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Ausgabe:

1927 Nr. 23

Spalte:

531-532

Autor/Hrsg.:

Leeuwen, J. A. C. van

Titel/Untertitel:

Paulus‘ Zendbrieven an Efeze, Colosse, Filémon en Thessalonike 1927

Rezensent:

Windisch, Hans

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531

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 23.

532

Entfernung seiner Söhne einzuwenden gehabt habe, denn
dergleichen Gedanken der Nebenpersonen teilt unsere
Überlieferung nur mit, wenn Jesus darauf eingeht. —
Der Hauptwert des Buches liegt also in dem Material
und den Untersuchungen des zweiten Teils. Hier hat der
Verf. sich auch durch die Form der Darstellung ein
Verdienst erworben. Nur eines hat mich erstaunt: daß
der sonst so belesene Verf. eine so geringe Kenntnis
unserer jüngsten Vergangenheit hat. S. 29 läßt er uns
glauben, Polen wäre vor dem Krieg ein Staat wie Belgien
gewesen, vollends S. 85 sagt er in einer Anmerkung
: by war, which in ancient times decimated both
sexes . . . not merely the male sex as in Europe since
the days of chivalry. Weiß er wirklich so wenig vom
Kriege?

Heidelberg. Martin D i b e 1 i u s.

L e e u w e n, J. A. C. van: Paulus' Zendbrieven an Efeze, Colosse,
Filemon en Thessalonike. Amsterdam: H. A. van Rottenburg
1926. (457 S.)

Zum ersten Mal erscheint J. A. C. van Leeuwen,
der Neutestamentier in Utrecht, als Mitarbeiter des von
den beiden gereformeerde hoogleeraren F. W. Grosheide
und S. Greydanus begründeten Kommentaar op het
N.T. Auch v. L. schreibt als gereformeerde exegeet:
de exegese is gegeven in de overtuiging, dat het Gods
Woord is, dat tot ons spreekt ook in deze Brieven van
Paulus, heißt es im Voorbericht. Dieser dogmatische
Standpunkt tritt natürlich öfter hervor, am stärksten
vielleicht in der Auslegung der „Profetie" 11. Thess 2,
sonst in der Abweisung hellenistischer Einflüsse auf
Paulus. Im übrigen gibt v. L. keineswegs „pneumatische
" Exegese, diese kommt höchstens in den nicht
seltenen und sehr lehrreichen Zitaten aus Calvin zur
Geltung. Seine eigene Auslegung beschränkt sich vielmehr
im allgemeinen auf grammatisch-philologische Feststellung
des Sinnes; sie ist nüchtern, aber gründlich, präzis
und korrekt. Sprachliche Parallelen werden hauptsächlich
aus den LXX und aus den Papyri herangezogen
. Die neuere Literatur ist nur in einer bestimmten
Auswahl benutzt und zitiert; mir fiel auf, daß v. L.
weder die Kommentare seines Vorgängers Baijon, noch
die von Dibelius zitiert. Mit letztgenanntem Versäumnis
kann zusammenhängen, daß v. L. es fast ganz unterläßt,
die Dokumente der hellenistischen Mystik und Mysterienweisheit
für die Exegese der Briefe zu verwerten. Der
Wert seiner Arbeit für die heutige Wissenschaft erfährt
dadurch eine bedauernswerte Einschränkung.

Aus der Einleitung' zu den drei Gefangenschaftsbriefen
ist hier nur die Verteidigung ihrer Echtheit hervorzuheben
, die freilich für Eph. m. E. nicht ausreichend
ist. Eph. ist ein Rundschreiben für verschiedene kleinasiatische
Gemeinden. Die Gefangenschaft ist die römische
.

Aus dem Kommentar zu Epb. seien folgende Einzelheiten
herausgehoben.

