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Ausgabe:

1927 Nr. 2

Spalte:

37-38

Autor/Hrsg.:

Leipoldt, Johannes

Titel/Untertitel:

Vom Jesusbilde der Gegenwart. Sechs Aufsätze. 2., völlig umgearb. Aufl 1927

Rezensent:

Dibelius, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 2.

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der Geschichte ist. — Soweit der Verf. aber an seiner richtigen Er- I
Kenntnis festhält, daß rj. die Weltlichkeit des Menschen ist, gelangt
er zu guten Ergebnissen: o. umfaßt alles, was dem nv. entgegengesetzt
ist: Gesetzesweg und eigenes Bemühen (S. 144), das Bestreben
ohne Gott das Heil zu wirken (S. 157). Der Grundfehler zeigt
sich nur wieder gleich darin, daß n. außerdem auch das gegen
Gott gerichtete Handeln umfassen soll. Als ob es für Paulus diese
Unterscheidung gäbe und nicht das „ohne Gott" die Ursündc, die
Empörung gegen Gott wäre, die dem xoo/Aog seinen Charakter
gibt.

§ 8 behandelt in polemischer Auseinandersetzung die Anschauungen
, nach denen o. als Fleischesstoff die einzige Quelle der Sünde,
oder die „physische" Quelle neben der historischen (Adams Fall) sei;
ebenso § 9 die Anschauung, daß n. als Menschennatur wesentlich
sündig sei. Die §§ 10—12 handeln über die Quellen der paulinischen
<!. - Lehre, nicht nur ganz dürftig, sondern auch gänzlich post f es tum.
Denn solche Orientierung hat ja ihren Sinn darin, daß sie die paulinischen
Begriffe klären hilft durch die Untersuchung der Voraussetzungen
der Begriffsbildung. Hat der Verf. dieser Orientierung vorher
nicht bedurft, so ist sie zum Schluß ein überflüssiges Vergnügen.
Marburg. R. Bultmann.

Leipoldt, Prof. D. Dr. Johannes: Vom Jesusbilde der Gegenwart.

Sechs Aufsätze. 2., völlig, umgearb. Aufl. Leipzig: Dörffling &
Franke 1925. (VIII, 416 S.) gr. 8°. Rm. 15—; geb. 16.50.

Das umfangreiche Buch hat offenbar seinen Leserkreis
gefunden, und so kann der Verf. eine zweite Auflage
ausgehen lassen. Da sich seit dem Erscheinungsjahr
der ersten, 1913, das Angesicht der Welt nicht
wenig gewandelt hat, da damals wichtige Erscheinungen
heute ihre Bedeutung eingebüßt, andere, damals unbeachtet
existierende in den Vordergrund getreten sind, so
stand L. vor einer schwierigen Aufgabe. Er löste sie so,
daß er das Oefüge des Buches im allgemeinen bewahrte,
dafür aber dauernd, oft Seite für Seite, änderte und I
besserte, und an gewissen Stellen ganz neue Bearbei- ,
tungen des Stoffes einfügte. So ist besonders das Kapitel
„Aus der katholischen Kirche" zu einer sehr reichhaltigen
, auch Neuestes berücksichtigenden Stoffdarbietung
geworden. Die Kritik, die L. übt, ist vorsichtig i
und frei von jedem Eifer; oft wird eigentlich nur ge- 1
fragt, ob der evangelische Leser vom Buch oder Kunstwerk
aus anderer Sphäre etwas für sich davontragen
kann. Schärfer wird die Kritik, wenn der Neutesta-
mentler auf den Plan tritt. „Mich stört hier schon
. . . ., daß ich mit dem Verfasser rein wissenschaftlich
oft nicht übereinstimme", heißt es gegenüber Johannes
Lepsius. Das kann aber schon bei solchen Leben-Jesu-
Werken, wie sie L. wünscht, die Jesus den Menschen
„anschaulich vor Augen malen", nicht der vornehmste
kritische Maßstab sein. Wie leicht sich von da aus die
kritische Einsicht verschiebt, sieht man daraus, daß j
Papinis reklamesüchtige Wortknnst ohne eine ernsthaft
zugreifende Beurteilung durchschlüpft. Aber noch weniger
darf jener Maßstab der neutestamentlichen Fachkorrektheit
angelegt werden, wenn es sich um Werke
der künstlerischen Phantasie handelt. Denn die Kunst
hat die Aufgabe, die inneren Gesichte des Künstlers zu
gestalten, und von dieser Art Selbstherrlichkeit darf ihr
nichts geschmälert werden. Darüber werde ich nun
freilich mit L. nicht einig werden, denn meine dahin
zielende Bemerkung zur ersten Auflage in dieser Zeitung
(1914, 455), die ihn aufforderte, erst einmal „in
Dichters Lande zu gehn", hat er im Vorwort zu dieser
Auflage in übrigens sehr freundlichem Ton mit dem
Geständnis beantwortet, es sei ihm (und vielen anderen)
grundsätzlich unmöglich, bei der Beurteilung einer
Kunstschöpfung und ihres Wertes vom Inhalt abzusehen.
Als ob ich das verlangt hätte! Meine Warnung vor
dem vorzeitigen Anlegen fremder Maßstäbe nahm jene
Kritik zum Ausgangspunkt, die immer zuerst fragt,
welches Jesusbild (im theologisch-kirchlichen Sinn!) das
betreffende Kunstwerk vertreten wolle, und die ganz
außer Acht läßt, daß der Wille des Künstlers dabei
vielleicht auf etwas ganz anderes gerichtet ist; das
braucht nicht lediglich und nicht vor allem ein rein
formalistisches Ziel zu sein; auch der inhaltliche Wert
aber muß zuerst vom künstlerischen Gestaltungswillen

und nicht von einer theologischen Zielsetzung aus beurteilt
werden.

