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Ausgabe:

1927 Nr. 4

Spalte:

84-85

Autor/Hrsg.:

Scheel, Otto

Titel/Untertitel:

Zeitschrift für Kirchengeschichte. XLIV. Bd., N. F. 7 1927

Rezensent:

Schmidt, Kurt Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 4.

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späteren „verweltlichten" übertreffen. Welcher Gehalt
und welcher Geist das ist, ist doch die Hauptsache
, und die Frage nach der inneren Beziehung gerade
dieses Gehalts und dieses Geistes zum literarischen
Ausdruck und seinen verschiedenen Möglichkeiten (den
„Gattungen") scheint mir das letzte Anliegen einer
nicht nur beim Formalen bleibenden Formgeschichte zu
sein. Ich kann hier natürlich nur kurz andeuten: die
lirchristliche Literatur beruht weder auf einem „Reden
über" (wie z. B. die philosophische und wissenschaftliche
Literatur), noch auf einem „Sichaussprechen" (wie
z. B. eine gewisse Lyrik der Gnosis), sondern sie ist
durch den Charakter der Anrede bestimmt.

Marburg. R. Bultmann.

Btigge, Chr. A.. Das Problem der ältesten Kirchen Verfassung.

Kristiania: J. Dybwad 1924. (77 S.) 4°. = Videnskapsselskapets
Skrifter. II. Hist.-filos. Klasse. 1924. Nr. 7. Rm. 4—.

Die Anzeige dieses Heftes ist eine durchaus unfreundliche Angelegenheit
, weil seine methodischen und sachlichen Ungeheuerlichkeiten
den Rezensenten zwingen, in allen Punkten auf das schärfste
zu widersprechen. Der Verf. vertritt die nicht neue Theorie, daß
Jesus Essener gewesen sei, und die neue, daß er seine Jünger nach
dem Vorb.ld des Mutterordens als Mysterienverein mit den verschiedensten
Mystengraden und -initiationen organisierte. Bei der Rekonstruktion
derselben verwickelt sich B. in Widersprüche, die schon für
sich allein zur Widerlegung genügen. So kann ich nicht verstehen,
warum aus dem tiftog, der S. 66 als einer der Grade aus dem
Jüngerkreise erscheint, S. 68 ein ätd'uaxaXog wird, warum der
anuoxoXug an der gleichen Stelle eben noch als vorletzte Stufe

