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Ausgabe:

1927 Nr. 2

Spalte:

590

Autor/Hrsg.:

Sailer, J. M.

Titel/Untertitel:

Glückseligkeitslehre. Neu hrsg. v. Josef Maria Nielen 1927

Rezensent:

Schmidt, Kurt Dietrich

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5S9

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 25/26.

590

rede, daß auch in den lutherischen Kirchen unterweilen Zwinglische
Prädikanten gewesen seien, zurückweisen: „Daugcnichtcn sein in allen
Landen . . wir wissen wohl, daß der Mäusedreck dem Pfeffer etwas
gleichet . . aber es ist dennoch um den Pfeffer zu tun", das andere
ist eben — unter Umständen — nichts. Gerade aus den lutherischen
Berichten gewinnt man den Eindruck, daß es um die Vertreter des
Luthertums oft sehr mangelhaft bestellt gewesen ist, aber sie sind
der Überzeugung, daß im Grunde die wenigen die Gemeinde vertreten
haben; sie nehmen die Idee für ihre Verwirklichung. Wenn
sie gelegentlich der Erwähnung der wiedertäuferischen Bewegung
fragen (S. 102): „Wo war damals die Kirchenordnung und die gesunde
(reformierte Lehre, darüber Pezel den Mund so weit auftut
und rühmet?", so kann man an manchen Stellen das Wort ihnen
zurückgeben und fragen: wo war damals die lutherische Gemeinde?
den Berichten nach hat sich zeitweise gerade die Gemeinde — der
„gemeine Pföffel" (S. 168), wie sie dann heißt — vom Luthertum
stark abgewendet. Bei dieser Verachtung des Haufens spielt in die
lutherischen Darstellungen auch der Gedanke hinein, der in der
Bestimmung: „cuius regio, eius religio" seinen klarsten Ausdruck gefunden
hat. Die Konfession ist gültig, die die Herrschenden bestimmen
. Dem friesischen Freiheitsgefühl entsprechend tritt dabei der
Entscheidung des Grafen häufig an die Seite die Entscheidung der
Kirche, d. h. der Geistlichen, oder auch politischer Obrigkeiten, die
darin für sich die Vertretung der Bürgerschaft in Anspruch nehmen.
Deutlich tritt die den Reformierten entgegengesetzte Auffassung hervor
, die das Recht der Gemeindeglieder betont; auch Garrelts hat
darauf vor allem S. M hingewiesen. Demnach bestand die lutherische
Konfession zu Recht, wenn sie die von der Obrigkeit sanktionierte
war, auch wenn der Augenschein wenig von ihrem Bestände erkennen
ließ. Als die Lutheraner ihren ,,Gegenbericht"hinaussandten, fühlten
sie sich im Schutze des Grafenhauses sicher (S. 28); daher ihre zuversichtliche
Siegesstimmung, die sich z. B. ausspricht, wenn sie von
der Gemeinde zu Emden rühmen, daß sie „den itzigen Religionszustand
zuwege gebrachte" (S. 114). Ihr Siegesgefühl hat sie getäuscht; gerade
in Emden wurde wenige Jahre nachher das Kirchenwesen im
Sinne der kalvinistischcn Forderungen geordnet (S. 30).

