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Ausgabe: | 1927 Nr. 24 |
Spalte: | 556-558 |
Autor/Hrsg.: | Wittekindt, W. |
Titel/Untertitel: | Das hohe Lied und seine Beziehungen zum Istarkult 1927 |
Rezensent: | Steuernagel, Carl |
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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 24.
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Überlieferung ja aufs engste mit seiner Umgebung verbunden
: Nachdem das Volk den Dekalog Ex 20, 2—17
aus Gottes Munde gehört hat, bittet es Mose, weiterhin
allein Jahwes Worte entgegenzunehmen, um sie dann
nachher ihnen zu sagen (20, 18—21). Nun hört Mose
20, 22—23, 33. Diese Worte schreibt er dann auf, und
auf Grund dieser Bundesurkunde (Bundesbuch) schließt
er mit dem Volk einen Bund (24, 1—9). Darauf steigt
er Gottes Befehl entsprechend auf den Berg und nimmt
dort die von Gott geschriebenen Steintafeln, das Gegenstück
der von Mose verfertigten Bundesurkunde, in
Empfang (24, 1 — 12; 31, 18). Beim Abstieg vom Berge
aber zerschmettert er diese Tafeln angesichts der Abgötterei
des Volkes (32). Jahwe beauftragt nun Mose,
zwei neue, der zerschmetterten gleichende und zur Aufnahme
der auf diese geschriebenen Worte bestimmte,
Tafeln anzufertigen und mit ihnen auf den Berg zu
steigen, und Mose tut so (34, 1—4). Auf dem Berge
vernimmt Mose aus Jahwes Munde 10 (34, 28) Bundesworte
und schreibt sie nach Jahwes Befehl auf (34,
5—28). — Die Worte von 34 wollen also die Wiederholung
der Worte sein, die dem Bunde von 24, 1—8 zugrunde
gelegen haben. Da ist von vornherein anzunehmen
, daß der Redaktor, der die Worte von 34 zu
einer Wiederholung der 24, 1—8 gemeinten Worte gemacht
, dafür gesorgt hat, daß die Entsprechung als
einigermaßen möglich erschien. Nun sind die Worte von
Ex 34 den kultischen Bestimmungen des Bundesbuches
fast gleich. Hier hat also aller Wahrscheinlichkeit nach
der eben erwähnte Redaktor seine Hand im Spiel, mag
er nun die Worte von 34 von sich aus vor 24, 1—8 eingeschoben
oder die kultischen Bestimmungen des Bundesbuches
aus einer 34 parallelen Erzählungs-Quelle
übernommen haben. Jedenfalls ist dann dieser Teil des
Bundesbuches ganz anderer Herkunft als seine übrigen
Teile und hat mit ihnen niemals eine Einheit gebildet.
Von solchen Erwägungen, die sehr ernster Natur sind
und mindestens den Versuch einer Widerlegung gefordert
hätten, sagt der Verf. nichts, und die ungebrochene
Zuversicht, mit der er den Namen „Bundesbuch" als
gesicherte Bezeichnung gerade von 20, 22—23, 19 in
Anspruch nimmt (S. 101), läßt leider vermuten, daß
er von den sich hier aufdrängenden Problemen wenig
weiß.
So schwebt die Behauptung, „das Bundesbuch" sei
ein wohlgeordnetes Ganzes, in der Luft, da es gar nicht
ausgemacht und sogar unwahrscheinlich ist, daß das
jetzt 20, 22—23, 33 (19) zusammenstehende Gut eine
Einheit bildet, die jemals für sich allein bestanden hätte.
Damit werden dann auch des Verfassers Ausführungen
über die Bedeutung des Bundesbuches, die übrigens auch
sonst sehr anfechtbar sind, erschüttert. Nicht berührt
von dieser Kritik wird die Zerlegung der Bestimmungen
von 20, 22—23, 19 in vier verschiedene Gruppen. Hier
lehrt der Verf. den auf der Hand liegenden Tatbestand
durch die eine oder andere neue Beobachtung besser verstehen
. Aber die Herleitung dieser verschiedenen Elemente
aus bestimmten Sammlungen und deren nähere
Charakterisierung und Ansetzung ist wieder sehr unsicher
. Vor allem gilt das von den „israelitischen
Mischpatim" und den „religiösen und sittlichen Verboten
", bei denen der Verf. auch selbst zugibt, daß sie
von den Zutaten des Bearbeiters nur schwer abzugrenzen
seien. Am ehesten kann noch die Quelle der „hebräischen
Mischpatim" bestehen, da hier der Vergleich mit
den anderen altorientalischen Gesetzen eine überzeugendere
Beweisführung ermöglicht. Aber auch hier ist die
eigentlich neue These des Verfassers, daß diese Rechtssätze
auf die „Hebräer" zurückgingen, schwerlich richtig
. Das "HZiy von 21,2 darf kaum so verstanden werden
, wie er es tut, und jedenfalls hat er an diesen
schwachen Nagel eine Last gehängt, die er nicht zu
tragen vermag.
Halle (Saale). Otto Eiflfeldt.
