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Ausgabe:

1927

Spalte:

67

Autor/Hrsg.:

Fröhlich, Karl

Titel/Untertitel:

Studien zur Frage nach der Realität des Göttlichen in der neuesten deutschen Religionsphilosophie 1927

Rezensent:

Winkler, Robert

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Fröhlich, Dr. phil. Karl: Studien zur Frage nach der Realität
des Göttlichen in der neuesten deutschen Religionsphilosophie
. Würzburg: C. J. Becker 1925. (297 S.) gr. 8°.=
Abhdlgn. z. Philos. u. Psychol. d. Religion, Heft 6/7. Rm. 5.50.

Der Titel bezeichnet das Thema nicht vollständig.
Außer der neuesten Religionsphilosophie, vertreten in
Cohen, Natorp, Vaihinger, Simmel, Windelband, Rickert,
Scholz, Scheler wird auch Kant behandelt. Mit Recht,
da sich in ihm bereits die neueste Problematik der Religionsphilosophie
ankündigt. Und mit der Frage nach
der Realität des Göttlichen werden die Probleme: das
Göttliche als Idee, als Wert und als Persönlichkeit verbunden
. Das sind nämlich die Hauptlinien, die der
Verf. aus den Religionsphilosophieen der oben Genannten
herausarbeitet: 1. die Ideenlinie von Kant bis
Simmel, die dann von Windelband unter Auslassung von
Scholz — wird Scholz mit Recht weggelassen? — bis
Scheler als Wertlinie weitergeht; 2. die Realitätslinie,
die, schon bei Kant sichtbar, erst wieder bei Windelban.d
einsetzt und bis Scheler führt; 3. die Persönlichkeitslinie
bei Kant, Simmel, Rickert, Scheler. Durchgehends wird
gezeigt, wie in der Spannung dieser Linien das religionsphilosophische
Problem besteht.

Die eigene äußerst zurückhaltende Stellungnahme
des Verf. zielt auf eine Verknotung der Ideen- (Wert-)
Linie mit der Persönlichkeitslinie. Der antike Gottgedanke
: das Allgemeine — modern: Idee, Wert — und
der mittelalterliche Gottgedanke: das Individuelle — modern
: die Persönlichkeit — müssen zusammengeschaut
werden. Dann erst ist Gott nach seinem vollen „Was"
bestimmt. Und damit ist die Religionsphilosophie auch
schon zu Ende. Daß dieses „Was" auch „ist", seine
Realität kann im Rahmen der Philosophie nicht aufgezeigt
werden. Der größere Teil der behandelten Religionsphilosophieen
schaltet deshalb die Frage nach der
Realität des Göttlichen, nach der Wahrheit der Religion
methodisch aus, wenn sie nicht überhaupt ablehnend beantwortet
wird. Wo die Wahrheit der Religion doch
theoretisch sicherzustellen versucht wird, kann der Verf.
dies als nichtig zurückweisen. Daß die Religionsphilosophie
aus diesem Grunde der Ergänzung durch Metaphysik
und Theologie bedarf, ist des Verf. letztes Wort.
Es gibt keine religionsphilosophische Brücke vom Sosein
zum Dasein Gottes. Wenn wir uns auch religionsphilosophisch
ein Bild von seinem Sosein machen
können, so kann uns sein Dasein doch nur im religiösen
Erleben gewiß werden. Thomas von Aquino
hat mit seiner gewaltsamen Lösung der Realitätsfrage:
In Gott ist Sosein und Dasein dasselbe — doch wieder
auf die Religionsphilosophie zurückgegriffen. Dem evangelischen
Glauben ist die einzig mögliche Antwort auf
sie die religiöse, die an die Offenbarung Gottes verweist.
In diesem Sinn behält der Verf. mit seinem letzten
Wort recht.

Heidelberg. Robert Winkler

Holl, weiland Prof. D. Karl: Christliche Reden. Gütersloh:
C. Bertelsmann 1926. (VIII, 218 S. m. Titelb.) 8°.

Rm. 4—; geb. 5.50.

Die Herausgabe einer Auswahl aus den Predigten
und Andachten K. Holls durch seine Witwe bedeutet
für alle Freunde und Schüler des heimgegangenen Theologen
ein kostbares, dankbar empfangenes Geschenk.
Der gesamte Dienst eines Professors der Theologie ist
Zeugnis von dem Evangelium. Seine Wissenschaft verletzt
das Gebot der Sachlichkeit, d. h. den Gehorsam
gegen die Sache, um die es hier geht, wenn sie nicht
gerade in aller Strenge der Methode, in aller kritischen
Kraft von dem Evangelium zeugt und in ihrer besonderen
Art vor die Entscheidung, die es bedeutet, stellt.
Karl Holls Bücher sind in diesem wesentlichen Sinne
wahrhaft theologische Werke. Bei aller Weite des
Blickes, bei aller Meisterschaft, auch Fremdem nachzugehen
, denkt Holl auch als Historiker immer in der
Entscheidung. In jeder seiner Schriften spürt man als

