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Ausgabe:

1927 Nr. 2

Spalte:

584-586

Autor/Hrsg.:

Grabmann, Martin

Titel/Untertitel:

Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen z. Geschichte d. Scholastik u. Mystik 1927

Rezensent:

Walter, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 25/26.

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rakter und taucht je länger, desto mehr in der Askese
unter, während sein diakonales Element sich in dem
neuen Amt der Diakonisse verselbständigt. Diese Entwicklung
läßt sich im ausgehenden 3. Jahrh. zuerst in
Syrien und Ägypten beobachten mit dem Unterschied, daß
in Syrien ein eigenes Amt neben dem Viduat entsteht,
während sich in Ägypten das Neue i n n e r h a lb des
Viduates anbahnt. Da sich das Entstehen des Diakonissenamtes
aus liturgischen Notwendigkeiten (Erwachsenentaufe
) erklärt, wird sein Inhalt um den Zug
des liturgischen Dienstes bereichert, bildet sich ein eigener
Weiheritus heraus und verschwindet es mit dem Aufhören
der Erwachsenentaufe. Das Abendland sieht in
Abweichung vom Orient in den Diakonissen Priesterwitwen
(Italien) oder Witwen (Westen), die ein feierliches
Keuschheitsgelübde abgelegt haben.

Den Beweis hierfür sucht Verf. durch eine eingehende
Quellenanalyse zu erbringen, die den ersten,
größeren Teil der Arbeit füllt (S. 9—94), während der
zweite nur eine breite Zusammenfassung der gewonnenen
Resultate ist (S. 95—112). Ich kann nicht finden, daß
diese Anordnung zweckmäßig ist, denn sie zwingt zu
ständigen Wiederholungen und erschwert ein Verständnis
von Teil I, da dessen Urteile erst von Teil II aus recht
verständlich werden. Aber abgesehen davon wird die
Lektüre von Teil I durch dessen wenig planmäßige Disposition
nicht gerade erleichtert. Die Anordnung nach
Provinzen, die bei dem Stande unseres Wissens kaum
möglich ist, wird teils nicht streng durchgeführt (das
testamentum Domini wird S. 41 ff. unter „Ägypten" besprochen
, weil es das „Schlußglied einer lückenlosen
Entwicklungsreihe" Clem., Orig., Can. eccles. Apost.
darstellt, obwohl Verf. selbst S. 45 Syrien als Heimatland
für wahrscheinlicher hält), teils sprengt sie die
chronologische Folge, so daß bei dem ständigen Hin
und Her kein klares Bild entstehen kann (can. 19 Nie.
(S. 46 ff.) wird weit hinter Const. Apost. (S. 28 ff.) besprochen
, obwohl er ein Bindeglied zwischen diesen und
der syrischen Didaskalie ist; das testamentum Domini,
der „Rechtskodex der monophysitischen Kirche" (S. 45)
wird S. 41 ff. behandelt, während das übrige mono-
physitische Kirchenrecht erst S. 57 ff. zur Sprache
kommt; in cap. 3 wird die „Verbreitung des Diakonissenamtes
seit dem 4. Jahrh." bis ins 11/12. Jahrh. verfolgt
(S. 54 ff.), in cap. 4 setzt Verf. wieder mit dem
Jahre 390 und der Schilderung byzantinischer Verhältnisse
ein).

Das an sich löbliche Bestreben, die provinziellen
Besonderheiten schärfer, als es bisher geschehen war,
herauszuarbeiten, verführt den Verf. des öfteren zu
künstlichen Differenzierungen (cf. seinen Vergleich der
Weihegebete Const. Apost. VIII, 20 u. Test. Dom. I, 41
auf S. 44), die zuweilen auf einem argumentum e silen-
tio beruhen (cf. seine Ausführungen über die Diakonisse
als Priesterwitwe in Italien und als Witwe im Westen
auf S. 81 und 84 ff.). Verf. hat es auch unterlassen,
seine Resultate in einen größeren Zusammenhang zu
stellen, den Einfluß der Häretiker auf die kirchliche
Praxis zu untersuchen (die Hinweise auf S. 50 u. 103 f.
reichen nicht aus) und die Gründe für das Entstehen des
Diakonissenamtes aufzudecken (er streift nur das liturgische
Bedürfnis, S. 110). Und der Versuch des Verf.s,
seine Ansicht vom Viduat in den 1. Tim. Brief, den er
für paulinisch hält (S. 9), hineinzulesen, ist m. E. nicht
geglückt, denn 1. Tim. 3, 11 beziehe ich mit B. Weiss
XI 7 145 f. gegen Wohlenberg 2 134 f. auf die Frauen
der Diakone, anstatt in ihm „die Richtlinien für eine
amtliche Verwendung der Frau" (S. 10 f.) zu finden,
und in 1. Tim. 5, 12 eine „gewisse, wenn auch formlose
Bindung" (S. 14), die Keimzelle für das spätere offizielle
Witwengelübde, zu finden, heißt die Worte rrtv
rtQiürrjv idanv mißverstehen.

