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Ausgabe:

1927

Spalte:

559-560

Autor/Hrsg.:

Kittel, Gerhard

Titel/Untertitel:

Urchristentum, Spätjudentum, Hellenismus 1927

Rezensent:

Fascher, Erich

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559

Theologische Lrteraturzeitung 1927 Nr. 24.

560

begriffs des 1. Petr., an den Typen Kirche, Sekte und
Mystik gemessen, deutlich wird. Der umfassende, tragende
und alles bestimmende einheitliche Anfang und
Grund, der einzige soziologische Beziehungspunkt für
die Gemeinde ist dem Verfasser des Briefes Christus,
sein Christusgedanke die Basis seines Gemeindegedankens
, wobei aber das Verhältnis der Gemeinde zu
Christus ganz auf dem des Christus zu Gott beruht.
Alle Spannungen, der Widerstreit zwischen dem sündigen
menschlichen Willen und dem heiligen Willen Gottes
, aber auch der zwischen Gott als Gnade und als
richtender Gerechtigkeit, finden ihre Lösung in der faktischen
Einheit der richtenden Gerechtigkeit und der
Gnade Gottes im Tode Jesu Christi. „Der Gemeindegedanke
des 1. Petr. steht und fällt mit der Paradoxie
der Gnadenerfahrung, welche das Dasein der Gemeinde
zum Wunder macht" (S. 238). „Der ,Standpunkt unter
dem Kreuz' gestaltet den Gemeindegedanken des 1.
Petr. entscheidend" (S. 251). „Sein Gemeindegedanke
ist nichts anderes als der Ausdruck seines Glaubens an
Jesus den Gekreuzigten als an den lebendigen Christus
Gottes, durch den üott die heilige und ewige Gemeinde
schafft" (S. 260). Im 3. Teil „Der Gemeindegedanke
des 1. Petr. und seine Stellung im Urchristentum" (S.
269—378) wird das gewonnene Resultat in Beziehung gesetzt
zu anderen Typen der urchristlichen Gemeindeidee:
Paulus, Johannes, Clemens Romanus, Ignatius, Hermas.
Dabei ergibt sich trotz des Abstandes in der Art des
Denkens und Formulierens der Tatbestand des wesentlich
identischen Grundrisses des Gemeindegedankens bei
Paulus und Johannes wie im 1. Petr. Die innere Struktur
des Gedankens bei Clemens, Ignatius und Hermas dagegen
stellt sich infolge der Verschiebung des maßgebenden
religiösen Beziehungspunktes völlig verändert
dar.

Die Studie verleugnet ihre Herkunft aus der Schule
Schlatters nicht. Ihre Stärke — exegetische Analyse und
biblisch-theologische Synthese in Verbindung mit einander
, der sich der ganze Ideengehalt des 1. Petr. in organische
Beziehung zum Gemeindegedanken setzt —
wäre bei weniger umständlicher Anlage und knapperer
Fassung der zwei ersten Teile, auch größerer Sparsamkeit
mit ausgeschriebenen Zitaten, noch mehr zu Tage
getreten. In der Sache hat Sp. durchweg Recht, ohne
gegenüber den Vorarbeiten mehr als eine treffliche Zusammenfassung
zu liefern. Seine Arbeit erweist die
Nützlichkeit der „morphologischen Betrachtungsweise"
(vgl. S. 8) für die Erfassung neutestamentlicher Gedankenzusammenhänge
. Es ist noch viel eindringende
Einzelforschung solcher Art zu leisten, ehe das urchristliche
Kirchenproblem im Großen in Angriff genommen
werden kann.

Göttingen. Johannes Behtn.

Kittel, Prof.Gern.: Urchristentum,Spätjudentum,Hellenismus.

Akademische Antrittsvorlesung, geh. am 28. Okt. 1926. Stuttgart:
W. Kohlhammer 1926. (32 S.) gr. 8". Rm. 1.20.

Diese Tübinger Antrittsvorlesung beginnt und endet
mit Persönlichem. Auf Seite 1—4 steht eine Würdigung
der beiden Vorgänger Heitmüller und Schlatter,
auf Seite 29—32 als Anhang eine Polemik gegen den zur
Zeit der Veröffentlichung noch unter den Lebenden weilenden
Gressmann wegen seiner Rezension von Kittels
Buch: Die Probleme des palästinensischen Spätjudentums
und das Urchristentum (in Deutsche Literaturzeitung
1926 Spalte 1437—40). Den größten Raum
(Seite 4—27) nimmt die Behandlung des Themas ein.
In Anlehnung an Gedanken seines Buches und an Arbeiten
von Holl und R. Reitzenstein zeigt K., welch komplizierte
Gebilde hier miteinander in Beziehung treten,
jedoch so, daß Urchristentum und Judentum in gemeinsamer
Tradition enger zusammengehören als Urchr. und
Hellenismus. Und doch ist das Christentum als Religion
des Sünders mit einer bis dahin unbekannten Heilsgewißheit
der jüdischen Leistungsreligion überlegen —

es ist als Religion des in Christus Gnade schenkenden
Gottes die Erfüllungsreligion des Judentums — wie es
andrerseits dem heidnischen Polytheismus mit seiner
Kombinierung der verschiedensten Gottwesen durch seinen
Monotheismus überlegen ist, und durch seine Predigt
von der Schuld, aber auch von der Versöhnung
trotz aller Anfeindung den Sieg davon trägt.

