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Ausgabe:

1927 Nr. 4

Spalte:

92-93

Autor/Hrsg.:

Heath, Carl

Titel/Untertitel:

Religion und öffentliches Leben 1927

Rezensent:

Thimme, Wilhelm

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91

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 4.

92

zu. Ich stimme auch der Kritik zu, die er an meiner
eigenen früheren, 15 Jahre zurückliegenden Studie „Geschichte
und Historie in der Religionswissenschaft" (Ergänzungsheft
der Zeitschr. f. Theol. u. Kirche 1911 zu
Ad. v. Harnacks 60. Geburtstag) übt. Allerdings würde
ich hinzufügen — und Traubs weitere Darlegung bestätigt
das Recht dieses Urteils — daß jene Schrift mit
ihrer doppelseitigen Frontstellung gegen Kähler einerseits
, Herrmann andererseits bereits genau den Ansatz
bietet, der der Sache entspricht; und auch die strenge
(übrigens von T. selbst mehrfach aufgenommene) Unterscheidung
zwischen den Begriffen „Geschichte" und
„Geschichtswissenschaft" war und ist berechtigt, wenn
schon ihr dort zu großes Gewicht beigelegt war.

Traubs eigene Position gründet sich nun auf den
Eindruck des im Glaubenszeugnis der Gemeinde wirksamen
Heilandsbildes auf ernste, wahrhaftige, gottsuchende
Menschen, ergänzt durch das negative Urteil,
daß „die Historie den Beweis der Ungeschichtlichkeit"
nicht führen kann. Im Anschluß an die trefflich durchgeführte
Begründung dieser Position urteilt er dann, Auferstehung
und Erhöhung Jesu Christi gehörten zum
Glaubens i n h a 11, aber nicht zum Glaubens g r u n d.
Denn der Glaube könne von der Auferstehung absehen,
wenn er sich auf seinen letzten Grund besinne. An
diesem Punkt vermag ich Traub nicht zu folgen. Das
im Auferstehungsglauben liegende Ewigkeitsmoment läßt
sich nicht ausschalten, wenn das Jesusbild wirklich
Christus- oder Heilandsbild sein soll. Das bestätigt
denn auch Traubs eigene Argumentation. Denn er fügt
die Einschränkung hinzu, der Glaube dürfe zwar von der
Auferstehung absehen, aber er dürfe sie nicht verneinen.
Dies Zugeständnis führt weiter, als Traub Wort haben
will. Und diesem Einwand muß ich einen weitergreifenden
hinzufügen. Auch Traub isoliert meines
Erachtens noch immer in unzulässiger Weise die
Heilandsperson und das Heilandsleben Jesu Christi
gegenüber dem Gesamtbestand der biblischen Religionsgeschichte
. Darauf beruhen einige ungerechte
Urteile über die „religionsgeschichtliche" Theologie
. Und so isoliert er dann auch den vorliegenden
Problemkreis gegenüber der Gesamtaufgabe der
theologischen Systematik. Infolgedessen kommt nicht
hinreichend zur Geltung, daß Christusglaube und
Christenglaube sich durchweg gegenseitig bedingen.

Was die der Schrift zu Grunde liegenden, von
Traub zwischendurch erörterten methodischen Prinzipien
betrifft, so tritt auch er für die Forderung produktiver
Einfühlung in das Schriftzeugnis ein und kommt von da
aus der Forderung des religionspsychologischen Zirkels
wenigstens ganz nahe, wie er denn auch — besonders
gegenüber dem an den Einzelvorstellungen haftenden
Biblizismus Kählers — auf die Beachtung der verschiedenen
Schichten der psychologischen Struktur des
religiösen Bewußtseins entscheidendes Gewicht legt.
So bahnt sich in erfreulichster Weise eine methodiscne
Arbeitsgemeinschaft theologischer Systematik an, deren
Fruchtbarkeit für die Sache sei. st in dem weitgehenden
Zusammentreffen und Ineinandergreifen der Resultate in
die Erscheinung tritt.
Göttingen. G. Wobbermin.

Farn eil, Lewis Richard: The Attributes of God. The Gifford
Lectures, delivered in the University of St. Andrews. Oxford:
Clarendon Press 1924/25. (X, 283 S.) gr. 8°. sh. 12/6—.

Zum zweiten Mal erscheint der Name Farnells in
der Reihe der berühmten Gifford-Publikationen. Seine
erste „Gifford-Vorlesung" über Griechische Heroen-
Kulte und Unsterblichkeitsvorstellungen (Greek Hero
Cults and Ideas of Immortality, 1920; aufruhend auf
seinem großen fünfbändigen Werk: The Cults of the
Greek States) gehört zu den bedeutendsten Veröffentlichungen
jener Stiftung.