Wittekindt, Pfarrer Lic. theol. W.: Das Hohe Lied und
seine Beziehungen zum Istarkult. Hannover: Heinz I.afaire.
(IV, 220 S.) gr. 8». Rm. 7—.
Der Verf. trägt eine neue Deutung der Liedersammlung
vor: sie enthält einen Zyklus von Kultliedern eines
j Tammuz-Ischtar-Festes, das zur Zeit des Königs Ma-
nasse eine große Rolle im Tempel zu Jerusalem gespielt
haben soll. In diesem mischten sich assyrische Einflüsse
mit solchen aus dem Kultusgebiet des Libanon (Byblos)
und mit Resten altkanaanitischer Kulte. Die Hauptfigur
der Lieder ist die weibliche Gottheit, die Königin,
; Ischtar-Sulammit-Schulmanitu bzw. ihre menschliche
I Stellvertreterin beim IsqIq ydfiog, eine Hierodule, neben
der als ihre Genossinnen zahlreiche Kadeschen stehen.
Das männliche Gegenstück ist der König, Ba'a!-Död-
Adonis-Tammuz = Marduk (Verschmelzung mit Tammuz
seit dem 8. Jahrhundert = Salomo-Sehalman (Schulman)
bzw. der ihn vertretende Hierodule, neben dem ein Chor
seiner Genossen steht. Den Hintergrund des kultischen
Festes bildet der Adonis-Mythus. Zunächst pflegen Gott
und Göttin (ihre menschlichen Vertreter) der Liebe, dann
verschwindet der Gott (Tod des Adonis Marduk), die
Göttin sucht ihn in der nächsten Nacht (Höllenfahrt
der Ischtar suchendes Umherirren der Hierodule in den
Straßen der Stadt, wo die Wächter = Unterweltswächter
ihr den Schleier entreißen und sie schlagen), findet ihn
und führt ihn nun im Triumphzug zurück als König
(Thronbesteigungsfest des Marduk), worauf in der
nächsten Nacht im Tempel der legog yä/.iog folgt. Da
Adonis der Gott der Frühlingsvegetation ist, fand das
Fest ursprünglich im Frühjahr statt, und zwar am Neumond
(Ischtar Mondgöttin, schwarz, also Neumond;
die Ehe = Konjunktion von Sonne und Mond); doch gilt
als Hochzeitsnacht von Sonne und Mond auch die Vollmondnacht
(= Passahnacht!). Im Judentum überwindet
der monotheistische Jahwismus grundsätzlich den Synkretismus
, jedoch nicht ohne allerlei Kompromisse, indem
der Jahwismus gar zu festgewurzelte Stücke des Synkretismus
unter Umdeutung in sich aufnimmt. So wird
I das Thronbesteigungsfest Marduks auf Jahwe übertragen
, aber mit dem Laubhüttenfest verbunden (Verlegung
des Neujahrfestes in den Herbst in Polemik
j gegen das babylonische Neujahrfest im Frühling). Die
I Züge des Ischtarfestes werden, soweit sie sich nicht
völlig unterdrücken lassen, mit dem Passahfest verbunden
: wie Ischtar den Tammuz aus der Unterwelt errettet
und ihn dann heiratet, so rettet Jahwe Israel aus
Ägypten und schließt dann den Ehebund mit ihm [also
Jahwe = Ischtar! ]; auch die Lieder des Ischtarfestes wtr-
I den als Megilla des Passahfestes weiter verwandt, je-
I doch umgedeutet, so daß Jahwe der Dod, Israel die Geliebte
wird, und vielfach geändert und mit Zusätzen versehen
, die gar zu offenbare Bezugnahmen auf den Isch-
tarmythus vertuschen und ein profanes Verständnis nahelegen
. Als Entstehungszeit der Lieder ergibt sich die
[ Zeit des Königs Manasse (doch können ältere Lieder mit
verwertet sein); der Entstehungsort ist Jerusalem.
Dies sind in kurzen Zügen die Hauptgedanken des
vorliegenden Buches. Der Verfasser führt sie aus zunächst
in einer eingehenden Erklärung der einzelnen
Lieder, die er in sachlicher Ordnung bespricht (S. 4 bis
178). Seine Deutungen stützt er durch Beibringung ei-
1 ner schier unübersehbaren Fülle von Parallelen aus der
vergleichenden Mythologie und aus analogen Kulten und
j durch Herbeiziehung zahlreicher Stellen des übrigen
j Alten Testamentes, die mehr oder weniger deutlich auf
das Ischtarfest in Jerusalem oder auf seine Lieder an-
j spielen sollen. Auf S. 179—217 folgt dann die zu-
' sammenfassende Erörterung der gesamten Deutung,
: ihrer Probleme und ihrer Konsequenzen.
Die neue Deutung hat in einer Beziehung etwas
recht Verlockendes. Ich wenigstens habe immer sehr
lebhaft die Schwierigkeit empfunden, die darin liegt, daß
eine Sammlung profaner Liebeslieder, die als solche
unverkennbar gewesen sein müssen, in den Kanon auf-