Herzschlag des Denkens seine Gebundenheit an das
Evangelium des Paulus und der Reformatoren durch.
Es ist schon von anderen jüngst hervorgehoben, wie
Holl in seinem Lutherbuche ein Bekenntnis des eigenen
Glaubens gegeben hat. Das gilt auch von den meisten
anderen Büchern Holls. Aber das bleibt naturgemäß
I mittelbar. Daher bedeutet es uns doch ein Neues
und Großes, wenn in der vorliegenden Sammlung der
Theologe nun unmittelbar von dem redet, was seiner
ganzen theologischen Arbeit Grund, Sinn und Absehen
war. Man kehrt mit neuen Augen zu Holls Büchern zurück
, wenn man unter seiner Kanzel gesessen hat. Und
beglückend erlebt man die klare Einheit des strengen
Forschers und des Predigers und Seelsorgers.

Aber die „christlichen Reden" Holls werden nicht
nur seinen Schülern etwas bedeuten, sie stellen zugleich
eine eigenartige und wertvolle Bereicherung der modernen
Predigt- und Andachtsliteratur dar. Soll ich ihren
Grundzug mit kurzem Worte kennzeichnen, so mag die
von Holl selber gewählte Überschrift der 6. Predigt
dienen: „Von der christlichen Nüchternheit." Christliche
Nüchternheit — damit sind die Predigten in mehrfacher
Hinsicht bezeichnet. Zunächst: niemals zwar vergißt
man, daß der theologische Denker redet. Holl kennt
den Geisteskampf der Zeit, er weiß um die besonderen
Hemmungen und Unarten der großstädtischen Bildungswelt
und geht ganz ernst auf sie ein. Aber mit diesen
letzten Worten ist schon gesagt: die Predigten verkündigen
nicht ein besonderes akademisches Christentum,
bieten keine in sich selbst entzückte Gnosis, ringen nicht
um eine besondere Kunstleistung des Gedankenbaues
und der Rede — beides ist ganz einfach und schmucklos.
Alles theologische Wissen und Können ist hier ganz
streng nur in den Dienst hingegebener und sehr konkreter
Seelsorge gestellt. Das scharfe Auge des großen
Historikers sieht — den Eindruck gewinnt man bei
jeder Predigt und Andacht — seine Hörer genau vor
j sich. Es sind die ganz bestimmten nüchternen, pein-
| liehen Nöte und Gefahren der Kriegs- und Nachkriegs-
I zeit, zu denen Holl, aus tiefem Miterleben der Zeit, als
; Seelsorger tritt. Und wie sind die kurzen Morgenandach-
I ten ganz in die besondere Lage der Studenten hineingesprochen
— die ehrfürchtige Versenkung in das besondere
Textwort, das er sich meist durch die Losungen
der Brüdergemeine geben ließ, und die Konkretheit
liebender Seelsorge, mit der er die geistige und äußere
Lage seiner Studenten ganz ernst nimmt, entsprechen
I einander.

Die „Christliche Nüchternheit" tritt weiter hervor
in der Sammlung des Zeugnisses auf die einfachsten
Grundgedanken des Glaubens. Man kann urteilen, daß,
der Gedankenschatz. dieser Predigten und Andachten
nicht groß ist. Was Holl als Luthers Rechtfertigungslehre
erkannt hatte, das verkündigt er in der denkbar
schlichtesten Form. Gott ist der Herr, dem mein ganzer
Gehorsam gehört. Dieser Gott will mich auch in
aller meiner Unwürdigkeit und Schuld. Gott ist für
uns. Das heißt aber zugleich: wir sind für ihn da.
Beides zusammen macht die Kindschaft, die Herrlichkeit
des Evangeliums aus. Damit wir wirklich für Gott
seien, kommt er mit dem Kreuz, mit dem „Ärgernis",
das Christus für unser natürliches Denken und Begehren
bedeuten muß, zu uns. Weil Gott uns zu sich, an
sein Herz ziehen will, darum versagt er uns die Erfüllung
unserer Wünsche und ist aus lauter Liebe der
strenge Gott, der das Opfer, den Dennoch-ülauben begehrt
. So führt er uns in sein Heil. Das sind die Grundgedanken
. Sie sind für Holl ganz und gar nichts Selbstverständliches
, sondern das große Wunder Gottes. Darum
kann er von ihnen auch mit tiefer Bewegung und
mit einer hei diesem strengen und männlichen Manne
fast überraschenden Innigkeit des Ausdrucks reden. „Niemand
lebt in der Religion, der nicht auch Gottes Herz
an dem seinigen schlagen hört." "Auch ich, und wäre
ich gleich der Ärmste und Geringste, bin bei Gott nicht