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Ausgabe:

1927 Nr. 21

Spalte:

574-575

Autor/Hrsg.:

Althaus, Paul

Titel/Untertitel:

Staatsgedanke und Reich Gottes. 3., erw. Aufl 1927

Rezensent:

Beyer, Hermann Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 21.

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„Parakkt und Richter der Endzeit und Ewigkeit
", sondern „als geschichtlicher Mensch bei uns
alle Tage bis an unserer Geschichte Ende" (213),
der uns „den Mut zur Umwandlung der geschichtlichen
Verhältnisse" gibt mit dem Ausblick „in eine geschichtlich
nicht zu ermessende Zukunft" (223), und der
uns _ unfj das ist das Eigentliche der Erlösung — in
unserer „eigenen geschichtlichen Gegenwart" ein als Tat
sich entfaltendes erlöstes Leben gibt; daß der Gedanke,
daß „das geschichtliche Leben den Akzent des erlösenden
Gottes" erhält, zugespitzt wird zu der „Erkenntnis,
daß die Erlösung durch Jesus Christus die Grenzen von
Raum und Zeit überhaupt nicht überschreiten kann"
(218); nicht Absolutheit des Christentums, sondern „für
eine begrenzte Geschichtsepoche" — den „christlichen
Aeon" — „vollzieht Gott durch ihn und seine geistige
Nachwirkung die Erlösung" (177), und daran haben wir
in Demut genug, wenn wirs wirklich haben und erleben.
— B. wird wohl selbst kaum glauben, daß ihm die
glaubensstarke christliche Überlieferung auf diesen Wegen
je folgen wird. Und auch ich frage mich, ob hier
die Ewigkeit nicht doch allzusehr in die Zeitlichkeit
hinein verschwindet. Jedenfalls lebte der Neutestament-
liche Glaube um vieles bestimmter — auch schon in
seinem gegenwärtigen Haben — über die Zeit hinaus.

B. entwickelt seine Gedanken in weitem religionsgeschichtlichem
Zusammenhang. Er beginnt mit einer
geschichtlichen Darlegung der zur Zeit Jesu geschichtlich
unmittelbar bereitliegenden Apperzeptionsansätze
für das Erlösertum Jesu Christi im Hellenismus, im
Judentum, im „vorderasiatischen Religionskonvolut", um
dann vorläufig zu zeigen, wie die antike Heilandsidee
im Christentum nachgewirkt hat und zwar mit dem Erfolg
, daß „Begräbnis und Auferstehung für die werdende
christliche Religion ausschlaggebend geworden ist". Da
das „nicht aus dem Geist ihres historischen Stifters"
stammt, sondern aus dem „Geiste umliegender Fremdreligionen
, die dem Wesen der neuen historischen Religion
sehr fern standen", „stößt sich die Idee der Totenfahrt
und der Auferstehung hart mit der lebendigen
Person, deren heldenmäßiger Opfertod als Abschluß
eines Opferlebens unverwischt und unvermischt in der
Geschichte der Menschheit weiterklingt" (88). „Jesus,
der Mensch der Geschichte", wurde so „zum Gott im
Sinne antiker Philosophie" (92). — Es folgt bei B. die
Besinnung auf den „Heiland Jesus in der Geschichte"
als den „Heiler Leibes und der Seele", den „sozialen
Erlöser", den „Verkünder reinen Glaubens": der geschichtliche
Mensch ist durch seine geistesgeschichtliche
Wirkung der „Mittler des Glaubens" (127) und zwar des
„Tatglaubens", wie er ihn selber lebte. Der folgende
Abschnitt zeichnet und bewertet die „Erlösungstypen der
Christenheit" (der mystische Gottessohn, der messia-
nische Menschensohn, der Erlöser als Substanz im
Kultus und Sakrament, der Mittler als Gemeindesymbol,
der dogmatische Heiland, der historische Herr) mit dem
Ergebnis, daß zwar wohl „in jedem von ihnen wesentliche
Elemente des christlichen Glaubens bewahrt sind",
wenn auch in z. T. abwegiger Form, daß aber doch
„ohne die letzte Form des Erlösers als historischen
Herrn die andern Formen sich in allgemeine Religionsgeschichte
verlaufen" (187). — Das 3. Kapitel endlich
bringt die positive Darlegung des evangelischen Glaubens
an den Erlöser. Da wird zuerst, nachdem schon
vorher auf Luther Bezug genommen worden ist, „der
neue Eindruck des geschichtlichen Erlösers auf den
Glauben" vom Pietismus her über Zinzendorf, Herder,
Schleiermacher zu den Theologen um Ritsehl, und grade
auch zu den Historikern unter ihnen, und in hervortretender
Weise Herrmann, verfolgt — von den Denkern
nach Herrmann werden Joh. Müller, Rade und Stephan
besonders hervorgehoben —. Darauf folgt: Die durch
den geschichtlichen Erlöser bewirkte Erlösung. Auch
hier ist die Hauptsache die Auseinandersetzung mit
allem, was sich nicht klar auf den Boden und in die