S. 69 (vgl. S. 78) bemerkt nun Lic. Garrelts, daß „die Berichte
der Lutheraner auch viele Punkte haben, bei denen sich zwar
der Widerspruch der Reformierten geltend macht, bei denen man sich
jedoch für ihre Aussagen zu entscheiden hat"; „die Beurteilung der
Dinge müsse bei der gegensätzlichen Stellung natürlich eine andere
sein". Wenn wir ihn hier recht verstehen, so scheint er für möglich
zu halten, daß die objektive Wahrheit auch trotz gegensätzlicher
Stellung immer sich erkennen lasse. Wir meinen, daß die Beurteilungen
geeignet sind, die historische Darstellung zu trüben. Deshalb
darf die Untersuchung der Berichte trotz Garrelts noch so sorgfältiger
Arbeit noch nicht als abgeschlossen gelten. Der Weg, den er
uns zeigt, die Berichte Punkt für Punkt zu untersuchen, ist gewiß der
richtige, aber er klagt selbst, daß ihm dabei Briefe und Aktenstücke
aus der von ihm zu untersuchenden Zeit fehlen, er bedauert, daß die
Verfasser der Berichte nur wenige wirkliche Urkunden (die oben als
Anhang bezeichneten Stücke) veröffentlicht haben, daß er auf die
Darstellungen von Zeitgenossen angewiesen ist, in denen „das Geklirr
der Waffen des Parteikampfes zu hören ist", und weist selbst
darauf hin, daß die Reformationsgeschichte Ostfrieslands noch ein
reiches Arbeitsgebiet bietet (S. 48 u. Anm. 1). Das Wort, das der
ostfriesische Geschichtsforscher Meiners (Bevestiging . . S. 136) dem
Ligarius zuruft, wenn dieser auf „alte Kirchenbücher und andere
Akten" sich beruft, sie aber nicht aufweist, ist berechtigt: „Zien gaat
voor zeggen!" (S. 04). Wir können der Urkunden bei objektiver Geschichtsprüfung
nicht entbehren. Und Garrelts ist bei seinen Untersuchungen
durchweg nur auf den Vergleich zwischen den lutherischen
und reformierten Berichten angewiesen. Aus letzteren fügt er
kurze Auszüge seinen Untersuchungen hinzu. Für eine eingehendere
Nachprüfung können die Auszüge aber wiederum nicht genügen;
auch der am Schluß des Buches gegebene Auszug aus den „Missive",
der nur Verunglimpfungen des Oldenburger Generalsuperintendenten
und Geschichtsschreibers Hamelmann enthält, genügt nicht. Nachdem
ca'e lutherischen Berichte neu gedruckt sind, ist es eine Pflicht der
Billigkeit, auch die reformierten in möglichst weitem Umfange wieder
besser zugänglich zu machen. Darin aber finde Garrelts Appell, die
Lirkunden der Reformationsgeschichte Ostfrieslands aufzusuchen und
herauszugeben, lautes Gehör! Obgleich die Verhältnisse im ganzen so
geblieben sind, wie sie waren (S. 60), wer weiß, ob nicht, wenn man
statt die polemischen Berichte zu lesen, zu den Quellen selbst hinabsteigt
, die Geschichte sich doch als Lehrmeisterin erweist! Dem
Herausgeber der vorliegenden Berichte aber bleibt das große Verdienst,
dde Erforschung der kirchlichen Vergangenheit Ostfrieslands in unserer
Zeit wieder in Fluß gebracht zu haben.

Noch einige Einzelheiten. Was den Druck der Ordnung der
Lüneburger betrifft, so bleibt es doch höchst merkwürdig, daß sich
auch nicht ein Exemplar des gedruckten Buches in die Gegenwart
gerettet haben sollte. Sind die Exemplare etwa systematisch vernichtet
word .1? Sehling, der Auffinder der Handschrift der Ordnung, mag

doch mit seinem Zweifel Recht haben. Das S. 79 Anm. 1 gegebene
Versprechen, über die Ordnung im Anhang noch nähere Nachrichten
zu geben, ist leider nicht erfüllt worden. Trotz der angeführten Briefstellen
bleibt dafür, daß Bruno 1530 nach Emden gekommen sei,
doch der Bericht der Lutheraner die einzige Quelle. Hingewiesen
sei für Bruno noch auf Vogt, Bugenhagens Briefwechsel, S. 199. Bei

: der Untersuchung über die gebrauchten Katechismen scheint eine gewisse
Verkennung der Zeitumstände vorzuliegen; in einer Zeit, wo
manchmal jeder, um die reine Lehre klar darzubieten, sich zur Abfassung
eines eigenen Katechismus berufen fühlte (S. 114), wird die

; Praxis lokal sehr verschieden gewesen sein, und jede der beiden
Parteien mag mit ihren Behauptungen (S. 81) Recht haben.

Ilfeld a. Harz. Ferdinand Cohrs.

Rühle, Oskar: Der theologische Verlag von J.C.B. Mohr
(Paul Siebeck). Rückblicke u. Ausblicke. Mit e. Bildnis. Tübingen:
J. C. B. Mohr 1926. (VIII, 163 S.) 8°. Rm. 5.50; geb. 8—.