Ein Beispiel für die gewünschte kritische Betrachtungsweise möge
weiteren Mißverständnissen vorbeugen. Max Liebermann hat einen
barmherzigen Samariter gemalt (Köln, Wallraf-Richartz-Museutn). Das
ist eigentlich das Bild eines sehr weiträumigen Waldes, in dessen
Hintergrund ein behäbiger Spaziergänger von dannen schreitet und in
dessen Vordergrund sich ein Mann und eine Frau um einen nackt am
Boden liegenden Verletzten mühen. Hier spricht sich eine völlig profane
Art der Behandlung des biblischen Stoffes aus, die den Vorgang
einfach in das reale Leben übersetzt, eine Art, der man, auch
abgesehen von ihrer malerischen Überzeugungskraft, ihr Recht, gerade
bei einem Gleichnis Jesu, nicht absprechen kann — (was wollen da
die allerdings auffälligen und gewiß auf eine rein profane Vorgeschichte
der Komposition weisenden Abweichungen vom Bibeltext besagen
!). Eine völlig andere Art der Behandlung desselben Stoffes
zeigt etwa Heinrich Nauen. Hier soll bewußter Maßen die Bibel
sprechen; in dieser ganz in Dreiecksformen gebannten Gruppe von
Samariter, Verwundetem und Reittier, ihrer strengen Stilisierung und
ihrem „gotischen" Emporstreben zeigt sich der Charakter des Dargestellten
als heilige Geschichte. Wenn man unter solchen Gesichtspunkten
an eine Kritik des malerischen Jesusbildes der Gegenwart
heranginge, die die Unterschiede im Ethos der Betrachtung ans
Licht brächte, so würde sich daraus weit mehr als eine Orientierung
des Lesers ergeben, nämlich eine wirkliche und im höchsten Sinn
„theologische" Kritik der Zeit.

Freilich würde dazu gehören, daß die Zeit etwas
mehr zu Worte käme. Denn während der Verf. auf dem
Gebiet der katholischen Kulturleistung offenbar dem
Wandel der Zeit Rechnung getragen hat, vermag die
zweite Auflage auf anderen Gebieten gewissen Ansprüchen
, die die erste befriedigte, nicht mehr zu genügen
. Das hängt natürlich damit zusammen, daß die
Zeit sich gewaltig gewandelt hat und daß ein solches
Buch in einer zweiten Auflage eigentlich von Grund auf
neu zu schreiben wäre. Das, was man am meisten
vermißt, ist eine Würdigung der gegenwärtigen Malerei.
Nolde ist in einer Anmerkung erwähnt, und Namen, die
gerade für die Jesus-Darstellung so viel bedeuten wie
Beckmann, Eberz, Heckel, Oeser, Schmidt-Rottluff fehlen
ganz. Dabei muß doch gesagt werden, daß das Problem
einer wirklich religiösen Darstellung der biblischen Geschichte
sich von diesen Expressionisten aus — wie ich
es schon am Beispiel Nauens zeigte — viel ernsthafter und
jedenfalls ganz anders stellt, als das in der vorhergehenden
Generation der Fall war. Aber auch die literarischen
Abschnitte dürften heut eine andere Auswahl
aus der zeitgenössischen Dichtung behandeln als das
1913 berechtigt war. Ich denke dabei nicht nur an Expressionisten
wie Johannes Sorge, sondern etwa auch an
Bartsch, Widmann, Weiser, die teils gar nicht, teils sehr
ungenügend behandelt sind. Und wie sich die Wertungen
seit 1913 verschoben haben, sieht man am
besten daraus, daß Kierkegaard, der indirekt auf die
heutige Art der Jesusdarstellung von ungeheuer starkem
Einfluß gewesen ist, überhaupt nur einmal eine sachlich
bedeutsamere Erwähnung erfährt! Daß man trotz allem
vieles in dem Buch findet, ist schon gesagt; aber die Anerkennung
dieses relativen Reichtums kann doch das
Urteil nicht zurückdrängen, daß das eigentliche Problem
des gegenwärtigen Jesusbildes hier nicht angefaßt worden
ist.

Heidelberg. Martin Di bell us.

L e i p 01 d , Bruno: Jesus Nazarenus. Volkstümliches geistl. Oratorium
f. Chor, Soli, Orchester u. Orgel in 4 Teilen, nach Worten d. Hl.
Schrift u. relig. Dichtungen. Zusammenstellung des Textes und
Kompositionen. Adlisv.il b. Zürich: Ruh & Walser [1924], (32 S.)
gr. 8°. Rm. —35.

Baudert-Leipold: Die Seligpreisungen (Liturgische Feier) f. gem.
Chor (Soli ad. lib.) in Verbind, m. Lutherworten u. ev. Gemeindegesang
mit Orgel-Textauswahl u. Aufbau v. W. Baudert, Vertonung
v. Bruno Leipold. Ebd. [1923], (23 S.) gr. 8°.

Partitur Fr. 2—; Stimmen ä Fr. —50
1. Das volkstümliche geistliche Oratorium hat vier Teile: Jesu
Kommen. Aus Jesu Leben. Jesu Scheiden. Jesu Auferstehen. Den
Text hat sich der bekannte und fruchtbare Kantor L. selber zusammengestellt
. Für Chor und Soli hat er da und dort zu lieben alten
Volksliedern gegriffen. Leider sind nur einige Choräle in der rhyth-