Umrahmung des Geschichtlichen stellt. Nur sechs Seiten
handeln von der Erlösung von Weltleid und Übel, der
Erlösung von Sünde und Ohnmacht, der Alleinwirksamkeit
der Gnade Gottes durch Jesus Christus. Es geht B.
eben immer um seine sehr stark polemische Hauptthese;
und darüber kommt anderes zu kurz. Hier liegt m. E.
die Hauptschranke seines Buches. Auch hindert ihn sein
starker idealistischer Aktivismus und die polemische
Unterstreichung des Gedankens, daß Erlösung ein Posi-
tivum sei, — bei Jesus selbst sieht er fast nur die
Gottesgüte, nicht aber — ich entsinne mich dahingehend
nur einer kurzen Bemerkung — ebenso den richtenden
Ernst — eine wirkliche Erlösung vor Gott als das Zentrum
der christlichen Erlösung zu erfassen, und alles
weitere dem als Folgewirkung anzufügen.

Auf die ganze Fülle einzelner anregungsreicher und
zur Auseinandersetzung auffordernder Gedanken weiter
einzugehen, wie z. B. besonders die Ausführungen über
das Abendmahl oder das über Zinzendorf Gesagte, gestattet
der zur Verfügung stehende Raum nicht.

Herrnhut. Th. Stein mann.

Alt haus, Prof. D. Paul: Staatsgedanke und' Reich Gottes.

1 3., erw. Aufl. Langensalza: H. Beyer & Söhne 1926. (108 S.) 8°.
= Schriften z. polit. Bildung, Reihe 9, H. 1. — Fr. Manns
pädag. Magazin, H. 913. Rm. 2.10.

Schon 1926 ist das Buch von Althaus in dritter
Auflage erschienen, ein erfreuliches Zeichen dafür, daß
es die Beachtung gefunden hat, welche es verdient. Wenn
diese Neuauflage von einem Kirchenhistoriker angezeigt
wird, so geschieht das mit gewisser Berechtigung. Denn
die Frage nach dem Ort, wo Staatsgedanke und Reich
i Gottes sich berühren, ist ja die Frage nach dem reli-
' giösen Sinn der Geschichte. A. geht von den Problemen
unserer Zeit aus, um eine Antwort auf sie aus dem
Geiste lutherischer Theologie zu finden, wobei er doch
nicht bei Luthers Lösungen gerade der schweren Fragen,
die sein Thema enthält, stehen bleibt. Das Besondere
seiner Antwort liegt darin, daß er Reich Gottes und
Staatsgedanken in positive Beziehung zueinander bringt
• durch die Begriffe des Gehorsams und des Berufes:
Nicht Liebe ist der Leitgedanke aller christlichen Ethik,
sondern der weitere Begriff des Gehorsams gegen Gott,
! der allein der Fülle der Lebensaufgaben, die Gott stellt,
gerecht wird. Dieser Gehorsam wird bewährt im konkreten
Beruf des Einzelnen wie auch der Völker. Gerade
diese Parallele ist A. wichtig, während andere im
zweiten Falle lieber von „Sendung" sprechen. Be-
! sonders eindrucksvoll sind in dem an fein geschliffenen
Bemerkungen reichen Buche die Stellen, wo die hohe
i religiöse Ethik des Berufsbewußtseins im Staatsleben
1 an Äußerungen Bismarcks verdeutlicht wird.

Während dieser grundsätzliche Teil im Wesentlichen
schon Bestand der alten Auflage war, sind neu
hinzugekommen eine Reihe von Leitsätzen und Erläute-
i rungen „zum Problem des Krieges", in denen die Folgerungen
aus den Grundgedanken des Verf.s für die
ethische Begründung des Krieges gezogen werden. A.
fühlt, daß wir deutschen evangelischen Theologen, um
nicht verkannt und mißverstanden zu werden, das Recht,
vom Sinn des Krieges zu reden, erst begründen müssen.
Und doch sind wir heute mehr denn je dazu verpflichtet,
wo der Kampf um die Wahrheit in den Fragen nach dem
Sinn vergangener wie zukünftiger Geschichte zur
höchsten Aufgabe für uns Deutsche geworden ist, die
I wir verstrickt in ein System von UnWahrhaftigkeiten
an einem Wendepunkte der Geschichte stehen. So schaut
! A. offenen Auges das „Kampfgesetz der Geschichte",
j das nicht mit dem Urabfall der Menschheit in Zusammenhang
zu bringen ist, so viel Sünde es auch hervor-
| ruft, sondern mit Gottes Schöpferfreiheit, die den Men-
I sehen nicht hineingestellt hat in einen rationalistisch erdachten
, friedlich geruhsamen Kosmos, sondern in eine
; lebendige Geschichte miteinander ringender Völker, in
, der erst wahrer Gehorsam gegen den wagend erkannten
Beruf und echte Sittlichkeit gerade inmitten aller Gegen-