genannt wird, um schon im nächsten Satz spurlos zugunsten des
öixcuog zu verschwinden? Warum wird aus dem Gradsystem der
Evangelien in den Briefen etwas völlig anderes? Statt der vier
Orade sind es hier (S. 21) plötzlich sieben, von denen nur zwei
sich mit der Liste S. 68 decken! Von diesen Unterschieden nimmt
B. mit keinem Worte Notiz, noch viel weniger gibt er eine Erklärung
. Ja, man vermißt eine klare Vorstellung vom Wesen der
Mysterien selbst, denn von den sieben eben genannten Graden sollen
fünf die xtXtioxxjg besitzen. Das ist ein innerer Widerspruch, der
auch darin weiterwirkt, daß diese Grade gar nicht als Stufen der
öotteserkenntnis des Mysten gelten, sondern sich auf die verschiedenen
geistgewirkten Gaben zur Erbauung der Gemeinde beziehen. Dann
aber sind der StäaoxaXo;, noifxitf, Bvayytklattjs, nQoq>r^tr]g und
ttnüxnuXog unabhängig voneinander und kein mystischer cursus
bonorum. Auch über die Initiation der Mysten hat B. keine feste
Vorstellung. S. 34 ist sie nur eine Anerkennung der von Gott verliehenen
Geistbegabung durch die Gemeinde, S. 37 spielt der Verf.
wieder mit der gewöhnlichen Auffassung, wonach sie den Geist an den
Mysten vermittelt. Wenn B. in dieser Weise eine festgeprägte Terminologie
umbiegen muß, zeigt er selbst damit am besten, daß sie hier
gewaltsam einem fremdartigen Stoff aufgenötigt ist: das Urchristentum
ist eine enthusiastische, bald hier, bald dort geistige Kräfte her-
vortreibendc Bewegung, nicht aber ein Verein, in dem das religiöse
Leben zu einer pedantisch gegliederten Stufenleiter in die höhere
Welt erstarrt ist. — So erleidet der Leser schon bei dem Versuch,
die vorgelegten Ergebnisse ernsthaft zu durchdenken, überall einen
völligen Schiffbruch, der nicht weiter verwunderlich ist, wenn man
sich B.'s Methode im einzelnen näher ansieht. Ein schlimmes Beispiel
liefert die Exegese von Mt. 10,11, wo B. (S. 66) in dem
harmlosen Siiog einen Essener höheren Grades entdeckt, der mit dem
essenischen *ndeu«!e Jos. bell. II 8,4 identisch sein soll, sodaß
das Ganze eine Anweisung an die Jünger enthielte, sich auf ihrer
Reise an die essenischen Fremdenpfleger zu wenden. Warum liest B.,
um von allen andern Einwänden abzusehen, nicht zwei Zeilen weiter
und versucht, seine neue Bedeutung von ü£iog auch in v. 13 durchzuführen
? In nicht minder eigenartiger Weise befreit er sich S. 22ff.
atis der Verlegenheit, für die sieben christlichen Mystengrade auch
sieben Initiationen zu finden. Die niedrigste Weihe, die keineswegs
zum xeXeiog, sondern nur zum ersten Grad der Vorstufe,
dem vr^ning, befördert, ist die Taufe: eine Einschätzung, die B.
in Gegensatz zum NT. nicht minder als zu sich selbst bringt, da nach
ihm die Initiation Jesu zum Messias seine Taufe durch Johannes
war (S.66). Erst für die unterste ztXtiog- Weihe, den iiiäaxaXos,
vermag B. einen weiteren Beleg zu nennen. Er liegt zwar nicht ganz
nahe, und man muß schon ein gutes Stück in den Jahrhunderten
herabgehen, um auf ihn zu stoßen, jedoch B. ist es völlig ernst,
wenn er auf die Benediktinerprofess aufmerksam macht. Ihre symbolische
Darstellung des Sterbens und Auferstehens scheint ihm uraltes
Mysteriengut bewahrt zu haben, und das genügt, um sie als
rfida nxnXog - Initiation anzusprechen. Nach dieser Leistung begnügt
sich B. damit, nur noch die Prophetenweihe auszumalen, wofür ihm
die Entrückung des Paulus II. Kor. 12,2 ff. und die Verklärung Jesu

Mc. 9,2 ff. als Initiationserinnerungen der Hauptapostel reiches Material
liefern.

Ich gehe auf die Darstellung der Entwicklung der Verfassung
nicht weiter ein, da sie für die Tneorie B.'s und auch sonst nichts
neues bringt, und bemerke nur noch, daß die ungenügende Heranziehung
der neueren Literatur sich hier besonders fühlbar macht.
Berlin. W. Eltester.

Zeitschrift für Kirchengeschichte. Begründet von Theodor
Brieger f- 1" Verbindung mit der Gesellsch. f. Kirchengesch,
hrsg. von Otto Scheel u. Leopold Zscharnack. XL1V. Bd.,
N.F. VII. Gotha: L. Klotz 1925. (IV, 640 S.) 8°. Rm. 20—,

Der neue Jahrgang der Z. K.G. konnte zum ersten Mal wieder
seit langer Zeit in 4 Vierteljahrsheften ausgegeben werden. Zugleich
ist der Umfang der Zeitschrift von 30 auf 40 Bogen erweitert
worden. Diese Erweiterung macht sich vor allem dadurch sehr vorteilhaft
bemerkbar, daß auch Abhandlungen von etwas größerer Länge
aufgenommen werden konnten.

Zur alten K.G. liefert Hugo Koch unter dem Titel „Bischofsstuhl
und Priesterstühle" einen Beitrag zur Auslegung des can. 58 von
Elvira. Er weist nach, daß das „prima cathedra" keineswegs von
j Rom verstanden werden muß, sondern den Bischofsstuhl bezeichnen
i kann und hier tatsächlich bezeichnet. Ferdinand L a u n untersucht
| mit überraschend positivem Ergebnis die Basiliusregeln. Sic erweisen
sich auf Grund der Rufinübersetzung beide in ihrem Hauptbestandteil
als echt. Beide sind gleichzeitig nebeneinander im Laufe eines
ganzen Lebens entstanden. Victor Schultze schildert eingehend die
Prägungen von Münzen mit christlichen Zeichen z. Zt. der Konstantiner
, denen bedeutender kirchcngeschichtlicher Quellenwert zukommt.
| Außerdem steuerten kleinere Beiträge zur K.G. I bei: Paul ülaue
(Amen nach seiner Bedeutung und Verwendung in der alten Kirche),
Hans von Soden (Neue Forschungen zu Paul von Samosata. Ein
Bericht), Walter Bornstein (zu Tatians Xöyog nQug "KXXrivag),
Hugo Koch (Die TEaaaQaxoaxr] in can. V von Nicaea 325).