Bei TiQOTjXrtlxizas 1, 12 möchte v. L. am liebsten an die
messianische Erwartung der gläubigen Juden vor der Erscheinung des
Messias denken (richtiger ist es wohl, es auf die Hoffnung der
Christen vor der Verklärung zu beziehen). 2, 8 soll xai zovzo xx'A.
nicht auf das ganze vorhergehende Sätzchen, sondern nur auf ctia
nintttt gehen (da sonst Tautologie entstehen würde). 2, 11 hält
v. L. die Marcionitische Lesart (ivimoyevoVTSS (statt urTlftovevezt)
für möglicherweise ursprünglich (der Satz wäre dann ein Anakoluth).
Mit iXlhöv 2, 17 ist die apostolische Predigt gemeint. Die Bitte
(j.r eyxctxely 3, 13 möchte der Verf. lieber auf die Haltung des
Apostels beziehen, was im Blick auf den ganzen Abschnitt 3, 1—21
wohl richtig ist. In seiner Erklärung von 3, 18 weist v. L. alle
gnostischen Beziehungen der Ausdrücke ab; es sei einfach an die
Unermeßlichkeit der Liebe Christi gedacht. Das „Niedersteigen in
die untersten Teile der Erde" 4, 9 ist nicht der dcscensus ad inferos,
den man bei Paulus nirgends findet, sondern die Menschwerdung (im
Mutterschoß Ps. 139, 15). Für ixaiuctaius 6,15 fordert v. L. die Bedeutung
Festigkeit, vgl. Ps. 89, 15 LXX.

Einzelheiten zu Col.: Ausführlich bemülit sich der Verf. um
den Nachweis, daß in nprurorozos" nuar^ xzCaimg der Solln keineswegs
unter die Schöpfung subsummiert ist (was indes nur aus dem
Kontext, nicht aus dem Wortlaut der Wendung wahrscheinlich zu

I machen ist. Zu 1, 19 faßt er mit guten Gründen als Subjekt zu
svdoxr^tr nicht nüy ri nXi-omuri. sondern Gott. Da die Vor-
j Stellung von einer durch Christus bewirkten „Versöhnung" der Engelwelt
in der H. Schrift sonst keine Stütze hat —ein echt „reformierter"
l Gesichtspunkt — muß arzoxtttteiAdttaeix die weitere Bedeutung
I haben: in das rechte Verhältnis zurückführen (1,20); da der
I Gedanke in 1,21 dann mit sifT[vonoii(aat wieder aufgenommen
wird, ist diese Übersetzung natürlich möglich (vgl. Dibelius im
Handbuch z. St.). 1, 22 wird die Lesart B: anoxuzrßkhlyrji bevorzugt
; 1, 23 fügt der Verf. mit der W-rezension Ii; ein. Die Aus-
: legung von 1, 24 befriedigt insofern nicht, als der mystische Grund-
j ton und der Begriff des stellvertretenden Leidens nicht zur Geltung
kommen. 1, 27 liest v. L. 2 (statt und faßt er A'pzuröc ix t'uTy
wieder nicht-mystisch auf. Künstlich scheint mir die Auffassung von
anoxcfvnznv als Apposition. Erwägenswert scheint mir dagegen die
Auslegung, daß Paulus 2, 1 ff. sich gegen das Gerede verteidige,
er kümmere sich nicht um die neue Gemeinde. Auch können ru'fzc
und aTtQkmua 2, 5 sehr gut militärische Ausdrücke sein; Aufstellung
und Bollwerk. Natürlich will v. L. azotyeZa auf die Bedeutung
„Grundstoffe" einschränken (die Beziehung auf Geister, Dämonen
stehe durchaus nicht fest!). Auch die Einschränkung der
( tfoyuaza 2, 14 auf das Zcremonialgesetz leuchtet mir nicht ein.

friXtov 2, 18 verbindet er mit ix TaneixtxpQoavxrh was sicher angeht.
I Dagegen kann frQrjaxtiu zmy ayyiXttX unmöglich „engelartiger Kult"
sein: daß Paulus nicht stärker den „Engelkult" abweist, ist gewiß
auffallend, aber eine indirekte Bestreitung liegt doch in dem ganzen
! Abschnitt 2, 8 ff. vor. Sehr gut wird dagegen (7 i-t'tctuxti-
tußiiTfrmr als Mysterienausdruck verstanden (nach Ramsay Athe-
| naejirn 1913): in Visionen eingeweiht. Aus der umsichtigen Aus-
| legung zu 2, 22 f. hebe ich hervor, daß v. L. S eoziy . . ig uno-
XQr](!ti als Parenthese und zrpöc n'Azfluuv)^ rgc Ottffxös in un-
I günstigem Sinne faßt. Ob in der Paränese 3, 5ff. Beziehungen auf
j die asketisch gestimmte Irrlehre zu suchen sind, ist mir fraglich.