Auch die neue Schrift ist eine feine und lehrreiche
Studie, die den Wert der allgemeinen Religionswissenschaft
auch für die spezielle christliche Glaubenslehre
aufs anschaulichste belegt. Der Titel des Buches ist
allerdings nicht im Sinne der christlich-dogmatischen
Lehre von den Eigenschaften Gottes gemeint, sondern
im Sinne eines Überblicks über die im Gesamtverlauf der
Religionsgeschichte anzutreffenden Gottheits-Prädikate.
Farnells Anliegen ist dabei darauf gerichtet, eine aufsteigende
Skala dieser Prädikate aufzuzeigen, indem er
von den niederen naturhaften Vorstellungen zu den
höheren und geistigeren fortschreitet.

In diesem Verfahren leitet ihn der Grundsatz, falls
noch eine Fortbildung des religiös-christlichen Lebens
über den bis heute erreichten Zustand hinaus möglich
sei, könne die vergleichende Religionswissenschaft wichtige
Führerdienste zu diesem Ziele hin leisten; falls
aber eine solche Fortbildung nicht möglich sei, könne
die Religionswissenschaft helfen, Rückschritte zu verhindern
. Dieser Grundsatz bedürfte freilich der genaueren
Bestimmung im Hinblick auf den christlichen
Offenbarungsgedanken. In der Unterordnung unter den
letzteren hat er aber seine gute Berechtigung.

Wie sich dieser Grundsatz bei F. bewährt, will ich
nur an dem übergreifenden und zusammenfassenden
Ergebnis seiner Untersuchungen
zeigen. In der gesamten Religionsgeschichte und zumal
in der Geschichte der höheren Religionen sind es
vorzugsweise drei Hauptkategorien von Attributen, die
der Gottheit zugesprochen werden: Macht, Weisheit,
Güte. Diese Zusammenstellung bezeichnet daher F. als
„quasi-trinitarische" Formel. Sehr mit Recht. Ja wir
dürfen noch einen Schritt weiter gehen. Denn jene
Zusammenstellung hat noch eine tiefere religionsgeschichtliche
und religionspsychologische Begründung.
Jene drei Gruppen von Attributen entsprechen den drei
religiösen Grundgefühlen: dem religiösen Abhängigkeitsgefühl
, Geborgenheitsgefühl und Sehnsuchtsgefühl.
Auch in ihnen ist also eine Vorahnung und Anbahnung
des trinitarischen Monotheismus zu sehen. Und eben
deshalb erweist sich auch von hier aus der trinitarische
Monotheismus der christlichen Offenbarung als Zuspitzung
und Vollendung alles religiösen Glaubens.

Göttingen. G. Wobbermin.

Heath, Carl. Religion und öffentliches Leben. Ins Deutsche
übers, v. Ernst Lorenz. Berlin: Quäkerverlag (84 S.) kl. 8°.

Rm. —40.

Anspruchslos in Sprache und Gedankenfühmng, von kindlichem
Glauben und feurigem Eifer zu praktischer Betätigung zeugend, ist
dies schlichte graue Heft ein echtes Quäkerbuch. Es versichert uns,
daß das Evangelium soziale Botschaft ist, Geist, der sich im Materiellen
verkörpern muß. Das liegt schon im Gott-Vater-Glauben Jesu
beschlossen, vollends bringt es seine Reichspredigt zum Ausdruck.
Denn Reich Gottes ist nichts anders als die gerechte menschliche
Gesellschaft, und Kirche die Gemeinschaft der Christen, die für das
Reich Gottes werben soll. Die römische Kirche hat mit Recht an der
Synthese von Geist und Materie (dem letzten Sinn der christlichen
Inkarnationslehre) festgehalten; freilich will sie nicht Mittel zum
Zweck sein, sondern herrschen statt zu dienen, und ist insofern
heidnisch. Dagegen haben die Reformationskirchen leider bloß eine
geistige Erlösung proklamiert, sich dem religiösen Individualismus ergeben
, auf Politik und soziale Ethik keinen Einfluß genommen, und
deswegen sagt sich das Proletariat von ihnen grollend los. Nach dem
tragischen Erliegen der Wiedertäufer haben vor allem die amerikanischen
Quäker in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts den VoII-
gehalt des Evangeliums wieder zur Geltung zu bringen gesucht, sich
freilich bald entmutigt vom öffentlichen Leben zurückgezogen und
dem Quietismus zugewandt. Aber die Gegenwart ist Zeitenwende.
„Unser Tag ist ohne Zweifel das Ende einer Periode und der Beginn
einer neuen wundervollen Morgenröte", S. 72. Daß es bei der
Verwicklung der Verhältnisse nicht ohne Kompromisse abgeht, wenn
Christi Geist die Welt umzugestalten unternimmt, bleibt dem Verf.
nicht verborgen (Kap. IX), aber er gründet seine Zuversicht darauf,
daß Wirklichkeit allein die Beziehungen genannt werden können, die
auf dem Gefühl der dauernden Zuneigung gegründet sind, und daß der
göttlichen Leidenschaft der Liebe nichts fehlschlagen kann, S. 67 f.
— wenn es ihr nicht an der rechten Opferbereitschaft fehlt. Die
Christenheit „muß einsehen, daß der Geist des lebendigen Gottes,
Christus, die inkarnierte Liebe, die ganze lange Menschengeschichte
hindurch leidet und stirbt und gekreuzigt wird und wieder auf-