
derde von sire Wysheit ende van sinen antwerden" in L wie in
Syr sin wieder aus dem innersprachlichen Bedürfnis des Syrischen wie
des Holländischen stammen kann.

Man wird aus diesem kurzen Bericht wenigstens
dies erkennen, daß die von P. genannten „Syriasmen"
verschiedener Art sind und auch nicht sämtlich die
gleiche Erklärung verlangen. Es bliebe in Zwcifelsfäl-
len auch immer noch die Möglichkeit einer sekundären
Beeinflussung des schon fertigen lateinischen Diatessaron
von den Syrern her. Der Beweis für die Nichtexistenz
eines griechischen Diatessaron scheint mir immer noch
nicht erbracht zu sein, und ich bezweifle, daß er von
der niederländischen Harmonie aus überhaupt erbracht
werden kann. Ich bedaure überhaupt, daß die Debatte
über den jedenfalls bedeutsamen und der Erforschung
werten Lütticher Text sich auf die Frage „griechisches
oder syrisches Diatessaron?" zu konzentrieren scheint,
während die Frage nach der lateinischen Harmonie
selbst und ihrem Wortlaut von der Lütticher Harmonie
aus viel näher liegt. Zu dieser Frage steuert P. in seinem
zweiten Kapitel den Nachweis bei, daß sein Text der
wichtigste Zeuge der altlateinischen Harmonie sei. Wenn