Für evytcQKJzni 3, 15 zieht v. L. die Bedeutung „Wohltäter" vor,
| die in den Papyri vorkommt. Bei 4, 3 denkt v. L. an den Mut, der
| allen Einschüchterungen und Erfahrungen zum Trotz, das Evangelium
zu predigen weiß.

Aus dem Kommentar zu Philemon ist nur hervorzuheben,
j daß v. L. eine Anspielung auf Freilassung des Sklaven durchaus
nicht für unmöglich hält. Als Anhang (zu Col.) ist noch der apokryphe
Laodizenerbrief mit griechischer Übersetzung abgedruckt.

In der Einleitung zu den Thess. wird vor allem
die traditionelle Datierung der Briefe und die Priorität
von I. Thess. (gegen Hadorn) verteidigt. Richtig macht
I v. L. darauf aufmerksam, daß die Briefe schon darum
nicht aus der efesinischen Periode stammen können,
weil von der Kollekte nichts gesagt wird (ein Argument,
das übrigens auch für die moderne Datierung des Philipp,
m. E. sehr bedenklich ist).

Einzelheiten aus der Exegese: mit Recht faßt v. L. den
1 Plural der Person als richtigen Plural (P., Silv. Tim.). Die Auße-
; rung I 2, 16 vom Zorne Gottes deutet er auf die Gegenwart, in der
Paulus den Zorn Gottes bereits sich auswirken sieht. Apologetische
| Tendenz sieht v. L. auch in den Bemerkungen des P. über seine
j Flucht aus Thessalonich und die seitherige Abwesenheit; man hatte
l ihm vorgeworfen, daß er sich nicht um die Gemeinde bekümmere
! (2, 17ff.). Daß Paulus I 4, 13ff. sicher mit seinem Erleben der
Parusie rechnet, will v. L. nicht Wort haben. In II 1, 12 findet
i auch v. L. keine theologia Christi (es sind Gott und Jes. Chr. gemeint
). Der Tempel in 2,4 muß natürlich (da es richtige Profetie ist)
die Gemeinde Christi sein, und xaziyuv zwar zunächst die
römische Staatsmacht, aber dann jede Macht, die der Anarchie
I steuert. Die uyunrj rfjf «>ije>et'«c 2, 10 faßt v. L. als die Liebe
j der Wahrheit, d. i. Christi (was in einem Paulusbrief ganz unmöglich
| ist). Die vnofiovr) zov Xqmjzov 3, 5 soll die Geduld sein, die
i Christus in seinem irdischen Leben bewährt hat, was mir eher möglich
scheint. II 2, 13 verteidigt v. L. mit guten Gründen die Lesart
ein «pygc, 2, 6 weniger überzeugend den Text nutti'kußuv. Anregend
ist die Bemerkung, das zrpöc vuüg II 3, 10 sei ein etwas
| humoristisch gefärbtes Wortspiel, indem ,zrpuc vu«;' nach den Papyri
an sich auch bedeuten könne: „auf euere Kosten": Paulus war „bei
ihnen", aber nicht in diesem technischen Sinne.

Doch sind solche eigenen Funde selten. Der Kom-
' mentar ist sehr solide Arbeit, aber bringt wenig Eigenes
I und Neues, was bei dem dogmatischen Standpunkt des
Vf.'s ja auch kaum zu verwundern ist.

Die Druckausstattung ist recht gut (viele kleine
Absätze); leider weisen die griechischen Worte sehr
! viel Fehler in den Akzenten auf, die wohl nur zum
j Teil der Druckerei zur Last fallen.

Leiden. H. Windisch.