Aus der Reihe der größeren Aufsätze, die das Mittelalter behandeln
, nenne ich zuerst Gerhard Ehrcnforth „Hinkmar von
Rheims und Ludwig III. von Westfranken". E. sucht den kirchen-
rechtiiehen Ertrag des Streites herauszuarbeiten, in dem Hinkmar,
der Gegner Nikolaus L, dazu geführt wird, die pseudoisidorischen
Prinzipien in Gallien durchzusetzen. Franz Flaskamp äußert sich
„Zur Pirminforschung". Pirmin war nicht ein Spanier, sondern ein
Ire, Gegner des Bonifatius. Fritz Bunger druckt Studenten-
verzeichnissc der Dominikanerprovinz Saxonia (ca. 1377) ab. Philipp
Meyer bespricht einen Tafelkatechismus des 15. Jahrhunderts, der
mit den 10 Geboten statt mit dem Glauben beginnt. J. Pusino
bietet bemerkenswerte Ausführungen über die Philosophie der Renaissance
durch eine Analyse der Schriften Ficinos und Picos von
Mirandola. Kleinere Beiträge zum M.A.: Hugo Koch (Zur Abfassungszeit
der Expositio brevis antiquac liturgiae Gallicanae),
Franz Flaskamp (Zum Leben Sturms von Fulda. Ein Desiderat),
Julius Boehmer (Der Perwer von Salzwedel).

In das Gebiet der Reformationsgeschichtc fallen: Ernst Kohl-
meyer „Noch ein Wort zu Luthers Schrift An den christlichen
Adel". Unter teilweiser Änderung seiner eigenen früheren These
kritisiert K. die von W. Köhler vorgetragene Meinung und zieht die
Folgerungen, die sich aus'seiner Auffassung für Luthers Anschauung
der Obrigkeit ergeben. Bernhard Dörries „Calvin und Lefevre".
D. weist gegen Scheibe nach, daß Calvin keineswegs seine Eigenart
von Lefevre übernommen hat, daß Lefevre vielmehr nur
in ganz beschränktem Sinne ein Vorläufer der Reformation genannt
werden kann. Johannes Müller schildert lebendig die überaus wendungsreiche
Politik Kaiser Karls V. am Trienter Konzil im Jahre
1545. Wichtige Ergebnisse bieten drei Exkurse, I: Das sog. „Tadelsbrave
" Pauls III. v. J. 1544; II: Die geheimen Abmachungen zum
Friedensvertrag von Crepy, Sept. 1544; III: Der Anteil der einzelnen
Legaten an der Legatenkorrespondenz des Jahres 1545. Kleinere Beiträge
: Wilhelm Jannascli (Ein kostbarer Reformationssammelband in der
Lübecker Stadtbibliothek), Paul Kalkoff (Kleine Nachträge zu „Luthers
römischem Prozeß"), Hans Becker (Ungedrucktes von Bugenhagen,
Melanchthon, Cruziger), Otto CTcmen (Briefe aus Magdeburg 1527 bis
1530), Ders. (Aus einem Kolleg Melanchthons von 1546).

Endlich behandelt die neuere Zeit Helmut L o t h e r in einem
Aufsatz „Zur Geschichte des Pietismus in Schweden und Dänemark".
L. schildert die mannigfachen Anregungen, die den Pietismus auch
nach Schweden getragen haben, und die erfolgreichen Bemühungen
ihn zu unterdrücken. In Dänemark sind nur leichte Spuren nachzuweisen
. — Außerdem bringt Eduard von der Goltz unter dem
Titel „Aus der Werdezeit von Hermann von der Goltz. Studentenbriefe
aus Erlangen—-Berlin-Tübingen -Bonn, 1853—1857" schöne
Briefe zum Abdruck, die einen tiefen Einblick in das Heranwachsen
und Reifen seines Vaters vermitteln. Kleinere Beiträge: Karl Bornhausen
(Ein Textproblem bei Pascal), Hermann Dechent (Ein merkwürdiger
Vereinigungsversuch zwischen Protestanten und Katholiken im
17. Jahrh. [Mascnius]), Eberhard Freiherr von Danckelmann (Einige