Bestimmung als Jubiläumsschrift des Verlages J. C. B. Mohr
und Wunsch des Verfassers begrenzen den Kreis der besprochenen
Literatur hauptsächlich auf die in diesem Verlag erschienenen Bücher.
Trotzdem ist das Buch in diesem Rahmen eine lesenswerte Geschichte
der Theologie der letzten fünfzig Jahre, und zwar hauptsächlich der
I liberalen. Von Ritsehl ausgehend wird die historisch-kritische, danach
die religionsgeschichtliche Schule geschildert, sodann die weitere Entwicklung
des Liberalismus bis zum Weltkrieg und Ansätze zu neuer
anders gerichteter Entwicklung in der Gegenwart. Zugleich entrollt
sich vor uns das Bild der weitschauenden Verlegerpersönlichkeit Paul
Siebecks, wie sie sich in seinem Wirken darstellt. Ich könnte mir
denken, daß dieses vornehm, sachlich und mit großem Fleiß geschriebene
Buch dem Verlag manche neue Freunde zuführen wird.
Mich hat es außerordentlich gefesselt.

Göttingen. Günther Ruprecht.

Sailer, Bischof J. M.: Glückseligkeitslehre. Neu hrsg. v. Josef
Maria Nielen. Frankfurt a. M.: Carolus-Druckerei 1926. (III,
327 S.) S". geb. Rm. 6—.

Es kann nicht meine Aufgabe sein, hier darüber Erwägungen
anzustellen, ob es sinnvoll ist, eine Neuaus-
! gäbe von Sailers Glückseligkeitslehre für den Hausge-
! brauch anzustellen, so bezeichnend es auch ist, daß aus-
; gerechnet eine Glückseligkeitslehre als „eine
i brauchbare Ethik für den katholischen Laien" angesehen
wird, wie es im Nachwort des Herausgebers heißt.
Ich habe nur über die Brauchbarkeit der Ausgabe für
wissenschaftliche Arbeiten zu berichten. Die Antwort
| auf diese Frage ist ganz klar: Die Neuausgabe ist für
i den Wissenschaftler völlig unbenutzbar. Mir ist
! selten ein Buch in die Hand gekommen, in dem ein
Herausgeber so souverän mit seiner Vorlage arbeitet wie
hier. Zur Begründung führe ich statt aller Einzelbeweise
nur die Arbeitsgrundsätze des Herausgebers selbst
an. Sie lauten: „Die vorliegende Ausgabe glaubt im...
Sinne Sailers zu handeln, wenn sie solche Kürzungen
und leichtere Umschreibungen vornahm, die das Buch
unserem sprachlichen Empfinden und dem Verständnis
des heutigen Leserkreises näher bringen." Wenn
fortgefahren wird: „Doch tut sie dies mit aller Zurück-
] haltung und voll Ehrfurcht", dann kann ich nur sagen,
daß ich unter Zurückhaltung und Ehrfurcht etwas ganz
Anderes verstehe.

Göttingen. Kurt Dietrich Schmidt.

Geistige und sittliche Wirkungen des Krieges in Deutschland.

Beiträge von Otto B ;i u m g a r t e n , Erich F o c r s t e r, Arnold Rade-
macher u. Wilhelm Flitner. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1927.
! (XV, 383 S.) gr. 8». Wirtschafts- u. Sozialgeschichte d. Weltkrieges
, Deutsche Serie. Lwd. Rm. 16—.

( Der vorliegende Band ist ein Teil eines großen Werkes
: über die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Welt-
j krieges, welches von der Carnegie-Stiftung für inter-
| nationalen Frieden geschaffen wird. Der Generalheraus-
i geber ist Professor Dr. James T. Shotwell, dem in den
| einzelnen Ländern Mitarbeiter zur Seite stehen. Das Ziel
des ganzen Unternehmens ist, „vermittelst einer geschichtlichen
Übersicht zu bestimmen, welche Kosten der
■ Krieg für die Wirtschaft und welche Verschiebungen er
für die kulturelle Entwicklung mit sich gebracht hat.