Von den 7 Druckfehlern, die ich gezählt habe, stört nur die Zahl
4 statt 5 (S. 72) und das unausrottbare Origines, was sich einmal
findet (S. 36, Z. 7). Störender ist das häufige Zitieren nach alten

Auflagen (S. 8, A. 2 u. S. 10, A. 3 Achelis, das Christentum; S. 11,

A. 2 Wohlenbergs Kr. z. d. Past. Br. beides nach der 1. Aufl., der von

B. Weiß S. 15, A. 4 nach der 5.).

Verf. hat sich redlich bemüht, Licht in das Dunkel
des altkirchl. Diakonissenamtes zu bringen und ein einheitliches
Bild von seiner provinziell verschiedenen Entwicklung
auf dem Boden der Identitätshypothese zu
zeichnen, das sich ebenso gegen Zscharnack wie K. H.
Schäfer wendet. Die Vertreter der Verschiedenheitshypothese
haben jetzt das Wort.

Halle/Saale. Walther Völker.

I Grabmann, Prof. Martin: Mittelalterliches Geistesleben.

Abhandlungen z. Geschichte d. Scholastik u. Mvstik. München:
M. Hueber 1Q26. (XI, 585 S.) gr. 8°. Rm. 20.80; Lwd. 24.80.

Daß ein Forscher wie M. Grabmann in einem

| „Mittelalterliches Geistesleben" betitelten Buche es sich
nicht zur Aufgabe setzt, in großer Linienführung die
Ideengeschichte der mittelalterlichen Welt uns vor Augen
zu führen, werden wir verstehen. Gerade auf dem Ge-

I biet, auf dem er zu Hause ist, in der Scholastik und
Mystik, läßt der Stand der unerläßlichen Vorarbeiten
noch so viel zu wünschen übrig, daß es des sorgfältigsten
Fleißes von vielen Generationen von Gelehrten bedürfen
wird, ehe kritische Ausgaben und eingehende

, Behandlung der Einleitungsfragen uns in den Stand
setzen werden, die vorliegenden Texte und die noch
weitaus größere Zahl der schon nachgewiesenen und
neu aufzufindenden Inedita auf ihren Gedankengehalt
zu verarbeiten. Der erste, jetzt erstmalig im vorliegenden
Sammelbande veröffentlichte Beitrag trägt den Ti-

| tel: „Forschungsziele und Forschungswege auf dem Gebiete
der mittelalterlichen Scholastik und Mystik". Es
ist ein methodologischer Aufsatz, wie ihn nur ein ganz
erstklassiger Kenner des gewaltigen Stoffes vorzu-

j legen im Stande ist. In gesunde methodologische Ausführungen
, die dem Anfänger die Richtungen bei seiner
Forschung zeigen sollen, ist eine Übersicht über das,
was geleistet worden ist, in einer bisher wohl nicht er-

S reichten Vollständigkeit eingearbeitet worden, und die
Übersicht über das ungedruckte Material, in der alte
und neue Namen wie Schneeflocken umherwirbeln, zeigt

I in der Tat, „wie mit der fortschreitenden handschrift-

| liehen Forschung der Horizont dieser mittelalterlichen
Arbeitsgebiete sich in weite Fernen zurückschiebt" (S.

I 30). Drei Randbemerkungen seien mir gestattet: 1.
Jeder Leser einer scholastischen Summa weiß, daß die
Zeitgenossen des Verfassers als quidam und alii be-

J zeichnet werden. Die Schwierigkeit der Identifizierung
dieser Schriftsteller mag dazu verführen, dem glücklichen

I Finder Schlüsse über die meist sehr schwer feststellbare
Zeit der Summa nahezulegen. Ich halte das methodisch
nicht für einwandfrei, denn es kommen viele
Fälle vor, wo ein späterer Schriftsteller die Ansichten
der quidam teilt, ohne es erkennen zu lassen, daß der
frühere sich mit ihnen schon auseinandergesetzt hat.

i Nur vollständige Kenntnis des mittelalterlichen

i Schulbetriebs könnte hier helfen, die aber läßt sich nicht
erreichen. 2. Dringend erwünscht erscheint mir eine
kritische Ausgabe der glossa ordinaria und interlinearis,

I da die Scholastiker diese Bibelkommentare sehr ausgiebig
benutzen. Die Unvollständigkeit des Migne'schen
Abdrucks stört auf Schritt und Tritt, und ältere Ausgaben
sind schwer zu haben und vielfach desgleichen

| unbrauchbar. 3. Bei der Verifizierung von Kirchen-

i väterzitaten genügt es nicht, den ursprünglichen Fundort
des Zitats nachzuweisen. Der stark variierende Wortlaut
des Zitats ermöglicht es oft, auch den Vermittler
des Zitats aufzufinden. Diese Arbeit ist eine sehr müh-

same, ermöglicht aber des öfteren sichere Schlüsse über

i literarische Abhängigkeiten.

Die weiteren 16 Abhandlungen sind größtenteils

| früher veröffentlichte Aufsätze des Verfassers, vielfach
umgearbeitet und auf Wunsch von Freunden zum vor-

I liegenden Sammelbande zusammengefaßt. Die zweite