Marburg. Erich F*sCh er.

F i e b i g, Priv.-Doz. D. Paul: Die Umwelt des Neuen Testamentes.

Religionsgeschichtliche und geschichtliche Texte, in deutscher Üher-
setzung u. m. Anmerkungen vers., zum Verständnis des N.T. dargeboten
. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1926. (VIII, 86 S.)
gr. 8«. Rm. 3_.

Aus Kreisen der Pfarrer, Religionslehrer und Studenten sowie
von nicht theologischer Seite ist dem Verf. der Wunsch ausgesprochen
worden, wichtige religionsgeschichtliche Texte zum Verständnis des
Neuen Testaments zusammenzustellen. Diesem Wunsch hat F. in dem
vorliegenden Heft von 86 Seiten mit großer Umsicht entsprochen.
Zur Umwelt des Paulus, des Johannes und Jesu erhalten wir die
wichtigsten und aufschlußreichsten Texte aus der rabbinischen Literatur
, aus den griechischen Dramen wie vulgären Inschriften und
Briefen. Zur Mystik des Paulus z. B. lesen wir größere Abschnitte
aus Philo, Josephus, Apulejus und Hippolyt. Zu Johannes finden wir
zahlreiche Stellen aus den mandäischen Schriften, während zu Jesu
Leben rabbinische, hellenistische und selbst indische Parallelen beigebracht
werden. Ein 2. Teil bringt wichtige geschichtliche Texte
(Charakteristiken von römischen Kaisern und Beamten, falschen Propheten
, Jesus und Jakobus u. a.), die vielleicht zu ausschließlich aus
Josephus entnommen sind. Der Charakter als Textbuch wird durch hin
und wieder eingestreute Stellen aus modernen Autoren nach meinem
Geschmack etwas beeinträchtigt. Die erläuternden Fußnoten sind für
den gedachten Benutzerkreis (vor allem für Studenten und Nicht-
theologen) oft reichlich knapp. Aber diese Sammlung zerstreuten
Materials in einer klaren Übersetzung ist zu begrüßen und sollte in
Übungen praktisch ausprobiert werden, zumal der Verfasser Anregungen
gern zu verwerten bereit ist.

Marburg. Erich Fasclier.

Jackson, F. J. Foakes, D.D., and Kirsopp Lake, D.D.: The
j Beginnings of Christianity. Part I: The Acts of the Apostles.
Vol. III: The text of Acts by James Hardy Ropes. London: Mac-
millan & Co. 1926. (CCCXX, 464 S.) 8°. sh. 30/—.

Der dritte Band des großen Werkes bringt den
Text der Apostelgeschichte und stellt ihn in einen er-

j staunlich reichen und auch hochgespannte Erwartungen
befriedigenden Rahmen. Die bereits zweihundert Seiten
umfassende Überschau über die Zeugen enthält nicht
nur Listen (übrigens auch solche von Sodens Klassifikation
der in Frage kommenden Handschriften), sondern
auch wertvolle Untersuchungen, bei denen aller-

j dings nicht alle Zeugen gleichmäßig berücksichtigt

I werden.

So findet man sehr wertvolle und ausführliche Bemerkungen
' über die alten Unzialen, ihre Geschichte und ihren Text, deren Nutzen
weit über den Text der Acta hinausreicht; der Text von BSAC
| in der LXX wird gesondert untersucht. Am ausführlichsten ist die
J Erörterung der den Codex Bezae betreffenden Probleme: als Heimat
der Handschrift wird Sizilien vermutet, die Latinismen werden untersucht
, ebenso, aber in negativem Sinn, die angeblichen Syriasmen;
R. bringt die semitisierenden Züge des D-Textes vielmehr mit den
Beziehungen des gesamten westlichen Textes zum Hebräischen in
Verbindung. Besonderen Wert legt R. mit Recht auf die Unter-
| Scheidung des D-Textes von dem westlichen Text, die so oft vernach-
I lässigt wird: D ist ein sehr wertvoller Repräsentant dieser Textform.

die Reinheit dieser Form ist bei ihm aber zweifellos außer durch
I Schreibversehen getrübt durch Einflüsse des lateinischen Textes sowie
durch Einwirkungen einer anderen Textform, der ägyptischen oder der
I antiochenischen. Das Ziel der Untersuchung ist die Gewinnung eines
Maßstabes, der aus dem D-Text Schlüsse auf den westlichen Text zu
ziehen erlaubt. Gerade unter diesem Gesichtspunkt aber fällt es auf,
daß bei dem Überblick über die Übersetzungen die westlichen Lesarten
der Sahidica etwas kurz behandelt sind. Gerade weil diese
Lesarten sachlich nicht wesentlich sind, haben sie als auffallend zu
gelten, und die Hypothese, mit der R. den Befund erklärt — daß das
griechische Original der Sah ein westlicher, aber fast völlig nach einem
alexandrinischen Exemplar durchkorrigierter Text gewesen sei — ist
für die Geltung des westlichen Textes im Orient wichtig genug, um
ausführlicher begründet zu werden. Sehr gründlich diskutiert werden
dagegen wieder die westlichen Lesarten im Apparat der Syra
Harclensis. R. wendet sich in überzeugenden Ausführungen gegen die